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»Offiziere«

Nun ist das Drama von Hans Wesemann, das vor Jahresfrist im Rose-Theater zur Aufführung gelangte, in Buchform erschienen (Pionier-Verlag, Hamburg 31). Obgleich es damals von uns eingehend gewürdigt wurde, ist auch heute noch einiges dazu zu sagen.

Neun lose Bilder aus den letzten Kriegsmonaten. Kasino, Regimentszimmer, Quartier, Unterstand, Kriegsgericht, Café in Lille, Stabsquartier. Neun Skizzen, in denen Menschen festgehalten sind, Menschen einer bestimmten Klasse, die unter dem Zwang des Geschehens tief hineinschreiten in die Gemeinheit und nur am Ende durch das mutvolle Aufbäumen eines der Ihrigen gleichsam entsühnt werden.

Ich entsinne, daß damals, nach der Aufführung, kluge Leute mit ihrem Urteil schnell fertig waren: Talentvolle Sache gewiß, aber Tendenz, von Einseitigkeiten strotzend, mehr Pamphlet als Theaterstück.

Aber ich entsinne mich auch noch, daß damals ein so nachdenklicher Mensch wie Adolf Grabowsky im »Neuen Deutschland« eine sehr bittere Betrachtung darüber anstellte, etwa so: Was für Schuld müssen wir alle auf uns geladen haben, daß ein solches Gericht über uns ergehen kann? Ach, wir sind allzumal Verdammte!

Es ist kein Zweifel. Wesemanns Stück ist Tendenz und will es sein. Es will zeigen, wie tief der Mensch sinken kann, wenn eine törichte Ordnung ihn scharf von anderen scheidet und einseitig und tendenziös ihm das Befehlen überträgt und den anderen das wortlose Gehorchen. Kurz und knapp und ohne viel nach dem Warum zu fragen, hat der Verfasser den Zustand von Entartung, der die natürliche Folge sein muß, in seinen Bildern aufgefangen. So werden die Menschen im Krieg, das ist das geheime Motto. Vor rund zehn Jahren kam das Drama des jungen Fritz v. Unruh heraus, das den gleichen Titel führt: »Offiziere«! Wie ganz anders war der Ton damals. Menschen voll Jugendkraft, die sich unbenutzt fühlt und rebelliert gegen eine Welt, die das große Abenteuer nicht mehr kennt, das kecke Zugreifen, die frische verwegene Attacke. Auch Fritz v. Unruh hat den Krieg kennen gelernt, in tiefster Seele erschüttert, kehrte er heim von der blutgetränkten Erde von Verdun und schrieb Dichterwerke, die erfüllt sind vom Grauen der Schlachtfelder, die ein einziger Widerruf sind des hochgemuten Stückes des Zwanzigjährigen, dessen Blut sich nach unerhörtem Erleben sehnte.

Wesemanns Drama ist wie eine Antwort auf jenes andere, von dem niemand mehr spricht und der Verfasser zu allerletzt. Mir schwirrt jene Verszeile von der Dichterin Ina Seidel im Kopf: »Als der Krieg noch jung war ...« Ja, als der Krieg noch jung war ...! Ein Geschlecht stürmte rasend vor Begierde hinaus. Und verfiel. Wurde klein, unendlich klein.

Es ist nützlich, daß an diese Tatsache erinnert wird. Eine verlogene Romantik versucht vergessen zu machen, was für Millionen der Krieg bedeutete: Blut, Dreck, Hunger und Ungeziefer! Und auf Gräberhügeln tanzt das Gespenst Krieg mit bunten Fahnenfetzen behängt und schlägt die Werbetrommel.

Hinab mit ihm, hinab!

Berliner Volks-Zeitung. 7. Juli 1921


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