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Karls Herbstpleite
Horthy, der Sieger

Seit Wochen haben wir darauf verwiesen, daß der Einfall ungarischer Banden ins Burgenland mehr bedeutete als eine Korfanty-Imitation aufgeregter Nationalmadjaren. Seit Stephan Friedrich immer mehr als bewegende Kraft zur Erscheinung kam, wurde es klar, daß es nicht um den Streifen abzutretenden Landes ginge, sondern um die Schaffung einer gegenrevolutionären Bastion unmittelbar an der Grenze der österreichischen Republik, um eine Funkstation zur Benachrichtigung der schwarzgelben Überreste in Wien und Tirol. Horthy, der Diktator, der Erfinder des Monarchismus ohne Monarchen, büßte zusehends an Autorität ein; sein skrupelloser und teuflisch seltener Nebenbuhler suchte ihn dadurch unmöglich zu machen, daß er den Horthy-Kurs bis zu den letzten unsinnigsten Konsequenzen weitertrieb.

Als Karl Habsburg in diesem Frühjahr in Steinamanger erschien, um seine »unverjährten Rechte« anzumelden, verlief die Affäre wie ein verbotenes Picknick im Grünen, das von der Waldpolizei wegen Feuersgefahr unterbrochen wird. Karl wurde konfisziert und seiner sehnsüchtig harrenden Gattin postwendend zurückgeliefert. Diesmal ist Frau Zita als Kontrollinstanz mitgekommen, den Marschallsstab in der Reisehandtasche. Sie kam nicht dazu, ihn auszupacken, Horthy war fixer. Zur Stunde ist auch das zweite Abenteuer bereits liquidiert.

Über Karl den Abgewirtschafteten ist kein Wort zu verlieren. Von den Sixtus-Briefen bis zum Wortbruch von Hertenstein ist dieser Mann sich treu geblieben in dem Eifer, zu beweisen, daß er eben kein Mann ist. Unbegabt, außer einer gewissen Veranlagung zur Intrigue, der klassische Mannequin für ehrgeizige Konspiratoren und herrschsüchtige Unterröcke.

Leider hat dieser neue Ausflug nicht das durch Komik gemilderte Ende der Osterpartie. Es ist Blut geflossen, und wer das Horthy-Regime kennt, zweifelt nicht an blutiger Rache. Die Kapitulationsbedingungen sind vielversprechend. Bemerkenswert an der ganzen traurigen Affäre ist eigentlich nur, daß Karl diesmal recht zahlreichen Anhang gefunden hat, wenngleich die Herren ohne Zweifel ihre Macht und ihren Einfluß überschätzt haben. Das Hauptmotiv scheint die in allen politischen Kreisen in den letzten Monaten stark gestiegene Abneigung gegen Horthy gewesen zu sein. Nicht der legitimistische Gedanke, die Opposition gegen das Säbelregiment hat den habsburgischen Block zusammengebracht; neben Parlamentsgrößen des alten Regimes, wie Andrassy und Apponyi, finden wir Demokraten, wie Vazsonyi, und in Ungnade gefallene Horthy-Favoriten. Vermutlich vereinte diese etwas bunte Gesellschaft, so weit es sich nicht um Superkluge handelt, die die Konjunktur nicht versäumen wollten, die eine Hoffnung auf eine liberale Ära unter dem schwachen Karl. Trügerische Illusion, und doch psychologisch verständlich in einer Epoche der Justizmorde, der Pogrome und der politischen Entrechtung. Eine falsche Rechnung, denn der gewichtigste Posten war nicht Karl, sondern Stephan Friedrich. Denn auch dieser Räuberhauptmann im Frack arbeitet, wie Horthy, mit bewaffneten Banden. Hätten die Karlisten gesiegt, unter dem neuen »liberalen« Kurs der Rakovszky und Andrassy hätten eben die Pronay und Osztenburg gewütet, anstatt wie bisher der Horthy-Trabant Hejjas. Nichts hätte sich an dem Schicksal des »verwundeten Landes« geändert.

Es ist an und für sich herzlich gleichgültig, ob Karl augenblicklich kapitulieren muß, oder noch imstande sein wird, noch einige Tage Hilferufe an seine verborgenen Getreuen im Lande ergehen zu lassen. Der Ausgang kann nichts ändern an den trüben Charakterbildern der beiden Parteihäupter und ebensowenig an der Blamage der Entente. Die moralische Schuld für das vergossene Blut ruht auf der Entente. Sie hat die freiheitliche Karolyi-Regierung um ihr Ansehen gebracht, sie hat das Horthy-Regiment künstlich gepäppelt und gegen den Friedensvertrag diesem modernen Sulla eine starke Militärmacht belassen. Durch ihre Fahrlässigkeit und Kurzsichtigkeit wurde Budapest zur Zentrale der europäischen Gegenrevolution; hier wurden alle Fäden gesponnen, die nach Wien, Tirol, Berlin und München gingen. Auch Karl und Zita werden kaum ins Flugzeug gestiegen sein, ohne sich vorher das Wohlwollen französischer Royalisten und Militaristen gesichert zu haben. Abermals wird der berüchtigte General Franchet d'Esperey denunziert, den Mittelsmann mit Paris gemacht zu haben. Und trefflich illustriert die papierne Verwahrung der Botschafterkonferenz ein Artikel des »Figaro«, in dem mit frechem Zynismus von jeder Übereilung abgeraten und zugleich betont wird, daß Karl für die »Alldeutschen« einen Albdruck bedeute. Und auch Italien hat durch zweideutige Haltung zum letzten Schritt ermutigt. Obgleich die große Presse in Rom und Mailand den Habsburger mit Schmähungen empfing, so sieht doch die Außenpolitik, die seit Nittis Ausscheiden eines Kopfes und einer Hand entbehrt, es durchaus nicht ungern, wenn Südslawien über Sorgen an der Nordgrenze ein wenig die Adria vergißt.

Und weil die Großmächte von kleinen Mächlern regiert werden und nicht von Staatsmännern und fühlenden Menschen, deshalb durften Horthys und Friedrichs Banditen im Burgenland ihr Unwesen treiben und das schwer leidende Österreich gefährden, deshalb müssen in diesen Tagen viele Menschen ihr Leben lassen im Kampfe zwischen einem degenerierten Trottel fürstlichen Geblütes und einem größenwahnsinnig gewordenen Gamaschenknopf, der den Bonaparte agieren möchte. Der Begriff der europäischen Solidarität ist vor die Hunde gekommen. Die stärkste Faust behält recht. Der Mensch ist Makulatur geworden. Drei Jahre nach dem Weltkriege ragen Horthys Galgen als neueuropäisches Symbol, von den alliierten und assoziierten Mächten dem Schutze des Publikums empfohlen. »Es ist eine Freude, zu leben«, rief der Idealist Hutten vor vierhundert Jahren. Heute würde er sich, von der Hoffnungslosigkeit der Situation durchdrungen, an den ersten besten ungarischen Galgen hängen.

Berliner Volks-Zeitung, 25. Oktober 1921


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