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Rede in der Fensternische

So ein zwei Tage nach der Wahl steht man zweifelnder als jemals am Fenster und blickt hinunter auf das Treiben der großen Stadt. Da zotteln sie einher wie immer, ahnungslos und wissen nicht, was sie angerichtet haben. Man schüttelt den Kopf und will sich abwenden, sintemalen man Besseres zu tun hat; aber von diesem menschlichen Ameisenhaufen geht so etwas wie ein magischer Zwang aus. Man vergißt, daß man sich im dritten Stockwerk befindet, vergißt die doppelten Fensterscheiben, der Erker wird zur Rostra, man wirft sich in Positur und beginnt:

Mitbürger und Mitbürgerinnen!

Nicht Euer Wille, sondern ein großer Zusammenbruch, der über Nacht kam, und den Ihr weder erwünscht noch erwartet habt, hat Euch die Macht in die Hand gegeben, mit den Mitteln der Demokratie, die Ihr als westländisches Gewächs höhnisch ablehntet, über Euer Schicksal selbst zu entscheiden. Glaubt nicht, liebe Leute, daß ich so eine Parlamentswahl für etwas Welterschütterndes halte, oder so ein Parlament allzu tragisch nehme. Es ist da durchweg so wie im Zirkus Reinhardt: sehr viel gutgedrillte Komparserie und sehr mittelmäßige Solisten. Ich zähle mich politisch zur Linken, aber eine Rechtspartei mit antiquiertem Programm, aber scharfen menschlichen Profilen würde mir annehmbarer erscheinen als eine Linkspartei mit ausgezeichnetem Programm, aber mittelmäßigen Gesichtern. Ich werfe Euch also nicht vor, daß Ihr so gewählt habt, wie es mir nicht in den Kram paßt, sondern daß Ihr so leichtfertig billigen Phrasen nachgelaufen seid und Schmähungen zugejubelt habt gegen Personen und Parteien, die im einzelnen gewiß oft betrübend zag und unzulänglich waren, aber doch den Mut aufbrachten zur Verantwortlichkeit und zur Unpopularität. Denn: – Regieren, das war einmal ein Vergnügen in Deutschland, das sicherte Orden und huldvolle Worte und Pensionen und einen Sitz in der Pairskammer zur Vergoldung der alten Tage, und die Kritiker konnten einem gewogen bleiben. Heute erfordert es eine Elefantenhaut, wird mit Attentaten und Putschen belohnt, und endet in einem Vergessen, das nur hin und wieder von haßvollen Erinnerungen peinlich unterbrochen wird. Wer heute regiert, und wärens nur ein paar Wochen, ist für Jahre abgetan, verfehmt, geächtet. Was ist neben einem solchen Martyrium breitspurig zur Schau gestellte Oppositionscourage? Also nicht, daß Ihr reaktionär gewählt habt, werfe ich Euch vor – immerhin, hätten wir Deutschen in politischen Dingen ein wenig Humor, so hätte schon längst olympisches Gelächter das ganze Gespensterballett in die Gruft gefegt, der es entstiegen – aber daß Ihr einer so entsetzlich schwachatmigen Argumentation gefolgt seid, das bleibt auf Euch sitzen, und das können alle Spezereien Arabiens nicht wieder wohlriechend machen. Doch bin ich kein Parteimensch, und verzeihe Euch großmütig, wenn Ihr jetzt wenigstens Eure Pflicht tut, und zwar: Ihr müßt darauf dringen, daß Eure Gewählten jetzt auch wirklich die Leitung und damit die Verantwortung übernehmen und nicht in einer bequemen und versteckenden Koalition unterkriechen. Sie sollen regieren! Sie sollen die ganze Wollust des Regierens unter diesen Verhältnissen kennenlernen. Sie haben Euch festen Kurs und Kompromißlosigkeit versprochen. Nehmt sie beim Wort! Sie haben Euch von Morgen bis Mitternacht das Sprüchlein vom Wiederaufbau vorgeplärrt – sie sollen aufbauen! Hurtig! Bindet ihnen den Schurz um, drückt ihnen die Kelle in die Hand, und wenn sie sich sperren, – stippt sie bis über die Ohren in den Zement! Tu là voulu, Georges Dandin!

Werte Mitbürger! Ich könnte Euch noch mancherlei sagen. Doch es beginnt zu dunkeln und im Dunkeln sind nicht nur alle Katzen grau, sondern auch alle Politiker noch farbloser als in Tageshelle. Aber eines noch: Wenn es wieder einmal zur Wahlkampagne kommt, dann sorgt dafür, daß es nicht nur ein Froschmäusekrieg kleiner und kleinlichster Interessen wird, und ein Buhlen und Wettkriechen um die Stimme des »schlichten Mannes«, der schließlich eingeseift bis zur Ausschaltung des Sehvermögens ins Wahllokal tappt. Laßt die Entscheidung nicht immer unter dem Motto fallen: Vive la bagatelle! sondern im Zeichen des Prinzipes. Heutzutage gibt es kaum Übleres als das geräuschvolle Beiwerk der hohen und niederen Politik. Mißtöne, garstiges Geklimper, besten Falles Kampfgetöse. Aber jede Partei hat nicht nur Schnauzen, sondern auch Ideen. Gewiß, sie sind nicht gleichwertig. Aber alle sind sie auf bestimmtem, sozial scharf umgrenztem Boden gewachsen und deshalb historisch berechtigt. Mag die eine funkelnagelneu blitzen und blinkern, die andere sich als alte schartige Plempe präsentieren. Macht nichts. Parteimänner, schämt Euch nicht der Ideen, für die Ihr doch zu kämpfen behauptet. Macht die Menschen, die Ihr beglücken wollt, nicht noch kleiner als sie es schon sind, wendet Euch einmal an ihren Verstand, gebt ihnen meinetwegen Nüsse zu knacken, nur appelliert nicht immer an das Trübe in ihnen. Es ist ehrenvoller, in dem Gefühl zu unterliegen, sein Bestes getan zu haben, anstatt auf Krücken ins Parlament zu humpeln, die der Dummheit abgeschlichen sind. Wird sich so ein Gefühl einmal durchsetzen, dann wird auch ein politischer Kampf nicht immer mit der Kakophonie der Stuhlbeinschlacht enden. Es wird auch einmal eine Melodie dabei herauskommen.

Sind das nicht verstiegene Wünsche, Ihr Freunde? Wir schrieben doch erst den 6. Juni 1920. Ich will Euch aber zum Schluß noch etwas verraten. Ich gehöre zwar nicht zu den Bestinformierten – aber – dieser Reichstag wird nicht alt! Und das nächste Mal – dann macht es besser! Amen.

Monistische Monatshefte, 1. Juli 1920


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