Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32

Für Alfred Fried

Herrn Siemerings Angriff gegen Fried hat zwei neue Äußerungen gezeitigt: eine von Herrn Kötschke, die das Anklagematerial gegen unsern Führer um einen besonders fetten Happen vermehrt, und eine weitere von Herrn Kuntzen, die an meine Glosse im Januarheft anknüpft. Zunächst Herr Kuntzen. Ich habe hier nicht die Absicht, die Fragen zu beantworten, die Herr Kuntzen stellt. Sie sind durchaus nicht so ganz unbekannt; dafür haben unsere Gesinnungsfreunde in den andern Ländern gesorgt. Ich habe auch nicht die Absicht, dieses Frage- und Antwortspiel um ein Dutzend anderer naheliegender Fragen zu erweitern, z.B. um die Geschichte eines Raubstaates im Herzen des Deutschen Reiches, der aus dynastischen Interessen dieses Reich schonungslos zersetzte, und zur Großmacht geworden, von den Nachbarn mit einem Mißtrauen begrüßt wurde, das nach seinem Werdegang leider nicht ganz unberechtigt war. Das alles hieße das Thema verschieben, das zur Debatte steht. Es handelt sich ganz und gar nicht darum, womit dieser oder jener im Laufe der Geschichte sein Sündenkonto belastet und im Laufe dieses Krieges noch vermehrt hat, es handelt sich darum: wer diesen Krieg verbrochen hat! Und darin bin ich der gleichen Meinung wie Fried, daß dieser Krieg ein deutscher Präventivkrieg war. Von deutscher Seite wird das nicht unbedingt bestritten, aber gern verkleinert mit dem Hinweis auf die gesamte weltpolitische Entwicklung seit dem Ausgang der Bismarckischen Ära. Aber gerade weil die Luft so sehr erfüllt war von giftigen Stoffen, deshalb war es das denkbar größte Verbrechen, nun den Konflikt auf eine Weise lösen zu wollen, die unweigerlich den europäischen Krieg mit sich führen mußte. Das ist die unsühnbare Schuld der deutschen Machthaber von 1914. Und das hat uns den Haß der ganzen Welt zugezogen, daß wir kaltherzig jede andere Methode ablehnten, daß wir das beleidigte Rechtsempfinden der Welt unter unsern Willen zwingen wollten. Das hat uns so furchtbar isoliert. Daran ist unser Krieg zerbrochen; nicht allein an den Amerikanern und an französischer Strategie. Seit Jahren war die Welt durchdrungen von dem Gefühl der Möglichkeit eines europäischen Krieges. Der volle Haß der ganzen zivilisierten Menschheit mußte denjenigen treffen, der es zuerst übers Herz bringen konnte, einen Konflikt dermaßen auf die Spitze zu treiben, daß nur die Waffen noch Entscheidung bringen konnten. Und wollen wir zu den andern Völkern wieder in ein erträgliches Verhältnis kommen, wollen wir unsern Freunden im Auslande, wollen wir Wilson die Riesenaufgabe erleichtern, so muß von uns das offene und ehrliche Bekenntnis kommen: ja wir haben geirrt, indem wir die Methoden unserer Regierung billigten; wir waren im Unrecht, als wir glaubten, der feine Organismus des Völkerlebens ließe sich ganz einseitig mit den plumpen Mitteln der Gewalt behandeln. – Keine andere Brücke gibt es zur Seele der andern als diese. Die protzig zur Schau gestellte Unschuld des mächtigen Deutschlands hat Haß und Ekel erweckt, die störrische Rechthaberei des geschlagenen wird Ärger hervorrufen und faustdicken Hohn: – aber Isolierung auf alle Fälle! Und immer wieder wird Herr Jingo das prächtige Argument haben, daß auch die sozialistische Republik nicht mehr ist als eine knallrote Kulisse, daß der Geist aber der gleiche geblieben ist. Deshalb ist die deutsche Sinnesänderung so bedeutungsschwer; unsere Wiederaufnahme ins internationale Leben hängt davon ab. Die Schuldfrage ist keine akademische, wie es die neu erstarkende nationalistische Presse darzustellen beliebt – sie ist die deutsche Existenzfrage. Es bleibt das Verdienst Frieds, daß er einer der wenigen deutschen Politiker war, die von Anbeginn diese Problemstellung erkannten, und daß er ungeachtet der Angriffe und Verleumdungen, die hageldicht fielen von rechts und links, zielbewußt seinen Weg ging. Wenn Deutschland heute noch nicht allen Kredit verloren hat, so verdanken wir das den tapferen kriegsfeindlichen Minoritäten. Diese Minoritäten in Majoritäten zu verwandeln, vor der Aufgabe stehen nunmehr die Pazifisten. Davon hängt Deutschlands künftige Stellung in der Welt ab. Den historischen Fragen, die Sie mir stellen. Herr Kuntzen, stelle ich die sehr aktuelle Frage entgegen: Wollen Sie als Pazifist diesen Prozeß aufhalten?

