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Die schwache Republik
Auch ein Jahresrückblick

Der Bund Neues Vaterland hat kürzlich eine Denkschrift herausgegeben über die »Verfolgungen der Pazifisten in Deutschland seit Kriegsende«, die lebhafteste Beachtung verdient, da sie zahlreiches Material beibringt zur Beurteilung unserer innerpolitischen Zustände seit den Tagen der Revolution. Gewiß sind viele von den mitgeteilten Tatsachen nicht unbekannt, aber nicht die Neuheit der Tatsachen ist das Wesentliche, sondern die Zusammenstellung. Und man ist entsetzt vor dieser ausgedehnten Liste und vor dieser Fülle von Übergriffen, Willkürakten und Ausschreitungen, die eine ganze Skala durchlaufen, von der kleinen bureaukratischen Tapsigkeit bis zur Bluttat. Es soll hier nicht in erster Linie unsere Aufgabe sein, den Inhalt der Denkschrift zu rekapitulieren, als vielmehr aus dem Dargestellten zu gewissen prinzipiellen Schlußfolgerungen zu gelangen.

Wenn von reaktionärer Seite gegen hervorragende pazifistische Persönlichkeiten maßlos gehetzt wird, und oft leider mit Erfolg, so richtet sich solches Treiben letzten Endes gegen die deutsche Republik selbst. Denn die Republik, erstanden aus dem Zusammenbruche der militärischen Monarchie, muß logischerweise die entgegengesetzten Tendenzen verfolgen. Sie muß einen Strich unter die Vergangenheit machen, wenn sie ihre Existenzberechtigung erweisen will, und sie kann, wenn sie die gegenwärtige politische Situation in ihrer Totalität erfaßt, gar keine andere Politik machen als pazifistische. Gehört aber der Pazifismus unbedingt zur Selbstbehauptung der Republik, so erklärt das zur Genüge den Haß der Monarchisten gegen diejenigen Persönlichkeiten, denen der Pazifismus nicht nur Zweckmäßigkeit, sondern sittliches Prinzip überhaupt bedeutet. Deutscher Republikanismus und Friedensidee sind eines, und deshalb darf es keinem Republikaner gleichgültig sein, daß Vertreter des Pazifismus beschimpft, besudelt und mißhandelt oder gar getötet werden. Leider nimmt heute noch ein großer Teil der demokratischen und sozialdemokratischen Politiker dieses Thema nicht gern auf. Zum Teil aus Furcht vor dem Odium der »Landesverräterei«, welches gerade Pazifisten, dank der Rührigkeit der deutschnationalen und verwandten Presse, noch immer anhaftet. Und während Politiker, die berufen wären, dem Unfug zu steuern, an falscher Stelle den Fabius Cunctator spielen, bildet sich ein Zustand heraus, der, milde ausgedrückt, für gewisse Instanzen kein Ruhmesblatt bildet. Die Denkschrift des Bundes Neues Vaterland aber weitet sich, über ihre ursprüngliche Bestimmung hinaus, zu einem Gesamtbild der tragischen Schwäche unseres jungen demokratischen Staatswesens.

