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Gespensterballett

Etwa ein Jahr vor dem Kriege veröffentlichte einer der Führer der französischen Sozialdemokraten, der dem unvergeßlichen Jean Jaurés nahestehende Marcel Sembat, ein Buch, das den seltsamen Titel führte: »Wählt einen König – oder macht Frieden/« Er führte darin dem französischen Volk zu Gemüte, wie töricht für die demokratische Republik Revanchegeschrei und Chauvinismus wären und wie das alles einfach der Reaktion zugute käme. Er stellte Frankreich vor die klare Entscheidung, entweder dem Frieden zu dienen und damit auch der Republik, oder aber sich dem Kriege zu verschreiben und damit der Monarchie.

Im Strudel der darauffolgenden Ereignisse ist das Buch untergegangen. Der Verfasser selber ist seinen Lehren nicht treu geblieben und ein begeisterter »Sozialpatriot« geworden. Aber unveraltet ist noch immer seine These vom Wesen der Monarchie und gerade für uns Deutsche dieser Tage von unheimlicher Aktualität. Denn auch bei uns ist die Revancheidee aufs engste verbunden mit der Wiederkehr des Monarchismus. Keine schönere Glorie kennt der Royalist als die blutige des Krieges. Aus dem Getümmel der Schlacht ragt ihm als Symbol der Drachenkamm des Königs.

Reißt vom Throne das bunte Tuch mit den stolzen heraldischen Tieren und ihr werdet die Schädelpyramide sehen!

*

Wollt ihr die Probe aufs Exempel? Seht zu, was sich in Ungarn vorbereitet. Aus Betrug und Rechtsbruch, Gewalttat und Meuchelmord ersteht die neue Monarchie. Seit dem traurigen Ausklang der überstürzten und schlecht untermauerten Räteregierung wirkt dort ein Bandenführer, ein Säbelherrscher als Wegbereiter des königlichen Drachenkamms. Für wen arbeitet dieser »Verweser«, der Tausende ruchlos Gemordeter verwesen und seine gepanzerte Faust schwer auf dem unglücklichen Lande wuchten läßt? Für Karl von Habsburg, den wortbrüchigen Weichling? Viel eher für die Dynastie Horthy.

Horthy-Ungarn, welch' ein Aroma von Perfidie strömt dieses Wort aus! Eine Zusammenstellung der reaktionären Schandtaten eines Jahrhunderts, projiziert auf den kleinen Zeitraum weniger Monate. Alles, was reaktionäre Phantasie in einem Säkulum ausbrütete, das wiederholt der gelehrige Schüler in Budapest in kürzester Frist. Die Tyrannei Altösterreichs, die italienische Patrioten in den Verließen der Feste Spielberg verfaulen ließ. Die sadistische Grausamkeit der Zarenknechte, die unsäglich gemeinen Systeme der »administrativen« Maßnahmen des kaiserlichen Rußlands, die Pogrome, die Henkerarbeit der Engländer in Irland, alles feiert seine Auferstehung in diesem Ungarn. Daneben Erinnerungen an Frankreichs Dreyfus-Tage, wie die Offiziers-Clique in Rennes Händedrücke wechselte (ein Teil saß auf der Anklagebank, während der andere als »Richter« fungierte). Unheimliche Ähnlichkeit auch, daß der verteidigende Advokat auf dem Wege zum Gerichtshof meuchlings von Schüssen niedergestreckt wird, wie einst Labori. Dann, komische Intermezzi gleichsam, Anklänge an Puttkamer, an Jagow, an den Staatsanwalt Brausewetter. Oder an den berühmten »Panduren-Keller« in Zabern, wo einst der schneidige Leutnant alles einbuchtete, was den Ausdruck staatsgefährlicher Intelligenz im Antlitz trug. Ja, ein einziger Panduren-Keller ist dieses unglückliche Ungarn geworden. Aber ohne jenen Beigeschmack von Komik, den das Elsässer Original in so reichlichem Maße besaß. Eher ins Große, ins Dämonische verzerrt. Das Beinhaus Horthys!

