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Ludendorff und Klante »Wer bezahlt die Lorbeerkränze?«

Am vergangenen Sonntag sah Berlin ein absonderliches Schauspiel. Tausende von Menschen strömten zum Zirkus Busch, um einen kleinen spießbürgerlichen Abenteurer zu sehen und zu hören, der, das Messer an der Kehle, plötzlich in eine Verzweiflungsoffensive überging und die heftigsten Anklagen schleuderte gegen diejenigen, die im Interesse der Allgemeinheit bemüht sind, den stolzbeflaggten Siegeswagen dieses Talentes zum Stehen zu bringen, ehe das Gefährt mitsamt seinen beklagenswerten Insassen in irgendeinem Chausseegraben endet. Man kann dem Manne weder eine starke Dosis Keckheit, noch einen gewissen Sinn für Massenpsychologie abstreiten. Er weiß, wie man in Deutschland Leute fängt. Er weiß, daß der Deutsche butterweich wird, wenn der Unheilstifter, von dem er Rechenschaft fordern müßte, zu flennen beginnt und sich als Opfer geheimer volksverderbender Mächte hinstellt. Und am Schlusse eine selbstbezahlte Apotheose, Blumenkörbe, Lorbeerkränze. Etliche lachten; aber – gewirkt hat die Sache doch. Michel Nebelheimer, so nannte einst der alte ehrenfeste Demokrat Johannes Scherr die beliebteste Symbolgestalt unserer Landsleute, spendete frenetisch Beifall und zog mit dem angenehmen Bewußtsein nach Hause, einen Mann mehr zu kennen, »der's gut meint mit dem Volke«.

Eine Welt trennt den größenwahnsinnig gewordenen Geschäftemacher aus dem Berliner Osten von dem General Ludendorff, diesem prominentesten Repräsentanten altpreußischer Generalsallmacht und volksfeindlicher Verbissenheit. Aber so siriusfern der eine dem andern ist, in einem Punkte finden sie sich: im demagogischen Trick, in der Taktik des Rückzugsgefechtes.

Der General Ludendorff hat verspielt. Er hat so sehr verspielt, wie es ein Mensch nur tun kann. Daß er als Feldherr schließlich unterlegen ist, spricht weder gegen seine Feldherrngabe, noch schmälert es seinen Ruhm. Auch Hannibal und Napoleon sind kleineren Geistern unterlegen, und der geniale Friedrich war mehr als einmal in die Enge getrieben von Heerführern, die nicht würdig waren, ihm die Schuhriemen zu lösen. Das Unterliegen des Soldaten Ludendorff ist kein Argument gegen seine militärische Bedeutung. Aber schlimmer: mit Ludendorff ist nicht eine bestimmte Art von Strategie besiegt, sondern ein politisches System.

Dieser General war der böse Engel Deutschlands. Er war der Mann, der für ein schimärisches Ziel den jüngsten Rekruten mit dem schmalsten Brustkasten wie den ältesten Landsturmmann mit den gichtischen Knochen forderte. Ein Jahrgang nach dem andern wanderte in den feurigen Ofen, und der Erfolg zog sich immer weiter zurück. Und je mehr der Mann, der dieses namenlose forderte, den Boden unter den Füßen verlor, desto unsolider wurden seine Methoden, desto pompöser wurde die Aufmachung der täglichen Heeresberichte, desto mehr sollte der Bluff über die harte Wirklichkeit hinwegtäuschen. Im Lande selbst aber setzte ärgste Unterdrückung ein; die Vernunft wanderte in Schutzhaft, der eine wurde zum Aufseher des andern. Eine Wolke von Heuchelei lagerte jahrelang über Deutschland.

Wer einen großen Krieg führen will, muß den Mut haben zu kühner politischer Neuerung. Ein Volk in Ketten kann nicht den Krieg um seine Existenz führen. Ludendorff verstand den Staatsbürger nicht. Er, der hochbefähigte Soldat, verstand nicht einmal die Psyche des Soldaten. Er lebte ganz in der Halbgötteratmosphäre des großen Generalstabes. Das Portepee war seine Welt. Was außerhalb dieser Welt lebte und atmete, das war ihm Hekuba.

