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Ludwig Thoma
Eine Leichenrede

Motto: Sie haben einen guten Mann in Essig gelegt, und uns war er mehr.

Nun im Neuen Volkstheater in der Köpenicker Straße die »Lokalbahn« des seligen Ludwig Thoma ihre Auferstehung feiert, lasset mich in einigen schlichten Worten des teuren Verblichenen gedenken.

Wie ihr alle wißt, ist unser Peter Schlemihl mit 47 Jahren am 4. August 1914 nach kurzer, schmerzlicher Bedenkzeit, ob er weiterleben solle oder nicht, gestorben. Seine Grabstätte ist unbekannt, aber sein Denkstein sind die ersten 17 Jahrgänge des »Simplicissimus«. Da lebt er, ein frischer, saftiger, breiter Kerl. Ein Philisterschreck. Einer, der nichts schonte, was faul war im Staate Germanien. Nicht Wilhelms Krone, nicht Wilhelms Junker, nicht Wilhelms Offiziere, nicht Wilhelms Untertanen. Straff war seine Bogensehne und der Pfeil immer gut geölt. Jeder wußte, was Thomas Geschoß bedeutete. Das Biergesicht mit den Schmissen, der schneidige Herr Reserveoffizier, der politische Kaplan, der schlotterbuxige Liberale ... Und dann der Herr Zensor, der Herr Zensor, der Herr Zensor ...!

Aber wenn das Opfer dann am Boden lag, dann kam von irgendwo ein dröhnendes, befreiendes Gelächter und eine etwas schartige Baßstimme brüllte aufmunternd und lebenspendend:

»G'suffa!«

Ich will nicht glorifizieren. Aber wir haben ihn geliebt. Er ist für uns alle ein Stück unserer Jugend. Er war kein Genie und tat auch nicht so. Er war inmitten von Duckmäuserei und Karriereängsten ein aufrechter Kerl allezeit, der sich nicht genierte, wo Krethi und Plethi in Uniform und Ornat hudelte, offen auszusprechen, daß Majestät ja gar keine Kleider anhabe. Das war sein Verdienst, und deshalb haben wir ihn geliebt.

Und heute, wo das Neue Volkstheater dieses Komödienspiel von 1902 wieder aus dem Kasten geholt hat, da, mitten zwischen Schimpf und Ernst, zwischen Natur und Karikatur, ist es, als summte jemand das alte Lied vom guten Kameraden. Und unwillkürlich folgen unsere Finger im Takt, und aus einer melancholischen Dämmerung steigen Bülow-Block und Dr. Heim und Josef Filser auf. Und jene große Aktion des Staatsanwalts wegen der herrlich frechen Verse zum Eulenburg-Prozeß, die in der freundlichen Aufforderung an die Herren Hofprediger gipfelten, sich nicht länger in Schweigen zu hüllen und also schlossen:

Scheuchet jeden argen Zweifel,
daß er baldigst sich verliere,
gründet Magdalenenheime
auch für Gardeoffiziere ...

Ach, liebe Leidtragende und Freunde des längst Verblichenen, soll ich nun noch darauf eingehen, daß jetzt dort unten in München ein korpulenter Herr mit dem Orgeschstutzen in der Hand sich an Herrn Escherichs Seite photographieren läßt und mit einer Hartnäckigkeit, die besserer Sache würdig wäre, behauptet, der Ludwig Thoma zu sein, der doch 1914 gestorben ist?! Es ist ein zu weiter Weg vom Peter Schlemihl bis zum Leitartikler des Moniteurs von Miesbach, als daß ein Mensch diese Strecke jemals durchmessen könnte. Lassen wir dem dicken Herrn sein Vergnügen. Dem Toten da macht's keine Beschwerden mehr.

Weihen wir ihm einen Kranz von Immortellen, mit Radi und Bierwürsten durchflochten.

Ruh' in Frieden, Ludwig Thoma ...

G'suffa!

*

Das Neue Volkstheater bewies wieder einmal, wieviel gute Kräfte es für eine sozialsatirische Farce einzusetzen hat. Unter Friedrich Lobes Regie schufen Fritz Lion, Armin Schweizer und Manfred Fürst prächtige Philistertypen. Ernst Laskowski persiflierte bureaukratisches Strebertum, Paul Herm repräsentierte lächelnde Skepsis, und Fränze Roloff als giftgrünes Familienreptil schien einem Gulbranssonschen Album entsprungen zu sein.

Berliner Volks-Zeitung, 19. Juni 1921


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