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Im Jahre II

Plumpsack geht um. Die deutsche Republik ist zum Paradefeld der reaktionären Kohorten geworden. Die Republikaner fangen an. seltene Erscheinungen zu werden. Man riskiert Prügel, wenn man sich zum freien Volksstaat bekennt. Ist man gar Politiker, d.h. Wortführer seiner Sache – noch schlimmeres. Das haben die meisten auch eingesehen und sind ruhig geworden. Schließlich hat nicht jeder eine so dicke Uhrkette wie Erzberger. Zeitschriften freigeistiger und pazifistischer Richtung tun gut, einen Kalender zu führen, der die Unfälle ihrer Redner verzeichnet. In Dresden und Königsberg ist Quidde ausgepfiffen und gröblich beleidigt worden. In letzterem Falle führte ein Universitätslehrer die Sprengkolonnen, letztere blutjunge Schnösel, gegen einen weißhaarigen Akademiker. In seinem Berliner Hörsaal mußte Nicolai sich Deserteur nennen und tätlich bedrohen lassen. In Hamburg ist Moissi, als er Goethe und Heine rezitieren wollte, mit Stinkbomben empfangen worden; und Magnus Hirschfeld hat man dort in ähnlicher Weise begrüßt. In Stuttgart wieder ist Nicolai niedergebrüllt worden und mit Mühe Mißhandlungen entgangen. In Berlin ist Hellmut von Gerlach von allerhand uniformiertem Gelichter zu Boden geworfen und mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert worden; nur das Dazwischentreten wackerer Frauen rettete ihn vor dem schlimmsten. Viele seiner Freunde hat man blutig geschlagen. Der Künstler ist nicht mehr auf seiner Bühne sicher, der Gelehrte nicht mehr an seinem Pult. Bummelstudenten, Baltikaner, in ihren Gefühlen verletzte Kriegsgewinnler, das sind die Exponenten der allerletzten Politik. Sogar der Schüler wird mobil gemacht, das unselige Erziehungsobjekt von Wedekinds unsterblichen Knüppeldick und Affenschmalz wird aus seinem Verließ herausgetrieben und zum Randalieren in der politischen Arena gedrillt. Dieselben, die einst reifen Frauen das Bürgerrecht verweigerten, spannen heute Schuljungen vor ihren Karren, machen den Lausbuben zum gewichtigen Faktor. In der Hand Schlagring und Gummiknüppel oder gleich den Revolver, in der Tasche die »Deutsche Zeitung«, im leeren Schädel das ewig gleiche »Juden raus«, so zieht man aus zur Hermannsschlacht! Die neue Freiheit ist sabotiert, die »Camelots du roi« beherrschen die Szene. Und während die wiedererwachende nationale Energie in den rustikalsten Formen sich auslebt, thront über dem Gehudel auf hoher Warte eine sehr weise Regierung und späht nach den Gefahren von links, während von rechts ein dunkler Zug heranschleicht, gekrümmt, geduckt, der Zug der Heunen. Aber, wie gesagt, der grimme Hagen träumt von neuen Maßnahmen, mit denen er die Malkontenten auf der Linken endgültig vernichten will, und Volker streicht auf seiner Fidel ein Schlummerlied dazu. Gewiß, sie ist eine sehr empfindliche Regierung, wenn die Linke sich regt, sie ist dann so etwas wie die Prinzessin auf der Erbse. Aber was von rechts geschieht, will sie nicht sehen. – Und während alle politischen Leidenschaften in grenzenloser Verrohung sich austoben, die öffentliche Unehrlichkeit schauderhaft wächst, hört man die liberalen Theologen konstatieren, daß ein großes religiöses Verlangen durchs Volk gehe, die religiöse Welle von Tag zu Tag steigt. Es ist so eine eigene Sache mit dieser religiösen Welle. Jeder hat sie plätschern hören, aber keiner hat sie gesehen. Es wäre vermessen zu behaupten, die religiöse Entwicklung sei am letzten Ziel angelangt, wer weiß, was künftige Zeiten noch an neuen Sehnsüchten, an neuen gewaltigen Ekstasen bringen werden. Aber in dieser unserer Gegenwart ein übersinnliches Verlangen, ein Drängen nach Hingabe an eine große Idee? Nein, nein, nein! Man will fressen und saufen und Weiberfleisch riechen und Geld machen und nochmals Geld. Und will zu seiner Erholung die angenehmen Sensationen des Aberglaubens auskosten; wenn man von der Bar kommt, geht's zum Rosenkreuzer. Man sucht nicht Versenkung, nicht Vertiefung, sondern Kitzel. Die Auslegung der Apokalypse anzuhören, ist letzter Schick. Religion bedeutet Aufgehen in ein größeres Gefühl; bedeutet Verzichten, nicht Raffen. Erst wenn in dieser Generation ein Brudergefühl erwacht als Talisman gegen brutalen Gewaltglauben, gegen viehisches Sichgehenlassen, gegen schmutzige Gewinnsucht – dann glaube ich an eure religiöse Welle. Eher nicht.

Monistische Monatshefte. 1. April 1920


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