Das ist der stärkste Einwand wider ihn: er wußte nichts vom Soldaten, den er befehligte, er lebte unberührt über dessen Leben und Sterben dahin. Die besten Feldherren der Welt wußten, daß ein seelischer Kontakt da sein muß zwischen der Führung und den Mannschaften. An Napoleon, an Friedrich, an dem alten Blücher gemessen, der gewiß kein leuchtendes Ingenium war, aber ein handfester Landjunker, der wußte, daß man den Frontkämpfer bei Laune halten muß, war er überhaupt kein militärischer Führer, sondern ein kalter, seelenloser Theoretiker des Schlachtfeldes. Er tat nichts gegen das Luderleben in den Etappen, das jedem Frontkämpfer das Blut sieden ließ. Er hatte kein Herz für den Mann, der da vorn im Dreck steckte. Was kümmerte ihn dessen Essen? Er achtete nur sorgfältig darauf, daß der Abstand zwischen Offizier und Mann, daß das ganz unendlich widerwärtig gewordene Brimborium der militärischen Hierarchie erhalten blieb; er konservierte den Begriff »Gemeiner«. Er machte aus dem großen Organismus Armee, der sich doch nicht aus Puppen zusammensetzt, sondern aus Menschen mit Blut in Adern, einen fast abstrakten Mechanismus. Der mit Naturnotwendigkeit versagen mußte, als die Probe aufs Exempel kam: die Stunde der Not! Als der Führer, der mit dürrem Hohn den Verständigungsfrieden abgelehnt, der das furchtbare Wort gesprochen hatte, dieser Krieg werde nicht als Remispartie enden, den Waffenstillstand erbitten mußte, da löste sich zwangsläufig sein starres Gebilde, die Armee; der Mensch, von der Illusion befreit, forderte wieder sein Recht, und das große Werk erwies sich als Kartenhaus.

Verspielt, verspielt! Der große Hasardeur verschwand für einige Zeit vom Schauplatz. Die Stille um ihn hat nicht zu seiner Klärung beigetragen. Er kehrte als Ankläger zurück und wiederholt nun seit Jahr und Tag seine Vorwürfe gegen das gleiche Volk, das unter seiner Leitung schließlich blutend und hungernd auf der Strecke blieb. Er ist unermüdlich; er reist umher, er hält Festreden, läßt sich feiern – und niemals ein Wort der Erkenntnis, niemals eine weichere Stimmung, immer nur der über der Masse schwebende Generalstäbler mit den gefrorenen Mundwinkeln.

Ist es ein Wunder, daß er Schule macht? Daß gerissene Geschäftemacher ihm die Geste abgucken, daß ein Abenteurer geringen Formates, der mit dem sauer erworbenen Geld der kleinen Leute spielt, mit bestem Erfolge den Ludendorff kopiert? Dieser Herr Klante, dessen steuerlos gewordenes Piratenschiff heute langsam, aber mit tödlicher Sicherheit dem verderbenden Maelstrom entgegentreibt, darf, ohne ausgepfiffen zu werden, sich bereits seinen eigenen »Dolchstoß« erlauben, gegen allerhand geheime Mächte donnern, kurzum, das hohe Vorbild aufs Haar imitieren.

Ludendorff ist heute nicht mehr eine Person, Ludendorff ist eine Gesinnung, die tief ins Volk eingedrungen ist. Ludendorff –, das bedeutet Bramarbasieren, Ludendorff –, das bedeutet Glückspiel mit Leib und Seele anderer, Ludendorff –, das bedeutet in der Stunde der Rechenschaft den Spieß umkehren und die Opfer mit der Verantwortung beladen.

Aber als Herr Klante sich am Schlusse der Vorstellung zum Volkstribun proklamieren ließ und fast ganz unter der Opulenz des selbstgespendeten Blumenschmucks verschwand, da riefen einige in der allgemeinen Begeisterung nüchtern Gebliebene: »Wer bezahlt denn eigentlich die Lorbeerkränze?«

Auch der General Ludendorff wird in diesen Tagen gefeiert, als hätte er seinem Volke das Paradies auf Erden geschaffen. Aber niemand macht den prosaischen Zwischenruf, wer denn eigentlich diese Lorbeeren bezahlt.

Ja, bezahlt sind diese Lorbeeren! Sie sind bezahlt mit dem Blute der Hunderttausenden, die draußen begraben liegen im Osten und Westen, in Finnland, in der Ukraine, in Syrien. Und was noch nicht beglichen ist, das bezahlen wir Tag für Tag Stunde für Stunde. Das bezahlen die bleichen, hungernden Kinder, das bezahlen alle werktätigen Deutschen mit Schweiß und Entbehrung für Jahrzehnte ... bis der grausame Vertrag erfüllt ist, der das Resultat einer verbohrten Generalspolitik ist, die hochmütig Frieden ausschlug, als er noch zu haben war.

Und deshalb, Herr Festredner und Ehrendoktor, werden wir immer wieder an diese Rechnung erinnern. Wir haben es bis zu diesem Augenblick getan und werden auch in Zukunft diese Pflicht erfüllen, wenn immer Ihr Geist umgeht, jener Geist, der aus unserem Vaterland eine Trümmerstätte gemacht hat.

Berliner Volks-Zeitung. 24. August 1921


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