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Max Pallenberg ist ein großer Improvisator, ein Augenblicksspieler. Ein Mensch, vom Einfall berauscht, sein Herr und Sklave. Vielleicht die originellste Gestalt der gegenwärtigen deutschen Schauspielergeneration, die sich von guten Menschen so viel Ekstase nachrühmen läßt und doch vom Scheitel bis zur Sohle in starrer Technik und frostiger Bewußtheit steckt. Auch dieser Pallenberg hat Technik und Berechnung, kennt alle Möglichkeiten und Effekte, aber seine starke Natur weiß diese Elemente zu verarbeiten; die Technik hat ihn nicht, er hat sie. Und deshalb diese faszinierende Rundheit aller seiner Leistungen, deshalb keine Kluft zwischen seiner Kunst und den miserablen Sujets, die ihm in den letzten Jahren vorlagen. Wäre es ein anderer, man würde sagen: die Leistung ist groß, aber das Stück ist spottschlecht. Bei Pallenberg fragte man nicht nach dem Drumherum; er überbrückte wie spielend die Kluft. Gestern wollte diese Illusion nicht mehr gelingen. Eine starke Minorität pfiff und lärmte. Und in der Pause machte sich in den Gängen der Unwille schrankenlos Luft. Man sagte es offen heraus, daß man sich nur zurückhalte, um sich keiner Brutalität gegen den großen Künstler schuldig zu machen. Aber niemand, der die etwas turbulente Opposition im Prinzip verurteilt hätte.
Es ist natürlich schwer Rollen zu finden für einen Schauspieler von solcher Sonderart. Aber immerhin wird man doch Besseres finden als einen Schmarren wie »Jonnys Busenfreund«, der selbst klaftertief unter der »Lola« steht und nicht einmal lustig ist. Namentlich der letzte Akt, der als unerhörten Clou die körperliche Mißhandlung einer braven alten Lustspieltante bringt, verstößt in einer selbst auf der modernen Possenbühne selten vorkommenden Weise gegen das primitivste Anstandsgefühl. Wenn eben nicht Pallenberg selbst diese Widerwärtigkeiten gleichsam geläutert hätte mit jener ihm nur eigenen Mischung von Grotesk-Komik und hilfloser Menschlichkeit, der Skandal wäre auf offener Szene losgebrochen und hätte hemmungslos das ganze unwürdige Schauspiel zugedeckt.
Die Herren Meinhard und Bernauer werden demgegenüber achselzuckend auf den Neu-Berliner Geschmack verweisen und sagen: Was soll man diesen Leuten anderes bieten? Der gestrige Abend hat bewiesen, daß diese Rechnung, die vielleicht vor einem Jahre noch richtig war, heute nicht mehr ganz stimmt. Der Ungeschmack ist an einer Grenze angelangt, wo ihn das Grauen vor sich selber packt. Bedeutet das Gesundung? Oder ist es nur ein natürlicher Akt der Abwehr, bäumte sich der gesunde Menschenverstand auf gegen dieses Übermaß von Stupidität?! Jedenfalls, die Herren Meinhard und Bernauer, die nicht nur gewiegte Theaterpraktiker sind, sondern auch Theoretiker ihres Berufes, die man respektieren muß, sollten diese Signale beachten und einen großen Schauspieler wieder dorthin stellen, wo er hingehört: – mitten in die Kunst. Um Pallenberg war sehr viel Tüchtiges, was gleichfalls besser verwendet werden könnte. Da war Hans Waßmann, der einst Shakespeares Tölpel bei Reinhardt spielte, und Hermann Picha, urkomisch als schlauer, vertrockneter Medizinmann. Auch Lili Breda und Maly Delschaft und Rudolf Jünger könnten in einem guten Lustspielensemble bestehen.
Berliner Volks-Zeitung. S. September 1921