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Doktor Faust und sein Pudel

Doktor Faust ist wieder unterwegs. Nicht der große Magus Goethes, sondern sein Urbild, der arme Scharlatan des Volksbuches, der, mit hoher, spitzer Mütze und rotem Mantel, von einem struppigen, schwarzen Köter begleitet, den der gemeine Mann für den Leibhaftigen hielt, durch die deutschen Lande streifte. Ein unseliger Phantast, ein Aufschneider mit ausgefransten Hosen, der von üppigen Gelagen bei Fürsten und Prälaten schwärmte, und wie er auf des Papstes Geheiß die griechische Helena beschworen und doch von all den Dukaten und güldenen Kettlein niemals auch nur einen Deut bei sich hatte und glücklich war, wenn ihn ein biederer Kleinbürger, der es nicht mit der Unterwelt verderben wollte, mit einer Bratwurst und einem Schoppen Bier regalierte. Der Scharlatan Faust ist wieder unterwegs. Nur daß er in der neuesten Verkörperung nicht mehr so schäbig aussieht wie einst. Ihm gehört die Stunde.

»Der große Pan ist tot oder liegt im Sterben; es ist Zeit, seine Geschichte zu schreiben. So lange noch Zeugen seiner lebendigen Herrschaft da sind«, mit diesen Worten leitet Fritz Mauthner sein großes Atheismuswerk ein. Man kann diesem Nekrolog nicht widersprechen, wenn man sich ein wenig in der Gegenwart umgeschaut hat. Aber wahr ist auch, daß jedesmal, wenn die Götter gestorben sind, nun die Dämonen ihren Platz einnehmen. Die Dämonen, die an der Wiege jeder Religion stehen, später von den großen allgebietenden Kultusfiguren verdrängt oder zu Phantomen des Aberglaubens degradiert werden; sie kommen nach dem Fall der Götter noch einmal zu kurzem, wildem Leben aus dem Dunkel. So war's, als Griechenlands Götter für immer sanken, so ist es jetzt, wo der Gott des Christentums für die Mehrzahl der Gebildeten nicht mehr bedeutet als Osiris oder Jupiter. Die Religion, die einzig von der Gottesvorstellung lebt, steht unter pari, der naive Geisterglaube, der an uralte Traditionen anknüpft, blüht, wächst, gedeiht. Und wie! Werft nur einen Blick auf die Auslagen der Buchhändler oder gar auf die Litfaßsäulen. Es ist unglaublich, wie viele Leute lukrative Beziehungen zum Hades unterhalten. Früher war der Geisterseher ein armes, gepeinigtes Wesen, gekennzeichnet durch die Blässe des Somnambulen. Heute wird man bei der Profession fett und rund. (»So mancher spielt jetzt die Bratsche, dem einst kein Finger war heil ...«) Im übrigen will ich gar nicht so rigoros sein, den guten Leuten zu verübeln, daß sie ihren hilfreichen Ariel in erster Linie zur Besserung ihrer pekuniären Lage benutzen, aber seht nur einmal den Herrn Telepathen oder Geisterklopfer bei der Arbeit und urteilt, ob er nicht wirklich von seinem Hokuspokus überzeugt ist?! Das ist das eigentlich Deprimierende an der Geschichte, daß der »Magier« durchaus nicht klüger ist als sein Publikum. Wo sind sie hingekommen, die Cagliostro, Saint-Germain und die andern genialen Glücksritter des 18. Jahrhunderts, die im Menuettschritt die steile Pyramide der Gesellschaft spielend erklommen, und oben ein rasendes Gelächter anschlugen über die Verrücktheit ihres Säkulums? Was würden sie sagen zu den kleinen Pedanten, die heute in Mantik pfuschen und Horoskope stellen, und sensationslüsternen Bürgern den Astralleib der seligen Schwiegermama in den altgewohnten Schaukelstuhl applizieren ...?

Vielleicht das Traurigste an dieser okkultistischen Zeitkrankheit: es ist so wenig Sehnsucht darin, so wenig Verlangen, ewige Schranken zu überwinden. Die Schicht, die am meisten verdient hat und ihr Leben bis zum Zinksarg aufs schönste reguliert hat, kann sich nicht dabei bescheiden, daß auch diese Herrlichkeit einmal ein Ende hat. Auf Erden geschoben und Jenseits ... ein ewiges Schieben! Amen!

Und doch gibt es einen Spuk, der unsern transzendentalen Schnüfflern bisher merkwürdigerweise entgangen ist. Daß heute wieder Kanonenrohre gegossen werden, daß, nach diesem Kriege!, in aller Welt wieder eine Politik gemacht wird, genau wie jene, als deren Endeffekt sich die Schädelpyramiden in Ost und West repräsentieren ..., daß man in unserm lieben Deutschland wieder in rotgestreiften Generalshosen herumläuft, daß man sich mit dem »E.K.I.« spreizt, daß der ganze vornovemberliche Plunder mitten unter uns sich breit macht und auf »den« Tag wartet, und das nach all den tragischen Erfahrungen ..., ich glaube: ein solches Gespenstermeeting mitten unter uns, am hellen Tage ..., das ist ein Vorgang von so unerhört okkulter Kraft, daß daneben alle »Materialisationsphänomene« zur krassen Harmlosigkeit herabsinken und der staunenerregende Umstand absolut wurstig wird, daß das Medium Eva X.Y.Z. mit gütiger Assistenz des Schattenreiches den »Matin« mit der Photographie des Herrn Poincaré vomiert.

Monistische Monatshefte, 1. April 1921


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