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Nach der Schlacht

Der Wahlkampf ist zu Ende. Die Parteien stimmen entweder den Siegeskantus an oder zupfen Scharpie. Dennoch sind auch die Gesänge derjenigen, die mandategesegnet aus der Kampagne kommen, reichlich gedämpft. Und das ist gut so. Denn ein Ereignis wirft seine Schatten voraus, wichtiger als alle ephemeren innerpolitischen Geschehnisse: – die Londoner Konferenz! Daß Maurenbrecher gegen Stresemann offensiv wurde und bei seinem vollblütigen Temperament nicht so bald Ruhe geben dürfte, mag einen gewissen anekdotischen Reiz haben, bedeutsamer ist, daß Simons und sein Stab nun zur Reise rüsten. Ausschlaggebend aber ist, daß sie nicht als Vertreter einer Regierung, sondern als Sprecher eines Volkes auftreten können.

Denn wir dürfen kein zweites Spaa erleben. Damals erschien die Delegation einer Regierung, die nach schier verzweifelten Versuchen einer Kabinettsbildung schließlich in letzter Stunde entstanden war und den ganzen Ernst der Situation scheinbar erst am Verhandlungstisch erkannt hatte; tragisch wäre es geworden, wenn nicht die Persönlichkeiten von Simons und Hué wenigstens den äußeren Eindruck gerettet hätten. Das Land aber hatte einen Wahlkampf von unerhörter Knotigkeit hinter sich. Die Gemüter waren aufs äußerste aufgepeitscht. Dank der Agitation der Rechtsparteien schien man im Volk zu erwarten, unsere Vertreter brauchten nur mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und die Lloyd George und Millerand würden kuschen. Anstatt immer wieder mit gebührendem Ernst die wirtschaftlichen Aufgaben der Konferenz zur Debatte zu stellen, deklamierte man bis zum Ermüden immer wieder: Wir werden nicht entwaffnen, wir wollen nicht entwaffnen! Und lieferte damit den Ententepolitikern den willkommenen Vorwand zu allerschärfstem Zugreifen, stellte aber unsere Vertreter vor ein von Anbeginn verlorenes Spiel.

Dergleichen darf sich nicht wiederholen. Dr. Simons und seine Helfer stehen vor einem unerhört schweren Gang, sie werden sich zu messen haben mit der ganzen diplomatischen Geschicklichkeit, mit der ganzen politischen Ranküne, die Westeuropas Regierungen heute noch aufbringen. Wenn Deutschland ihnen einen Dienst erweisen kann, so ist es der, daß es einer gewissen Presse, die täglich ihre Entfesselungskunststücke zum besten gibt, den freundlichen Rat erteilt, ihre Glanznummern einstweilen zurückzustellen. Ob die einzelnen politischen Gruppen dem Volke mit der Seele dienen oder mit dem Mundwerk wird sich zeigen an dem Maß von Disziplin, das sie in diesen kritischen Tagen aufbringen. Ein einziger der beliebten Ausfälle gegen die »Schieberrepublik«, ein einziger antisemitischer Hetzartikel gefährdet unsere Unterhändler, kompromittiert sie, läßt sie gleichsam ohne festen Grund unter den Füßen erscheinen.

Es ist vielleicht ein Glück, daß sich die deutschnationalen Heldentenöre im Wahlkampf etwas ausgesungen haben und die natürliche physische Ermattung ihnen jene Reserve aufnötigt, die eigentlich das Ergebnis seelischer Bereitwilligkeit sein müßte. Nur der blauweiße Löwe brüllt noch ganz erschröcklich und schlägt mit dem Schweif einen furchtbaren Reif. Aber auch dieses Ungetüm wird durch den Reifen springen, wenn der nichtbayerische Rest Deutschlands unzweideutig sich auf den Standpunkt stellt, daß die Extravaganzen eines Bundesstaates nicht der Gesamtheit zum Schaden gereichen dürfen.

Wir stehen in London dem Imperialismus der Westmächte gegenüber. Möge es ein günstiges Vorzeichen sein, daß die Preußenwahlen dem innerpolitischen Imperialismus, wie er von den reaktionären Parteien verkörpert wird, nicht zum Siege verholfen haben!

Berliner Volks-Zeitung, 25. Februar 1921


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