Die einzelnen Stücke der Schrift bilden einen Kranz von Immortellen, zu dem in gleicher Weise Rechtspflege, Verwaltungsbehörden und militärische Dienststellen beigesteuert haben. Es ist nicht erquicklich, sich durch diesen Wust von Schikanen, Haussuchungen, Fehlurteilen und ungesühnten Gewalttaten durchzuarbeiten; aber es ist insofern lohnend, als man endlich zur Erkenntnis kommt, daß man es hier nicht mit einer Folge unglücklicher Einzelfälle zu tun hat, sondern mit einem System. Mit einem System, das nicht so sehr in offener Übereinkunft zustande gekommen ist, als vielmehr einer bestimmten Denkungsart entspringt und unter bestimmten Umständen selbsttätig arbeiten muß. Das ist gefährlicher als die zu Papier gebrachte Konspiration. Mancher Offizier, mancher Richter, durchaus monarchistisch im Denken und Fühlen, glaubt dennoch korrekt zu handeln und seine Pflicht zu erfüllen, aber leider wird dieses Handeln sich gewöhnlich gegen die Republik richten müssen, da eben niemand über seinen Schatten springen kann. Dann aber wird es Sache der Staatsautorität sein, korrigierend einzugreifen und den nötigen Anschauungsunterricht zu erteilen. Wenn ein Hans Paasche ohne jede für einen vernünftigen Menschen faßbare Ursache über den Haufen geschossen wird, ein Rechtsunabhängiger, wie Alexander Futran, dem von einwandfreien Zeugen nachgesagt wird, er habe während der Kapp-Tage Unsägliches geleistet, um Blutvergießen zu verhindern, von einem sehr verdächtigen Truppenteil nach einer Farce von Standgericht an die Mauer gestellt wird – trotzdem kein Todesurteil vollzogen werden darf ohne Bestätigung des Reichspräsidenten! – und auf alles das nichts erfolgt, was auch nur geeignet wäre, das beleidigte Rechtsgefühl zu befriedigen, so soll man sich nicht wundern, wenn schließlich radikale Agitatoren mit Erfolg predigen können, daß eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden sei und man gegen Gewalt nur Gewalt setzen könne. Die Untersuchung offenbarer Verbrechen auf die lange Bank zu schieben und dann mit dem lakonischen »Verfahren eingestellt« zu beenden, das konnte man sich nicht einmal in der Zeit des Ausnahmegesetzes erlauben, und heute geht das erst recht nicht an. Je sicherer das Rechtsgebäude fundiert ist, desto unsicherer wird der Boden unter den Füßen der kommunistischen Schwertapostel. Neben den angeführten Fällen wirkt es fast erheiternd, wenn bei einer ethischen Führerin wie Dr. Helene Stöcker gehaussucht wird, da für manches Militaristengehirn die Begriffe Spartacismus und Pazifismus zusammenfallen. Oder wenn Dr. E. J. Gumbel, dem bei einer ähnlichen Visite seine Garderobe entführt wird, nachher auf seine Beschwerde den Bescheid erhält, für diese ganze Aktion sei eine mythische »Ordonnanz Müller« verantwortlich, und weiter, nach einiger Zeit, daß »Ordonnanz Müller« dem Strafverfahren sich durch Desertion entzogen habe. Oder wenn dem weltbekannten Autor der »Menschen im Kriege«, dem Ungarn Latzko, in Berlin eine öffentliche Vorlesung aus seinen novellistischen Schriften untersagt wird, weil – – Totensonntag sei. Gewiß überschreitet das die Grenze der Komik, läßt aber das Lachen zur Grimasse werden, wenn man den Gedanken nicht unterdrücken kann, daß es schließlich noch eine Instanz geben muß, die einer untergeordneten Stelle ein für allemal die Neigung austreibt, zur Verbergung einer Blamage eine »Ordonnanz Müller« aus der Manschette zu zaubern. Oder einen Polizeichef, der seinen Abteilungsvorsteher darauf hinweist, daß am gleichen Totensonntag, dessen Heilighaltung der unendlich ernste Dichter gefährdet, in Theatern und Kabaretts Zoten nach Herzenslust gerissen werden unter reichlicher Beigabe von Dekolletage – oben und unten –, als gelte es den Abschied des Prinzen Carneval zu feiern. Solche Korrekturen fehlen. Und das erbittert und ist schuld, daß Schlendrian und üble Absicht zu einem unerfreulichen Gebräu sich mischen.

