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Was kostet der Mensch?

Aus Amerika, das schon immer das Feld einer ziemlich skrupelfreien Betätigungsfreude war, wird gemeldet, daß die New-Yorker Polizei einer Geheimorganisation auf die Spur gekommen sei, deren Mitglieder sich verpflichtet hätten, für sieben Pfund Sterling jeden beliebigen Menschen aus der Welt zu schaffen.

Das Italien der Renaissance kannte seine Bravi, jene Berufsmörder, die stets bereit waren, für eine Stange Geld oder manchmal auch nur ein paar Zechinen – es richtete sich ganz nach der Bedeutung des Opfers – einen Menschen unauffällig verschwinden zu lassen. Die Chroniken der Stadtrepubliken und Fürstenhäuser sind voll von solchen Unglücksfällen.

Tempi passati! Ewig vergangene Zeiten, da im Schatten seines Palastes ein Herr Orsini oder Malatesta mit einem zerlumpten Briganten um den Preis feilschte. Amerika packt das Problem zentral und eliminiert radikal allen individuellen Kleinkram. Ob Kavalier oder Bettler, Dame der großen Welt oder Straßendirne, ob es sich um Herrn Pierpont Morgan handelt oder um den armen schwarzen Jimmie, der in Coney Island seine Heuer versoffen hat und dessen bunt gewürfelte Hose immerhin noch einen Liebhaber anlockt, – es gibt nur einen Einheitspreis für die ganze Ware, die da Menschenantlitz trägt.

Was ist der Mensch? So haben durch vier Jahrtausende Religionsstifter und Philosophen gefragt, und lange, qualvolle Nächte des Forschens und Ringens haben ihre Locken gebleicht und ihren Optimismus gestärkt. Und abermals: Tempi passati!

Was kostet der Mensch? so fragen die nüchternen Amerikaner, die Söhne eines merkantilen Zeitalters, und die ebenso nüchterne Antwort lautet: sieben Pfund Sterling. Auf Grund welcher Berechnung diese Summe fixiert wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Nach oberflächlicher Schätzung dürfte im allgemeinen der Effektenbestand an Fleisch und Knochen allein einen wesentlich höheren Wert repräsentieren. Aber wie dem auch sei, schmeichelhaft ist diese Prämie nicht und kaum geeignet, das Selbstbewußtsein des modernen Menschen, an dem ohnehin schon genügend Würmer nagen, zu heben.

Berliner Volks-Zeitung. 16. September 1921


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