Der Artikel Herrn Kötschkes ist mir ein guter Bekannter. Nicht wörtlich, aber doch wesensgleich, so habe ich ihn kürzlich in Rohrbachs »Deutscher Politik« gefunden und bestaunt. Ich weiß nicht mehr, was Herrn Kötschke damals dazu veranlaßt hat; ich wage nicht anzunehmen, er hätte Furcht gehabt, den Patriotarden der »Deutschen Politik« hätte Frieds neuester »Sündenfall« entgangen sein können. Herr Kötschke kann nicht darüber hinwegkommen, wie ein Deutscher so etwas wie die Worte Frieds über die Pariser Jubelfeier schreiben kann. Ich halte es für einen großen Vorzug des Friedschen Tagebuches, daß es sich nicht nur rein politisch gibt, sondern auch eine menschliche Saite lebhaft mitschwingen läßt. Was ist denn daran so Entsetzliches, wenn Fried schreibt, er fühle den Jubel eines Volkes mit und feiere im Grunde seines Herzens mit ihm? Ist ein starkes Massengefühl, das Millionen ergriffen hat, nicht etwas, das auch jenen durchwallt, der ihm unbeteiligt, ja ablehnend gegenübersteht? Haben wir Pazifisten nicht auch 1914 die nationale Hochflut gespürt; hat uns nicht auch das Pathos dieser Bewegung gepackt und unsere Seelen erbeben lassen, während der kritische Verstand mühsam genug versuchte, uns aus dem Getriebe zu retten und auf eine höhere Warte zu führen? Ich glaube, Frieds Geständnis ist wenig geeignet, Herrn Kötschkes Entrüstung zu rechtfertigen. Ich glaube, den Politiker Fried ehrt das feine Verständnis für die Psyche anderer Völker. Vielmehr als die in der Tasche geballte Faust des Herrn Kötschke ist Frieds freie Menschlichkeit geeignet, eine Versöhnung mit den Franzosen anzubahnen. Der Pazifist soll zu seinem Volke stehen. Ausgezeichnet! Aber wie steht es mit Fried? Er hat für das Volk gegen die Machthaber gekämpft, die es belogen und mißbrauchten. Zu seinem Volk stehen, das heißt der Wahrheit dienen und auch dann fest bleiben, wenn sich das Volk als Ganzes mit der Lüge identifiziert. Ist es denn eine würdige Haltung, mit dem Gefühl der Unwahrheit im Herzen »mit dem Volke zu gehen« und nur hin und wieder eine laue, nie den Wesenskern treffende Kritik sich zu erlauben? Ist da nicht die offen angesagte Fehde stärker und würdiger?

Diesen Weg hat Fried gewählt und ist in den vergangenen vier Jahren ein Stück deutschen Gewissens gewesen. Hätte er die Taktik Siemerings gewählt, die ja auch Herr Kötschke gutzuheißen scheint, es hätte bei der großen Novemberabrechnung für ihn und die von ihm Geführten geheißen: mitgefangen, mitgehangen! Die nationale Isolierung, die scheinbar antinationale Haltung, hat den deutschen Pazifismus gerettet; andernfalls wäre er auf den großen Scherbenhaufen gewandert, wie alles, was von 1914 bis 1918 in nationaler Politik gemacht und so rührend uneigennützig in Not und Kot »zum Volke gestanden« hat.

*

Die vorstehenden Zeilen waren bereits in Druck gegeben, als ich die Bemerkungen des Herrn Dr. Seber über »Herr Siemering, der Pazifist« zu Gesicht bekam. Sachlich bringt auch Herr Dr. Seber nichts weiter als das gleiche aus dem Zusammenhang gerissene Zitat, aber der etwas dunkle Ton der von ihm gewählten Vortragsweise nötigt mich doch zu einer besonderen Erwiderung. Den Vorwurf der Ketzerrichterei ertrage ich seelenruhig; dergleichen widerfährt jedem, der im Interesse der Geschlossenheit einer Sache und zum Schutze gegen Eingänger. Außenseiter und Überläufer auf sichtbare Demarkationslinien hält. Das ist kein Anathema, sondern Notwehr. Verwahren aber muß ich mich dagegen, daß Herr Dr. Seber es für passend hält, meine monistische Gesinnung in diese Debatte über rein pazifistische Angelegenheiten zu ziehen. Wenn Herr Dr. Seber meint, ich wäre Monist, d.h. Mitglied des Monistenbundes, so bin ich nicht schwerfällig genug, um die Bedeutung dieser Unterscheidung zu überhören, und ich antworte ihm mit Schnitzlers Professor Bernhardy: Der Herr verzeih' Ihnen – Sie wissen verdammt gut, was Sie tun –!

