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Der Adlerknopf

Der letzte Parteitag der Unabhängigen Sozialdemokratie hat mit einem schroffen Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats geendet. Es soll hier nicht untersucht werden, ob diese Forderung unbedingt aus der marxistischen Doktrin abzuleiten sei; wenigstens behaupten gerade die alten Marxisten das Gegenteil. Leider verfangen ihre Argumente recht wenig. Die große Masse der radikalen Sozialisten verlacht die Demokratie und läßt sich vom Gedanken der Diktatur faszinieren, obgleich die Tatsachen ihm überall, wo er Wirklichkeit wurde, übel zugesetzt haben. Es ist vergeblich, gegen eine Volkspsychose mit Logik anzukämpfen. Man denkt an 1914 und resigniert.

Wie kommt es aber, daß so viele, sonst leidlich vernünftige Menschen wie behext auf dieses Wort »Diktatur« starren, als trüge es das goldene Zeitalter in sich? Das deutsche Volk ist weder grausam noch blutdürstig. Ausgeprägte Leninisten gibt es bei uns wenig. Nur ein kleiner Flügel der Diktaturgläubigen stellt kaltblütig den Terror in Rechnung; die meisten bestreiten entschieden, daß der Terrorismus aus der Diktatur sich konsequent ergeben müsse. Der deutsche Durchschnittsarbeiter stellt sich die Überführung der Produktionsmittel an die Gesellschaft nicht in der primitiven Wiese vor, daß zunächst ein jeder nach Herzenslust sich die Taschen füllt. Vielmehr schwebt ihm eine strenge Ordnung vor. Aber diktatorisch muß es dabei zugehen. Rotgardisten verkörpern den kategorischen Imperativ der neuen Gesellschaft. Kräftige Kommandostimmen bringen die Einwürfe bemitleidenswerter »Sozialpazifisten« zum Schweigen. Entwicklung? – Blödsinn! – Wir haben die Macht!

Wie gesagt: wir Deutschen sind keine Nation von Petroleuren, aber das Diktatorische liegt uns im Blut. Das verdanken wir der sehr gründlichen militaristischen Erziehung, die sich auch bei dem wildesten Sozi leider nicht verleugnet. Das verdanken wir dem Geschichtsunterricht mit seinem kriechenden Hohenzollern-Kultus. Das verdanken wir der Kaserne, dem Kriegerverein, der Unteroffizierschule, der erlauchten Kaste der Reserveoffiziere. Und dabei ist das bißchen Bürgerstolz, das schließlich auch den Deutschen in die Wiege gelegt worden ist, vollkommen unter den Wagen geraten. Niemand hat es gepflegt. Die »vaterländische« Presse hat tagtäglich festgestellt, daß dergleichen ein Bestandteil des Charakters der westlichen Demokratien sei, die sich dadurch vom deutschen Kaiserreich nicht gerade zu ihrem Vorteil unterschieden. Dafür hat man uns das Ideal der Pflichterfüllung und des Gehorsams gepriesen. Der Obrigkeit allezeit gehorsam sein! Aber auch die Obrigkeit besteht nur aus Menschen, und darum kannst du selber einmal Teil der Obrigkeit werden, und dann ... lieber Gott, dann hast du den Hochgenuß, andere zum Gehorsam zu bringen, auch wenn sie klüger sind als du –! Dann schrumpft dein sterblich Teil mehr und mehr zusammen, du handelst nur der Sache wegen. Du verkörperst eine Idee. (Oder du bildest es dir wenigstens ein.)

In der »Liller Kriegszeitung«, deren fünf Jahrgänge der Verbrennung eher würdig wären, als die von Leutnant v. Simon aus dem Zeughause geholten französischen Fahnen, hat einmal der den Briefkasten betreuende Unteroffizier die wichtige Frage zu beantworten gehabt, wann der Adlerknopf am Sergeantenkragen eingeführt sei. Und er antwortete mit jener Gewissenhaftigkeit, die alle unter der Ägide des Hauptmanns der Landwehr Paul Oskar Hoecker Arbeitenden auszeichnete: der Adlerknopf am Sergeantenkragen sei im Jahre 1847 eingeführt. Das Datum ist mir leider entfallen. Nun könnte man ausknobeln, auf welcher Seite der größte Idiotismus zu suchen ist: bei dem Fragesteller oder bei dem Redaktionsunteroffizier. Unwillkürlich steht einem da der Wissensdurstige vor Augen – ein grobschlächtiger Kerl, vor Gesundheit dampfend, die Stirn niedrig und die Augen klein, das Kinn aber entwickelt. Doch vielleicht täuschen wir uns. Vielleicht ist es ein schmächtiger Großstadtmensch, Brustweite gerade noch genügend, um zum »aktiven« Dienst geholt zu sein, »politisch und gewerkschaftlich organisiert«, infolgedessen ohne Vorurteile – aber seine Ideale muß der Mensch doch haben! Und diese innere Leere füllt der Militarismus aus. Da nimmt das Exerzierreglement einen fast sakralen Charakter an, und in einer breiten, roten Biese offenbart sich die preußische Staatsidee in höchster Erhabenheit. Von den anderen Lebewesen, die sich, infolge eines seltsamen Irrtums der Schöpfung, gleich ihm des aufrechten Ganges erfreuen, trennt ihn der Adlerknopf am Kragen: darin verkörpert sich sein moralisches und intellektuelles Übergewicht und setzt ihn in die Notwendigkeit, diese Kreaturen hundertmal täglich zu beschämen, um aus ihnen brauchbare Untergebene zu machen.

Deutscher Demokrat, einerlei ob du zu uns oder zur Sozialdemokratie hältst, freue dich nicht so kindisch, daß du die »freieste Verfassung der Welt« dein eigen nennst, daß du eine Nationalversammlung hast, ohne daß deine Erwählten täglich zur Ausübung ihres Mandats über Richard Müllers Leiche zu steigen brauchen. Entrüste dich auch nicht, wenn Däumig deine geliebte Demokratie in den tiefsten Pfuhl der Hölle wünscht. Frage lieber, was die Republik bisher für das demokratische Bewußtsein getan hat; frage lieber, was sie getan hat gegen das namenlose geistige Elend, gegen die blödsinnige Kommißideologie, die das alte System so liebevoll gehegt hat und die munter weiter gedeiht, mögen die angenehmsten Repräsentanten sich auch seit Jahresfrist in Holland aufhalten.

Und frage dich weiter: Tragen wir Deutsche nicht alle unsichtbar so einen Adlerknopf, mögen wir ihn auch politische, wissenschaftliche, religiöse Überzeugung nennen? Wir Deutschen werden nicht eher reif sein für die Demokratie, ehe wir nicht den Militäranwärter bekämpfen, der uns allen in den Knochen steckt, ehe wir nicht den Adlerknopf abgerissen und jeden Ehrgeiz nach einem solchen sorgfältig im Busen erstickt haben. Erst dann wird bei uns der Gemeinschaftswille blühen, der die Voraussetzung jeder echten Demokratie ist, und wir werden unsere politischen und sozialen Kämpfe als freie Männer führen, die es unter ihrer Würde halten, ihre Mitbürger zu vergewaltigen.

Berliner Volks-Zeitung, 3. Januar 1920


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