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Nürnberg und München
Das Oktoberfest

(Von unserem Sonderberichterstatter.)
Würzburg, 27. September

Nürnberg ist ein grauer verwitterter Stein in Gottes Spielzeugschachtel, aber Würzburg ein herrliches Schmuckstück, wenn es im vollen Sonnenlichte glitzert und gleißt. Dabei hat diese schönste Barockstadt Deutschlands viel Leben; wenn man vom »Käppele« auf die Stadt herunterschaut, blickt man wahrhaftig in kein Museum. Die Menschen sind heiter und geschäftig und haben viel Sinn für bessere Weinsorten. Würzburg ist viel freundlicher als Nürnberg und wirkt einheitlicher, obgleich die bauliche Erneuerung den Lokalcharakter durchaus nicht so streng gewahrt hat.

Wer deutsche Altertümer liebt, kommt allerdings in Nürnberg auf seine Rechnung. Stadtmauern, Tore, Türme, Verließe, Brunnen, uralte Weinstuben, das Bratwurstglöckle, diverse Kirchen, historische Erinnerungsstätten, das Germanische Museum mit perfekter Folterkammer, kleine winklige Gäßchen, in denen beständig Faust hinter Gretchen herzujagen scheint, kurzum, Nürnberg ist ein Stück Fabelwelt.

Aber das seltsamste ist doch der moderne großstädtische Verkehr zwischen den Häusern aus den Tagen Dürers und Pirkheimers. Das braust und brandet, ein Strom von Menschen mit Paketen und Aktenmappen; und dazwischen hupen die Autos und rasselt die Trambahn.

Am Abend ist der Blick vom Hallertor aus herrlich. Man steht am ehemaligen Stadtgraben, und es treppt sich dann die Stadt terrassenförmig auf, eine phantastische Arabeske, gebildet aus Türmchen und Giebeln und die Burg darüber als Krönung.

Das ist Alt-Nürnberg! Die Menschen müßten hier in pelzbesetzten Wämsern gehen und burgundischen Sendelbinden und langen spitzen Schnabelschuhen. Aber unten in den längst ausgetrockneten Mauergräben spielt Jung-Nürnberg. Und Jung-Nürnberg sieht blaß und schmalbrüstig aus; geht in die Fabrik, oder hockt auf hochbeinigen Bureauböcken.

Nein, die Illusion ist zerstört. Die Zeit ist nicht überwunden. Wir schreiben trotz der stummen Zeugen von 1500 ... 1921.

Und unten am Hauptbahnhof, am Eingang der belebten Königstraße, wo sich ein schwarzer dicker Flegel von Torturm trotzig reckt, patrouillieren in der Abenddämmerung täuschend echt imitierte Tauentzien-Mädchen und sind gern bereit, den Zugereisten mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt bekannt zu machen.

Es gibt viele schöne und muntere Städte im Deutschen Reich (Berlin gehört nicht dazu), aber ich kenne keine, die so in heiterer Anmut in sich ruht wie München. Es ist ein Festglanz im Bilde dieser Stadt, ein farbiger, arkadischer Schimmer.

Dabei ist der architektonische Charakter ziemlich gemischt. Es gibt gewiß viele schöne alte Bauwerke aus dem 17. und 18. Jahrhundert, auch die verschiedenen Ludwige sind ja nicht müßig gewesen; dennoch läßt sich nicht verhehlen, daß Klenzes und Schwanthalers Klassizismus überall außerhalb Münchens frostig wirken würde. Aber dieses Stadtbild ist scheinbar durch nichts zu verhunzen, nicht einmal durch die korpulente Bavaria!, auch was rein als Experiment oder unsicherem Geschmack entsprossen dasteht, fügt sich nicht nur ein, sondern bedeutet Steigerung und neue Nuance.

Vielleicht mag der lebhafte, südliche Einschlag eine Erklärung bieten. Jedenfalls, die Sonderheit Münchens ist eine Tatsache, die nicht wegdisputiert werden kann, und die jeder, der sie erlebt, als Gnade empfindet.

*

Das Oktoberfest! Die Bevölkerung einer ganzen Stadt befindet sich in einem Zustande, der – gelinde gesagt – ein lebhaftes Abrücken von der Nüchternheit bedeutet.

Die weite Theresienwiese ist ein Wallfahrtsplatz geworden nicht nur für die Münchener, sondern für ganz Ober- und Niederbayern.

Was ist eigentlich los? Zunächst sieht man nur eine Budenstadt mit Schaukeln, Karussells, Teufelsrädern, Lachkabinetten, verhexten Häusern, wie man sie anderweitig etwa zum Weihnachtsmarkt auch sieht. Das ist nicht das wesentliche, sondern: wie man hier diese Dinge nimmt. Jahrmarktstrubel gibt es wo anders auch. Aber nirgends mischt sich ein Ton von so herzlicher Unbefangenheit und so natürlicher Fröhlichkeit hinein. Und nirgends tobt sich Lebensfreude so breit und saftig aus.

In den gewaltigen Bierzelten musizieren die Oberländler Kapellen unter blauweißen, schwarzweißroten und schwarzrotgoldenen Bannern. Die politischen Unterschiede sind vergessen, die Standesunterschiede erst recht. Der Durst macht alles gleich. Die Bänke sind gedrängt voll. Auf den Tischen tanzen nicht nur die Maßkrüge..., nein, die alles andere als glatt parkettierten Tischplatten sind plötzlich zum Tanzplatz geworden, und es geht famos. Die Mädel juchzen, klettern ihren Anbetern auf die Schultern, auf den Kopf... irgendwo sehe ich ein junges Ding, wie eine neue Bavaria hoch in die Luft ragen, sie holt sich mit einer Hand einen Tannenzweig vom Türpfosten herunter; als Stützpunkt dient ihr die breite Pranke ihres Kavaliers.

Und dann der Heimweg. Die Zugangsstraßen vollgestopft mit himmlisch biervollen Menschen, die sichtbarlich für ein glückliches Dasein im Diesseits demonstrieren. Alles ist geputzt, mit bunten Bändern behängt, schwenkt Papierfähnchen, rote und grüne Ballons, Parasols en miniature.

Es ist ein verwegener Maskenzug. Laut und stürmisch, aber nicht roh. Ein Furioso steckt diesen Menschen in den Gliedern, und sie lassen sich gern von diesem Genius leiten. Die Frauen fungieren als Ordnungspolizei. Sie machen ihre Sache vorzüglich (energisch zwar, aber weit taktvoller und unparteiischer als Herr Pöhner).

Irgendwo im Dunkel zersprüht der Zug. Hausschlüssel rasseln, der Eheliebste wird die Treppe hinaufbefördert. Das Haustor schlägt zu... bums! Ein paar Mädel, konfettiüberschüttet, tauchen auf, kichern und kreischen und eröffnen ein harmloses Gefecht mit den jungen Burschen, die sich an sie heranpirschen wollen ...

»Lebt wohl, ihr Kleinen, euch ward schöner Tage Glück –, die schönen Nächte habt ihr noch zurück ...«

Servus!

Berliner Volks-Zeitung, 28. September 1921


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