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Toller, Tod und Teufel Volksbühne

Der junge Ernst Toller ist ohne Zweifel die malerischste Erscheinung unter den deutschen Dichtern, die seit Krieg und Revolution hervorgetreten sind. Kein Schreibtischheld, sondern ein Mensch, der selbst in der Mitte der Ereignisse stand, der die Qualen des Führenden und die Torturen des schwer in ein Bild zu bannenden Begriffes »Masse« im eigenen Herzen schauervoll durchlebte. Die » Wandlung« war ein einzigartiges persönliches Dokument, so persönlich, daß man gern die handgreiflichen dramaturgischen Schwächen übersah. » Masse Mensch«, dieses »Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts«, will über die »Wandlung hinausgehen« und die Auseinandersetzung mit dem Albdruck »Masse« bringen. Wie steht der einzelne Mensch, der Führer zu diesem tausendköpfigen, namenlosen Dämon? In tiefen Ängsten hat der Gefangene von Niederschönefeld diese Frage gestellt, und mag rein gedanklich die Antwort auf diese Kardinalfrage ein Resultat gebracht haben –, rein künstlerisch ist dieses Stück keine Antwort. Es trägt die Spuren bitterernster Gehirnarbeit, aber es ist nicht geschaut und es ist nicht gestaltet, es ist ein Leitartikel in verteilten Rollen gesprochen. Man konstatiert das mit Bedauern und wünscht dem Dichter von ganzem Herzen, er möge sich schließlich doch über das ausschließlich Intellektuelle zum Dichterischen durchringen und mit ebenso viel Glück gegen die expressionistische Doktrin kämpfen, wie er in diesem Werk gegen lebensfremde und lebensfeindliche politische Theorien kämpft.

*

Die Aufführung war die persönlichste Tat des Regisseurs Jürgen Fehling. Die Schauspieler waren durch die Starrheit ihrer Rollen gebunden, sie konnten keine eigene Physiognomie geben und kein Temperament einsetzen, sie blieben schreiende und grimassierende Puppen. Mary Dietrich als Revolutionärin war unpersönlich wie ihre Rolle, und ihre endlosen Redeergüsse verliefen schließlich ins Langweilige. Die Erschütterung blieb aus. Allerdings waren die ihr in den Mund gelegten Reden zu unbedeutend. Aber wenn das Ohr gestern abend zu kurz kam, das Auge wurde desto besser befriedigt. Die Herausarbeitung des Bildhaften löste Fehling in genialer Weise. Die gewaltige, ineinander verkrampfte und verkrallte Masse des fünften Bildes war etwas, was sich ins Bewußtsein einhämmerte, und alles das virtuos in Wirklichkeit umsetzte, was der Dichter wohl im Innersten geschaut, aber nicht zu plastischem Leben erwecken konnte. Hier ist ein neuer Meister geworden, der kommende Regisseur der »Weber« und des »Florian Geyer«!

Berliner Volks-Zeitung, 30. September 1921


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