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Der Fall D'Annunzio
Das Ende einer Komödie

»Ich verkünde die Herankunft einer neuen Kunst, die ... das ungeheure ideale Gebäude unseres auserwählten Volkes fortführen und krönen wird. Ich rühme mich, ein Lateiner zu sein und erkenne in jedem Menschen von fremdem Blut einen Barbaren.«

Gabriele D'Annunzio

Am blauen Quarnero ist Blut geflossen. In den Gassen Fiumes liegen Tote. Eine Operette mit tragischem Abschluß. Und der Regisseur des schlechten Spiels ist durch ein paar herabfallende Stücke Mörtel geschrammt, während er beim »Kriegsrat« weilte, und wird bald in neuer Pose den besiegten Condottiere agieren.

Der Mann, dem Italien diesen Krieg nach dem Kriege verdankt, ist heute sechsundfünfzig Jahre alt und seit dreißig Jahren ein Dichter von internationalem Ruf. Um seine Bedeutung braucht nicht gestritten zu werden. Kein Künstler, der Neuland erschließt, jedoch ein ungemein aparter Nachempfinder, der spielend alle Formen bewältigt und den Reichtum aller romanischen Kulturen in sich aufgenommen hat. Ein raffinierter Artist, kein Schöpfer. Im übrigen Luxusgeschöpf, Pyjamaexistenz, Meister des Tamtams. Unbedenklicher Trompeter seines dichterischen Ruhmes und seiner Erfolge bei schönen und berühmten Frauen. Und als er aufhörte, jung zu sein, betrat er entschlossen die politische Arena. Seit 1910 etwa stellt er seine glühende, bildervolle Sprache in den Dienst der nationalistischen Propaganda für die »Italia irredenta«, und Rom und Paris feierten ihn überschwänglich als großen Repräsentanten des Lateinertums. In einem Drama von fast exotischer Pracht behandelte er die Geschichte von der Gründung Venedigs, mit aktuellem Ausblick auf das Adria-Problem. Seine geniale Fertigkeit, künstlerische und politische Elemente zu mischen, wurde der geistigen Gesundheit Italiens höchst gefährlich.

Was er während des Krieges tat, ist zur Genüge bekannt. Er hat gegen die anfängliche Neutralitätspolitik alle chauvinistischen Leidenschaften mobil gemacht. Als »Engel der Verkündigung« segnete er in hysterischer Ekstase den Willen zum imperialistischen Raubzug und entwarf gauklerische Bilder von der Herrlichkeit des siegreichen Italien ...

Nun ist Italien siegreich geblieben, aber die Herrlichkeit blieb fern. Statt dessen soziale Krisen von höchster Spannung. Denn man kann zwar durch den Krieg zum Sieg kommen, doch nicht zu Brot und Arbeit. Italien ist aus dem Rausch erwacht und schreitet heute, von dem weisen Staatsmann Giolitti geführt, illusionslos zu neuer friedlicher Ordnung.

Aber ein gewissenloser Imperialistenklüngel ist nicht zufrieden. Mit dem Blute der jungen Generation sind Trient und Triest am Isonzo »erlöst« worden. Aber ... nein, nein, nein! Das Vaterland muß größer sein! Es fehlt ja noch Fiume. Eine Schar italienischer Baltikumer wird zusammengetrommelt, und der Poet des »auserwählten Volkes« liefert eine alberne Kopie der Zügel des großen Garibaldi.

Das ist der tiefere Sinn der Tragikomödie von Fiume: während das Land nach schwerer Krankheit langsam der Genesung entgegengeht, gibt der unpopulär gewordene Kriegsdichter von neuem das Signal zur Raserei, und da die Massen nicht folgen, richtet er die Geschütze, die ihm expansionslüsterne Kapitalisten als Aussteuer für seine Vermählung mit der Adria mitgegeben haben, gegen das eigene Volk.

Er tut das, was letzten Endes alle Kriegsdichter getan haben. Nur wird bei seiner Konsequenz Tat, was bei andern Papier blieb. Aber mit dem Blute ihres Volkes haben sie alle gespielt.

Der Fall D'Annunzio ist die Apotheose des Kriegsdichters.

Berliner Volks-Zeitung, 30. Dezember 1920


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