Nun zur Sache! Fried hatte sich zwei Aufgaben gestellt: einerseits Aufklärung zu schaffen über Wesen und Motive der deutschen Kriegspolitik, andererseits das Ideal der Überstaatlichkeit aufrechtzuerhalten gegenüber den mänadenhaft rasenden Eigensüchten der Mächtegruppen. Auf den Ententeimperialismus hatte er ebensowenig Einfluß wie Herr Dr. Seber – – aber ein Stück des Weltimperialismus war für ihn greifbar, nämlich der deutsche Anteil dieser internationalen Seuche! Und dagegen hat er mit der ganzen Kraft eines leidenschaftlichen Menschen gekämpft. Und wenn heute der deutsche Imperialismus abgetan ist, so hat damit allerdings noch nicht die universale Idee des Pazifismus gesiegt. Doch wer will verkennen, daß damit eine Brustwehr festester Konstruktion eben gegen diese universale Idee zusammengebrochen ist? Und Recht behalten hat der Pazifismus jedenfalls gegenüber einer Politik, die glaubte, den Kampf mit einer Welt aufnehmen zu können. Nun hätte Siemering ungestört die pazifistische Theorie, wie sie Fried vertrat, kritisieren können. Das Entscheidende ist leider, wie er es tat. Daß er alle üblen Geister des Nationalismus mobilmachte, daß er, ohne selbst fähig zu sein, eine eigene Theorie aufzustellen, sich darauf beschränkte, bei jeder Gelegenheit »Vaterlandsverrat« zu rufen, das ist das Trennende. Daß Herr Siemering Imperialismus und Pazifismus nicht unterscheiden kann, ist bei einem langjährigen Pazifisten zwar bedauerlich aber immerhin seine eigene Angelegenheit. Daß aber Herr Siemering unserer durch den Kriegszustand schwer leidenden Bewegung, wo er nur konnte, Knüppel zwischen die Beine warf, das reizt zur Abschüttelung auf.

Im Gegenteil zu Herrn Siemering hat Herr Dr. Seber allerdings eine eigene pazifistische Theorie entwickelt und in diesen Blättern wiederholt verfochten. Leider habe ich diese Hefte nicht mehr zur Hand. Wenn ich mich recht entsinne, sah Herr Dr. Seber die imperialistische Entwicklung nun einmal als die gegebene an und forderte vom Pazifismus eine an Selbstaufhebung grenzende Einordnung in diese Entwicklungstendenz mit der vagen Aussicht, einmal auf dem indirekten Wege der pazifistischen Durchsetzung dieses Gebildes zum Ziele zu kommen. Aber diese Theorie stand und fiel mit dem deutschen Siege. Denn nur ein solcher wäre imstande gewesen, den mitteleuropäischen Block dem ententistischen entgegenzustellen. Und wenn Herr Dr. Seber sich über den Pazifismus » Friedscher Prägung« mokiert und ärgerlich ausruft: Das ist Herr Fried, wie er leibt und lebt! – so liegt darin doch ein Zugeständnis: nämlich, daß Fried lebt! Ein solches politisches Leben kann man Herrn Dr. Seber leider nicht zusprechen; sein Pazifismus war ohne jede Prägung, ganz an vorübergehende Konstellation gebunden und mußte mit dieser zugleich dahinfahren. Mag man sich zu Frieds Methoden im einzelnen stellen wie man will – jedenfalls hat er ein Ideal aufgestellt, das nicht auf Gedeih' und Verderb' mit dem Siege irgendeiner Mächtegruppe verknüpft ist, sondern Lebenskraft und Werbekraft hat – – das Ideal Europa, den überstaatlichen Gedanken! Herr Dr. Seber hat dagegen seinen ohnehin nicht hervorragenden pazifistischen Hausrat Stück für Stück opfern müssen, seiner Theorie zuliebe. Nun ist das Schicksal erbarmungslos über sein Geschöpf hinweggewalzt, und von dem bedauernswerten Vater ist nichts weiter geblieben als ein schimpfender Nationalist.

Und deshalb wohl auch die Sympathie für einen, den die Entwicklung in ähnlicher Weise depossediert hat, für Dr. Paul Lensch. Auch Dr. Lensch hat eine Theorie verfochten, die der des Herrn Dr. Seber aufs Haar ähnlich sah; und nachdem die Flut seine Felle weggetrieben hat, bleibt dem betrübten Lohgerber nichts weiter zu tun als zu rufen: Dieser, mein Gegner, ist genau so blamiert wie ich! Nein, Herr Dr. Seber, eine solche Taktik ist zu durchsichtig. Paul Lensch, der Sozialimperialist, der Weltrevolutionierer, der Freund der Chauvins und Annexionisten der Deutschen Kolonialgesellschaft, das ist nicht die Autorität, mit der man einen Gegner mattsetzen kann. Das ist eine Zielscheibe für Anfänger.

Monatliche Mitteilungen des Deutschen Monistenbundes.
Ortsgruppe Hamburg, 1. April 1919


 << zurück weiter >>