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Die letzte Instanz

Dr. Paul Rohrbach, der bekannte Publizist, hat unlängst in einem Vortrag ausgeführt, Deutschland müsse gegen den Versailler Frieden eine große »moralische Offensive« einleiten. Die Ententevölker seien zu überzeugen, daß Deutschland nicht schuld sei am Kriegsausbruch, ebenso, daß die Geschichten von den Kriegsverbrechen stark übertrieben wären.

So sehr wir alle ohne Ausnahme wünschen, daß Deutschland seine Rehabilitation in den Augen der ehemals feindlichen Völker gelänge, so verfehlt erscheint uns das Mittel Rohrbachs. Man hat schon genug in erfolgloser Propaganda geleistet. Eine neue Papieroffensive gegen die ganze Welt würde nicht nur Sturmlauf bedeuten gegen ein seit 1914 festgefügtes Bollwerk von Anschauungen, sondern auch gegen bedauerlicherweise nicht widerlegbare Tatsachen und gegen Resultate jener Kriegsakten, die von deutscher und österreichischer Seite selbst publiziert wurden. Der Effekt wäre der denkbar schlechteste, da, namentlich für wesentliche Teile der sehr real denkenden englischen Presse, die Diskussion der Kriegsschuldfragen stark in den Hintergrund getreten ist. Wollten nun deutsche Propagandisten von neuem ein Kapitel aufrollen, das mählich veraltet, so müßten alle damit zusammenhängenden Peinlichkeiten neuerdings akut werden, und Deutschland, das selbst seine Kriegspapiere herausgegeben hat, zöge von neuem sich den verhängnisvollen Vorwurf der Doppelzüngigkeit zu. Sehr zum Gaudium der Jingos und Chauvins; sehr zum Schaden der Freunde Deutschlands, oder, präziser gesagt, der Gegner des Versailler Vertrages.

Gerade in diesem Augenblick befinden sich die Staatsmänner der Entente mitten in einer Offensive, die man weder moralisch noch intelligent nennen kann, und die die gesamte auswärtige Politik vor ein wohl assortiertes Lager von Krisen stellt, über deren Einzelbeschaffenheit man sich heute noch kein Bild machen kann, von deren geringster aber man heute schon mit einiger Bestimmtheit sagen kann, daß sie genügen dürfte, jenen Zustand zu beenden, den man seit anderthalb Jahren allzu metaphorisch als Frieden bezeichnet. Wir haben an dieser Stelle oft genug hervorgehoben, daß Deutschland weder mit larmoyanten Unschuldsbeteuerungen noch mit der bewußten »kraftvollen Geste« sich so etwas wie ein Relief zu geben vermag; einzig die Bewußtheit unseres Willens zur inneren Konsolidierung wird Achtung und Vertrauen erwecken können. Es ist der Fluch der lärmenden reaktionären Agitation, daß sie immer wieder den Abbruch alter Vorurteile verhinderte, daß die Gerüchte von einem heimlich bewaffneten Deutschland nicht sterben konnten, daß immer von neuem die Entwaffnungsfrage in die Verhandlungen über die Reparation Miasmen des Mißtrauens und der Gehässigkeit hineintragen durfte und kurzsichtigen oder übelwollenden ententistischen Politikern damit die Mühe der Begründung auch der maßlosesten Forderungen abgenommen wurde. Das alles mag die Überspannungen der Ententepolitik erklären, kann sie aber nicht rechtfertigen. Denn die Auswirkung besteht jedesmal darin, daß in Deutschland Massen dem Chauvinismus in die Arme getrieben werden, die an und für sich für solche Torheiten nicht zu haben sind, und den Gegnern der Republik Wasser auf die Mühlen getrieben wird.

Es ist nicht zu zweifeln, daß den Nichtfranzosen unter den führenden Männern der Alliierten dabei wenig wohl zu Mute ist. Allein, sie haben sich gebeugt, und kein Rätselraten hilft uns weiter, für wieviele unter ihnen die pompösen Konferenzbeschlüsse innerlich eben nur ein Stück Papier bedeuten mögen. Eine einzige Instanz nur ist noch da, unbefleckt und nicht durch Tollheiten kompromittiert: das ist die Internationale der Gewerkschaften. Ihre Stunde naht jetzt. Die Männer von Amsterdam haben im vergangenen Jahre ebensoviel Klugheit wie Herz gezeigt. Sie haben sich dagegen aufgebäumt, daß der Westen in den Krieg gegen den Osten zog, sie haben das Ungarn des Galgenadmirals boykottiert. Sie haben sich weder von den Symbolen eines bornierten Nationalismus düpieren lassen, noch hat das rote Leuchten des Sowjetsterns ihr Auge verwirrt. Wende man nicht ein, daß ihren Aktionen nicht immer letzter Erfolg beschieden war. Nüchtern und ohne große Worte haben sie gehandelt; keine moralische Niederlage ließ ihre Absichten scheitern.

Ihr Männer der Arbeiterinternationale, hier kämpft ein Staat um sein Leben, der Jahre hindurch ein beliebtes Absteigequartier allen Rückschritts war und noch heute hart von den Geistern der Vergangenheit bedrängt wird. Hier kämpft eine junge Demokratie um ihre Existenz und muß nach zwei schlimmen Jahren fürchten, daß ein papierner Schlag der Briand und Lloyd George übern Haufen wirft, was die gesamte Heeresmacht der Kapp-Rebellen nicht ins Wanken bringen konnte. Hier, zwischen Kaiserbanner und roter Fahne, atmet eine Demokratie! Hier wandelt eine Arbeiterschaft am Rande des Abgrunds; schlecht genährt und verelendet, hat sie sich dennoch ferngehalten von den Revanchetreibereien feister Zeitungskrieger, ist sie auch heute noch gewillt, wiedergutzumachen, was sie wiedergutmachen kann –, aber sie ist nicht gewillt, das Arbeitstier der ganzen Welt zu werden! Sollte Wahrheit werden, was maß- und zielloses Siegerbewußtsein diktiert, so steht die Gefahr vor der Schwelle, daß diese trotz alledem besonnene Arbeiterschaft einer von den beiden antidemokratischen Psychosen verfällt – und vielleicht beiden zugleich! Es ist an euch, zu verhindern, daß nicht neues namenloses Unglück über Europa komme. Eure Stunde ist da, nachdem der Kalkül der Staatslenker, von Ressentiments verwirrt, sich in den blauen Dunst der Phantasmagorie verflogen hat.

Berliner Volks-Zeitung. 5. Februar 1921


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