*

Begreift man nun, weshalb unsere Rückwärtsradikalen so sehr dies Ungarn feiern, das ein Schandmal Europas geworden ist? Nicht umsonst läßt ein immer wiederkehrendes Gerücht den Obersten Bauer in Budapest zu Füßen des Gewaltigen sitzen. (Legende! Bauer wird sich auf irgendeinem pommerschen Gut der gesunden Landluft freuen.) Das ist das Kennzeichen, daß diese Köpfe, mag auch die nationale Tünche verschieden sein, doch der gleiche Geist bewegt. Horthy und Lüttwitz, zwei Verkörperungen des gleichen Geistes, der die Regierung der »Ordnung, Freiheit und Tat« bildete.

Lüttwitz-Deutschland! Hat man ein Recht, solches Wort zu prägen? Denn Lüttwitz ist nicht Deutschland, nicht das Deutschland der Bürger und Arbeiter. Aber täuschen wir uns nicht: es gibt ein Deutschland, das die subalternen Züge dieses Generals trägt. Das ist das Deutschland feudaler Klüngel, die sich die Menschen nur eingeteilt denken können in Herren und Knechte. Das ist das Deutschland grüner Jungen, die überselig sind, wenn sie ein Gewehr schultern dürfen, die stets bereit sind, ihre Überlegenheit zu beweisen – Unbewaffneten gegenüber. Das ist das Deutschland, das die Züge dieses Generals trägt, mit aller Exzellenzenanmaßung und aller Exzellenzenborniertheit. Das ist das Deutschland, dessen Treuhänder in Redaktionen, Klubs und Parteibureaus in fieberhafter Spannung den Ereignissen im Osten folgen, ob sich nicht bald eine Gelegenheit zum Dreinschlagen biete. Wo die rohe Gewalt herrscht, dahin zieht sie ihr Herz. Und wenn sich Völker schlachten, dann kriechen sie heraus aus ihren Schlupfwinkeln wie Schnecken nach dem Regen.

*

Hin und wieder erlaubt sich die Geschichte mit uns Menschen ihre besonderen Späße. Sie ist wild vorwärtsgestürmt, Kronen sind übers Pflaster gerollt, Throne, Hermeline und Staatskonstitutionen zum Gerümpel geworfen. Aber dann scheint sie plötzlich inne zu halten und sich im Krebsgang rückwärts zu bewegen. So ist es im gelobten Jahre 1920, dem Jahre der Gegenrevolution. So wenig Sowjetrußland unseren demokratischen Prinzipien entspricht, wäre es den Ententesöldnern, den Koltschak und Denikin oder den Heeren Pilsudskis erlegen: der Triumph der internationalen Reaktion wäre vollkommen gewesen.

Es gibt aber eine gewisse historische Betrachtung der Dinge, die sich nicht zufrieden gibt mit der Konstatierung der faktischen Machtverhältnisse, sondern einzudringen versucht in das Fühlen und Wollen der Völker. Wer von dieser Warte aus unsere Gegenwart überblickt, der wird erkennen, daß das dreiste und aufgeblähte Treiben der Reaktion nicht auf eigener Kraft beruht, sondern auf der Uneinigkeit der Objekte dieser Regierungskunst.

Denn dieser Narrentanz mit Hakenkreuzen und kaiserlichen Fahnen, mag er auch noch so herausfordernd sein, er ist nicht mehr als ein Cancan von Gespenstern, die auseinanderjagen und in ihre Grüfte zurückfahren müssen, wenn der erste Hahnenschrei ertönt.

Ihr Völker, wir harren auf euer Signal! Ihr wollt in Frieden leben und schaffen, den Pflug handhabt ihr lieber als das Maschinengewehr. Ihr schreit auch nicht nach Rache der Wunden wegen, die der andere euch geschlagen hat. Wir wissen, ihr trauert, daß ihr selber Wunden schlagen mußtet. Ihr sucht im Menschen den Bruder, nicht das Schlachtvieh!

Ihr Völker, wie lange darf euch noch wesenloser Spuk narren? Seid ihr auch geduldig, einmal werdet ihr doch dem blutigen Phantom den Marschallstab aus den dürren Fingern schlagen, und für die Horthys aller Länder wird sich das bitterböse Wort bewahrheiten: »Lasset die Toten ihre Toten begraben!«

Berliner Volks-Zeitung, 1. August 1920


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