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Vorwort [zum Verhandlungsbericht des 8. deutschen Pazifistenkongresses], 1919

Der 8. Deutsche Pazifistenkongreß, der vom 13.-15. Juni 1919 in Berlin in den Räumen des früheren preußischen Herrenhauses tagte, unterschied sich von früheren Tagungen dieser Art durch das starke Interesse, das ihm die Öffentlichkeit entgegenbrachte. Daß sich die Pazifisten in einem Augenblick höchster politischer Spannung zu einer Aussprache zusammenfanden, sicherte ihren Beratungen die Anteilnahme weitester Kreise. Die Presseerörterungen, die sich an diese Verhandlungen knüpften, waren bedeutsamer als jemals. Und wenn auch die Beurteilung keine einheitliche war, und scharfe Kritik neben vorbehaltlose Zustimmung trat, so blieb doch der Eindruck zurück, daß die Zeit zu Ende sei, in der der Pazifismus die Rolle des Stiefkindes der hohen Politik gespielt hatte, daß er nun eine Macht sei, mit der jeder real denkende Politiker zu rechnen habe. Und der zum Teil recht lebhafte Widerspruch mancher Gruppen und Einzelpersonen beruhte nicht auf grundsätzlich anderer Einstellung, sondern auf anderer taktischer Anschauung und ließ bei Gegnerschaft im einzelnen das Prinzip unberührt.

Für Deutschlands Pazifisten selbst war dieser Kongreß die Erfüllung eines längst gehegten Wunsches. Das Beratungsmaterial hatte sich angehäuft. Da waren Fragen grundsätzlicher und taktischer Natur zu besprechen (Stellungnahme zur Haltung des Pazifismus im Kriege, zu den aktuellen Fragen: Friedensschluß usw.). Ebenso solche rein organisatorischer Natur, aber von der gleichen Bedeutung (Fusionierung mit der Zentralstelle Völkerrecht). Die letzte Tagung der Deutschen Friedensgesellschaft hatte in Kaiserslautern stattgefunden am Vorabend des Krieges, im Mai 1914. Dann waren im Laufe des Krieges noch zwei Generalversammlungen abgehalten worden: 1915 in Leipzig und 1917 in Erfurt. Auf beiden lastete der Belagerungszustand, an eine freie Behandlung der großen Zeitprobleme war also in beiden Fällen nicht zu denken gewesen.

So bedeutete der Berliner Kongreß nach 5 Jahren das erste Zusammentreffen der deutschen Pazifisten zu wirklich freier Aussprache. Das gab ihm sein besonderes Gewicht und erklärt auch die Länge und scheinbare Ziellosigkeit mancher Debatten. Nach Jahren leidvoller Isolierung waren diese Männer und Frauen zum ersten Male wieder beisammen. Was lag also näher als die Frage: Haben wir alles getan, was wir zu tun hatten, und wie werden wir in Zukunft arbeiten müssen? Dieser Umstand gab der Tagung ihre eigene Färbung und ließ einen Unterton von Leidenschaft mitschwingen, der manchmal überraschen mußte.

Am Abend des 12. Juni versammelten sich die Teilnehmer im Ebenholzsaal des »Rheingold« in zwangloser Geselligkeit. Herr Pastor Franke als Sprecher der Berliner Ortsgruppe hieß in herzlichen Worten die Delegierten willkommen und wies auf die gefährlichen inner- und außenpolitischen Spannungen hin. Es folgte eine Reihe von Begrüßungsansprachen durch Vertreter befreundeter Organisationen. Für den Bund Neues Vaterland sprach Herr Lehmann-Rußbüldt, für den Deutschen Frey-Bund Frau Klara Körber, für den Bund für radikale Ethik Herr Magnus Schwantje, für den Bund Internationaler Studenten Herr Lindemann, für die Liga zur Förderung der Humanität Herr Prof. Nicolai. Von den Anwesenden mit Beifall begrüßt, trat Herr Prof. Nicolai in warmen Worten für einen radikalen Pazifismus ein, ohne Kompromisse und mit scharfer Zielsetzung. Den Vertretern befreundeter Vereinigungen schlossen sich nunmehr die Delegierten etlicher Ortsgruppen an, um über ihre Erfahrungen in Stadt und Land zu berichten. Herr Prof. Quidde verlas eine Reihe von Telegrammen an die Geschäftsleitung, unter anderm ein Telegramm von Dr. Herrn. Popert, in dem dieser den Pazifismus warnte, sich in der Frage der Kriegsschuld einseitig festzulegen. Herr Prof. Quidde knüpfte daran die Bemerkung, daß es verfehlt sei, die Schuldfrage als eine solche der Gesinnung zu behandeln; sie sei lediglich eine Frage des kritischen Urteils. Nicht von der Stellung zur Schuldfrage hänge es ab, ob einer als Pazifist anzusprechen sei oder nicht.

Damit war aber auch das Thema berührt, in dessen Bann die nun folgenden Verhandlungen standen. Und so scharf auch zum Teil die Auseinandersetzungen waren, es war in allen doch das Gefühl lebendig: es ist der Sache wegen. Nach der glänzend verlaufenen öffentlichen Versammlung vom Sonntag versammelte noch einmal ein gemeinsames Mittagessen die Teilnehmer des Kongresses.

Gewiß hat dieser Kongreß nicht alle Wünsche erfüllt, mußte aus Mangel an Zeit an manchem Wichtigen vorübergleiten. Aber bei allen Unzulänglichkeiten bleibt ihm seine unbestreitbare Bedeutung: er ist in Deutschland die erste wirkliche Heerschau des Pazifismus nach dem Kriege gewesen. Und aus seiner Beurteilung im Inland wie im Ausland läßt sich nur der Schluß ziehen: ohne den Pazifismus geht es in Deutschland nicht mehr, ohne die tätige Mitwirkung pazifistischen Geistes ist eine deutsche Neugestaltung nicht denkbar.

Verhandlungsbericht des 8. deutschen Pazifistenkongresses, 1919


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