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Bernard Shaw in der »Tribüne«
»Blanco Posnets Erweckung«

Der junge Georg Büchner hat an den Rand seiner Schulhefte Verwünschungen gekritzelt wider »die Eckensteher der Weltgeschichte«. Auch der kluge Bernard Shaw hat keinen Respekt vor historischen Persönlichkeiten, deren Heldentum professorale Weisheit gütigst beglaubigt. Aber der Ironiker ist kein Bilderstürmer. Er stürzt nicht die Statuen, sondern tut sie auf einen niedrigeren Sockel. Daß wir ihnen ins Antlitz schauen können.

Denn wer ist Napoleon für uns? Für den einen ein zu Bronze erstarrter Heros, für den anderen ein roter Dämon vom Stamme Attilas. Bei Shaw wird demonstriert, daß dieser Napoleon einmal ein Mensch gewesen ist, den Eifersuchtskrämpfe erschütterten, wenn ihm im italienischen Feldlager Briefe in die Hände fielen über Josephine Beauharnais zu Paris, die seine Karriere manchmal mit Methoden beschleunigte, die sein Blut sieden ließen. Nein, einen historischen Eckensteher hat Shaw nicht gezeichnet, aber einen jungen, leidenschaftlichen und etwas zerfahrenen Menschen, der unter der Vibrationsmassage einer schönen und klugen Frau weich wie Butter wird.

Blanco Posnet, der Saufaus, der Tunichtgut, der Gotteslästerer und Pferdedieb, wird in einem Milieu von Rowdytum und muffiger Frömmigkeit ein echter Held. Ein Bursche, der seine Seele dem Satan verkauft und dafür als Entgeld zwar kein Kaisertum, aber einen überaus hellen Kopf erhalten hat, den er mit bemerkenswertem Geschick der Schlinge des Henkers entzieht. Shaw stimmt hier einen Hymnus auf die Menschlichkeit an, aber den rustikalsten wohl der gesamten Weltliteratur. Ich kenne, auch aus der Blütezeit des Naturalismus, kein Bühnenstück, in dem so viel gehauen, gebissen, gekratzt, gespuckt und geflucht wird.

Seht euch Jakob Feldhammer an! Sein Bonaparte traf nicht ganz den heiseren Ton des hungrigen korsischen Wolfs; da war zuviel innere Heiterkeit – aber dieser Rauhreiter Blanco Posnet aus Wildwest, der über Tische und Bänke fegt und über alle Moraldrahtverhaue der bürgerlichen Gesellschaft, das war ein prächtiges rothaariges Stück Leben. Robert Forster-Larrinaga war entzückend in der Rolle des etwas trottelhaften aristokratischen Offiziers, dessen Dummheit übrigens der Weisheit manchmal verzweifelt nahe kommt. Jakob Tiedtke, im ersten Stück ein verschmitzter italienischer Gastwirt, im zweiten ein unendlich komischer Kirchenvorsteher und Branntweinverkäufer von schnapsduftender Gottgesalbtheit. Marie Fein gab der fremden Dame sehr viel kapriziöse Überlegenheit und machte die Niederlage des Schlachtenlenkers äußerst plausibel: im »Blanco Posnet« erfreute sie durch die knappe aber saftige Charakterskizze einer Dame vom horizontalen Gewerbe.

Eugen Roberts Regie ist sehr zu loben. Aber warum in aller Welt strich man die Napoleon in den Mund gelegte herrliche irische Suade wider die Engländer? Fürchtet man, es könnten die Lorbeeren, die sich die Bulgaren im Schiller-Theater geholt haben, die englische Mission nicht schlafen lassen?

Berliner Volks-Zeitung, 6. Februar 1921


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