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Hagemanns hamburger Zeit

Nur noch wenige Tage und Carl Hagemann verläßt nach knapp dreijähriger Wirksamkeit seinen Posten als Leiter des Deutschen Schauspielhauses. Seine letzte Regieleistung wird, wie die Blätter zu berichten wissen, Eulenbergs »Alles um Geld« sein. Eine letzte Herausforderung des Publikums, dessen Gunst er mit dem Bruderstück »Alles um Liebe« gründlich verscherzt hat. Ein feiner Florettstich auch gegen die Macht, die ihm seine künstlerische Tätigkeit am meisten verleidet hat. Der große Krach bei der Premiere von »Alles um Liebe« war wider Erwarten vereinzelt geblieben. Es kam schlimmer. Passive Resistenz wurde geübt. Auch Konzessionen zogen nicht. Die Aktionäre grollten der leeren Häuser wegen. Die Histrionen sagten den Gehorsam auf. Viel Kabale, wenig Liebe. Und Hagemann ging.

Hier ist nicht der Ort zu entscheiden, ob Dr. Hagemann für seinen Plan, das hamburger Publikum für ein Kulturtheater zu erziehen, den richtigen oder unrichtigen Weg gefunden hat. Vielleicht mag man verneinen, daß es taktisch klug gehandelt war, schon in der ersten Saison ein demonstrativ modernes Programm aufzwingen zu wollen. Das Problem ist heikel. Fast scheint es, als wäre für litterarische Wagnisse bis auf Weiteres Berlin der einzige Ort.

Es ist viel behauptet worden, Hagemann wäre über die Bergersche Tradition gestrauchelt. Zur Berichtigung, daß von einer solchen Tradition schon heute, nach drei Jahren, nichts mehr zu spüren ist. In einem Nachrufe im »Kunstwart« hat Gregori Bergers hamburger Spielplan mustergültig genannt. Sehr anfechtbar! Berger war ein viel zu kluger Kompromißler, um den permanenten Kleinkrieg auf sich zu nehmen, gegen ein recht konservatives Publikum einen »mustergültigen Spielplan« durchzusetzen. Man blättre nur einmal in dem stattlichen Bande, den das Deutsche Schauspielhaus anläßlich seines zehnjährigen Bestehens veröffentlicht hat. Gewiß, viele Klassiker. Leider auch olle Camellen. Die neue Litteratur recht vernachlässigt. Das Fazit wäre: um seine Götter Hebbel und Ibsen zu retten, ließ Berger unbedenklich flauestes Unterhaltungsfutter überwuchern. Mit rührender Sorgfalt wurde jeder neue Blumenthal gebracht. Und Publikus nahm die spärlichen litterarischen Taten des Direktor dankbar auf. Besonders weil es dadurch billig zu einem Nimbus kam.

Über eine Bergersche Tradition kann also Hagemann kaum gestrauchelt sein. Darf man denn einer Folge von Kompromissen schon die große Erbschaft einer künstlerischen Tradition zutrauen? Bergers Wahlspruch mag sicher gewesen sein: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst! Er liebte prunkvolle Räume mit prächtig gekleideten Menschen, malerisch aussehende Krieger mit verwegenen Federbüschen und glänzenden Rüstungen. Zackige Felsen mit hohen, ragenden Bäumen, purpurne Sonnenaufgänge und goldige Abendröten. Hagemann liebt – charakteristische Kostüme. Liebt den Rundhorizont, der alle Herrlichkeiten des Schnürbodens einsam verschimmeln läßt. Er liebt den kargen, wuchtigen Aufbau der Stilbühne, die langen feierlichen Falten dunkelroter Vorhänge. Armer himmelblauer Prospekt mit Sonne, Mond und allen Sternen, jetzt liegst du zusammengerollt im Magazin und harrst der Auferstehung!

Bald hatten es die Abonnenten herausgefunden: er bietet nichts fürs Auge! Und er bot auch keine Unterhaltung im konventionellen Sinne. Nicht umsonst hat er einmal gesagt: Ernst ist das Leben – ernst ist auch die Kunst! Er war sich bewußt, viel zu geben. Und verlangte auch viel! Aufmerksamkeit, Regsamkeit – Resultate! Die Leute erkannten die Geste und wurden wütend. Berger mit seiner legeren Miene schien sich alle Herrlichkeiten aus dem Ärmel geschüttelt zu haben.

