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»Die Spielereien einer Kaiserin«
Lessing-Theater

Dauthendeys Schauspiel wirkt nach zehn Jahren etwas abgeblaßt, etwas reichlich als Jambendrama. Man denkt daran, daß man das einmal für Sturm und Drang nahm und schüttelt ein wenig den Kopf. Dennoch bietet es für große Bühnenkünstler noch immer einen glänzenden Anlaß zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Die losen anekdotischen Bilder aus dem Leben der ersten Katharina, die vom Dragonerweib aufstieg bis zur Kaiserin aller Reußen, können durch die Akteure jenen inneren Zusammenhang bekommen, den der Dichter schuldig geblieben ist. Diesmal gelang es restlos. Die Schauspielerin Tilla Durieux in ihrer wunderbaren Elastizität ist die ideale Interpretin solcher komplizierten Weibsnaturen. Ihre Katharina hatte Glanz und Farbe, Urwüchsigkeit und Brutalität und dazwischen den in der Ferne suchenden Blick der ewig Sehnsüchtigen. Diese Sterbeszene spielt ihr keine Kollegin der ganzen deutschen Bühne nach. Wie in den letzten Kampf sich noch einmal die Lust am Tändeln drängt und über das bleiche verkrampfte Antlitz der Widerschein vergangener Orgien flackert, das ist ein echt tragisches Erlebnis, eine wahrhafte Begegnung mit der alten Sphinx. Steinrück ist Menschikoff. Er ist der große Pan des Abends. Vollsaftig wie eine Naturgottheit, ein Sohn des Volkes, täppisch und verschmitzt zugleich, ein trunkener Riese, der manchmal unvermittelt ein schmerzdurchfurchtes Antlitz zeigt. Herr Friedrich Ulmer, ein Münchener Gast, hatte in der Rolle des Zaren nur Gelegenheit, rein physische Qualitäten zu zeigen. Daß er den hünenhaften Steinrück bei den Schultern packte und wie ein Luftkissen herumwirbelte, erregte ungeteilte Bewunderung. Es ist kein Zufall, daß gerade dieses Bild den stärksten Beifall fand. Wir sind nicht umsonst Zeitgenossen Breitensträters.

[Berliner Volks-Zeitung, 16. September 1921]


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