Als im Dezember 1919 der Friedensbund der Kriegsteilnehmer im Lehrervereinshause seine erste Versammlung abhielt, entstanden durch uniformierte Eindringlinge turbulente Szenen. Im Vorsaal aber wanderte ein Individuum in der Uniform eines Marineoffiziers umher und erging sich in wüsten Drohungen gegen einen der Redner, den Hauptmann Willy Meyer. Ähnliche Vorfälle hatten sich kurze Zeit vorher ereignet in einer Versammlung der Deutschen Liga für Völkerbund, in der Professor Walter Goetz und der damalige Reichsminister Erzberger sprechen sollten. Auch hier unbeschreibliche Rüpeleien, Todesdrohungen und völliges Versagen der Sicherheitsorgane. Sicherlich, es schießt nicht jeder, der brüllt und mit dem Revolver herumfuchtelt, doch die Polizei hat zunächst die Pflicht, sich mit derartigen Herrschaften zu befassen. Gerade an solchen vorbeugenden Maßregeln hat man es in zahlreichen Fällen fehlen lassen, und wenn nach geschehenem Unglück die Behörden endlich erwachten, so endeten die Bemühungen regelmäßig mit einem Achselzucken, das nicht immer ein bedauerndes war. Es scheint wirklich so, als ob das Grundübel des alten Militarismus: die Angst vor der Verantwortung, das Bestreben, unangenehme Dinge von einem Amtszimmer zum anderen abzuschieben, bis die Akten schließlich in dem großen Archiv des Herrn Niemand landen, nun, nachdem das alte Heer zu Grabe getragen, auf die zivilen Instanzen übergegangen sei und dort mit der vorwiegend reaktionären und antidemokratischen Grundstimmung glänzend harmoniere. Man komme uns nicht mit dem »altpreußischen Ideal strengster Pflichterfüllung«, wie es Preußens großer Dichter Heinrich v. Kleist im »Prinzen von Homburg« gefeiert hat. Schon in den sogenannten Blütezeiten hat es damit oft bedenklich ausgesehen. Aber ob es historisch berechtigt ist oder nicht, auf eine solche Tradition sich zu berufen, traditionsstolze preußische Beamte sollten doch nicht so weit gehen, sich des gleichen Kleist in übelster Weise gerissenen Dorfrichter Adam aus dem »Zerbrochenen Krug« zum Vorbild zu nehmen. Das ist eine unsterbliche Komödienfigur, aber sonst kein Muster. Es gilt im geschäftlichen Leben als eine auch heute noch nicht überholte Usance, eine Stellung zu verlassen, wenn man durch den Geist der Geschäftsführung in Gewissenskonflikte geraten ist. Auch die Diener des Staates sollten sich diesem löblichen Brauch unterwerfen, anstatt sich aus Paragraphen ein Drahtdickicht von spanischen Reitern zu machen und in dieser sicheren Hut mit Großartigkeit zu erklären, zwar sei man nicht »mit allem« einverstanden, was die neue Staatsform mit sich bringe, aber man dürfe doch dem Vaterland in so schwerer Zeit seinen Sachverstand nicht entziehen. Während in Wahrheit dieser Sachverstand derartig zum Ausdruck kommt, daß dem Vaterland die Freude über solchen Opfermut vergeht.

Diese aufsässige »Bureaukrateska« (wenn diese Neubildung erlaubt ist) gibt der monarchistischen Reaktion erst das wahre Rückgrat. Ihr Kampf gegen die pazifistische Ideenwelt ist zugleich ein Kampf gegen die Republik, die von ihrem wirklichen Nährboden gedrängt werden soll. Es sollte die Aufgabe aller ehrlichen und energischen Republikaner sein, diesen Vorgang zu würdigen und nicht zu vergessen, daß ihre eigenen Parteigenossen in der Provinz und auf dem flachen Lande sich gleichfalls in einer sehr traurigen Lage befinden, die denen der Pazifisten aufs Haar gleicht. Hier in der großen Stadt mit großer Organisation hinter sich, vergißt man das allzu leicht. Wie die Reaktion an und für sich kein geschlossener Block ist, aber, wenn es nottut, sich blitzschnell zusammenfindet, so sollten auch wir Republikaner uns nicht verzetteln, sondern mitten in Parteikämpfen so viel Zusammengehörigkeitsgefühl bewahren, daß wir wie ein Mann dastehen in der Stunde der Gefahr, wenn es gilt einzutreten für die Republik, die unsere Hoffnung ist auf hellere Zukunft.

Berliner Volks-Zeitung, 30. Dezember 1920


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