Hagemann begann mit einem Shakespeare'schen Lustspiele. Dann folgte Strindbergs »Totentanz«, eine Tasso-Neuinszenierung, »eine Frau ohne Bedeutung« von Wilde. Eulenbergs »Alles um Liebe« setzte dem Aufstieg bis auf Weiteres ein Ziel. Der bis dahin so feste Kurs war von nun an Schwankungen unterworfen. Kompromisse blieben nicht aus. Und doch stand das Repertoire bis zuletzt höher als zur Bergerschen Zeit. Von Strindberg gab es »Ostern«, »Gläubiger« und »Fräulein Julie«. Von Hauptmann den »Bieberpelz« und den »Gabriel Schilling«. Von Wedekind »Hidalla«, von Schnitzler so vieles, daß sich anläßlich seines fünfzigsten Geburtstages mühelos ein kleiner Schnitzler-Cyklus arrangieren ließ. Außer Neuinszenierungen sahen wir gute moderne Stücke von Wilde, Bahr und manchem Andern. Sogar Wagnisse fehlten nicht. »Michel Michael« von Richard Dehmel, »Alt-Nürnberg« von Charles Leyst, »Belinde« von Eulenberg. Besonders »Alt-Nürnberg« brachte Hagemann viele Anfeindungen. Hier kein Urteil über das Werk! Aber ein Theaterleiter hat die Verpflichtung, unbekannten Autoren den Weg zu ebnen. Er ist aber ebensowenig über Irrtümer erhaben, wie die Hamburger Tageskritik.

Was ließe sich über die dreijährige Tätigkeit des Regisseurs Hagemann abschließendes sagen? Daß es in Deutschland kaum einen ernsthaftern und phrasenloseren Regisseur gibt, keinen, der zäher mit den Problemen ringt. Unter Verzicht auf eine »günstige« Presse und allzu bereitwillige journalistische Tubenbläser. Er hat nichts von vorüberhastender Sensation. Ernst wie er ist, will er zu ernster Beschäftigung anspornen. Doch dem Ringenden fehlt die leichte Phantasie, fehlen die Schwingen. Ihm, der unermüdlich an seiner Vollendung arbeitet, fehlt das Sublime. Man vermißt manchmal die Heiterkeit des Geistes. Ich denke an Inszenierungen Shakespeare'scher Lustspiele. Hier gab er die kräftigen Linien farbiger Holzschnitte anstelle einer Farbensymphonie.

Bergers leichte, sprühende Begabung war der ewigen Freude der Komödien Williams entschieden näher gekommen. Dennoch war es Hagemann einmal gelungen seinen unermüdlichen Intellekt zu überwinden. Im »Schleier der Beatrice« beschwor er wirklich den farbigen Abglanz lichter Phantasiewelten. Da war die Renaissance lebendig geworden mit ihren kriegerischen, eisenstarrenden Tagen und den ränke- und lustvollen Nächten. Zwischen weißen Marmorsäulen, in schimmernden Nebel eingehüllt, wirbelten Gestalten mit gelösten Haaren, bacchantengleich, orgiastisch beschwingt. Ich weiß nicht, ob Hagemann ein zweites Mal so viel leichte Geistigkeit gezeigt hat.

Aber unbestritten war seine Leistung auf dem Gebiete moderner Konversations- und Thesenstücke. Wo es sich darum handelt, energische Konturen zu zeichnen, zu printieren, Licht und Schatten zu verteilen, ist seine scharfe, diesseitige Intelligenz recht an ihrem Platze. Was er hier leisten konnte, hat er noch kürzlich in der Inszenierung des »Professor Bernhardi« gezeigt. Glänzend arrangiert waren die langen Diskussionen, von feinster Beobachtung zeugte die Wiedergabe der tumultarisch verlaufenden Konferenz. Alles war so ungezwungen, so selbstverständlich, daß sich nicht ein Augenblick der Ermüdung einschlich. – Nun wird Hagemann bald seine hamburger Tätigkeit aufgeben, da er nicht die Möglichkeit einer Arbeit in seinem Sinne mit Konzessionen erkaufen will. Die Aktionäre haben zu seinem Nachfolger einen Herrn der »alten Richtung« bestimmt, von dem sie eine Fortführung der »Bergerschen Tradition« erwarten. Hagemann, der als Aufrechter weicht, wird es sich selbst vielleicht kaum eingestehen, daß er hier in Hamburg dennoch eine Tradition hinterläßt, und daß sein Nachfolger straucheln wird, wenn er diese Tradition etwa ganz außer Acht lassen sollte.

AdK-O. N Maud v. Ossietzky, 78/8


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