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Appelschnut als Racheengel

Mit der zwangsweisen Demobilisierung Gabriele d'Annunzios schien der letzte und zäheste der einst so geräuschvollen Kriegsdichter erledigt zu sein. Das ist ein Irrtum; einer von der Gilde ist noch quicklebendig, wenn er auch neuerdings vorwiegend in Prosa murkst: unser Landsmann Otto Ernst, der Verfasser freundlich-humoriger Appelschnutgeschichten, der Verkünder einer idyllischen Weltanschauung, die, fernab von allen Problemen dieser turbulenten Zeit, sich mannhaft zum Doppelkinn und zum geruhigen Hosenboden bekennt. Allerdings eine schnurrige Laune des Schicksals, daß gerade dieser behäbige Bürger von Knackwurst-Arkadien am lautesten ins Tuthorn stoßen mußte, überhaupt bis heute noch nicht in die Schuhe seiner Seelenruhe zurückgefunden hat, denen er Anno Domini 1914 mit einem verwegenen Hechtsprung entschlüpfte. Herr Otto Ernst hat es zur liebenswürdigen Spezialität ausgebildet, über ganze Nationen einfach den Stab zu brechen und Fünfzigmillionenvölker mit gelassener Geste zum Unrat zu werfen. Bemerkenswert ist nur, daß sich noch immer große Zeitungen als Speibecken für diesen phrasenvollen Schlund hergeben.

In einem neuerlichen Elaborat wird, von keinerlei Sachkenntnis oder Willen zur Objektivität erschwert, Richard der Dritte zum Symbol Englands erhoben. Immerhin wird England noch mit dem Löwen verglichen, während die Franzosen (»ein Volk, das wir mit dem Daumennagel zerdrückt hätten wie eine Wanze, wenn es den Mut aufgebracht hätte, sich mit uns allein zu messen«) mit köstlicher Simplizität den Läusen gleichgestellt werden. Herr Otto Ernst erkennt den Franzosen nur drei große Geister zu, »von denen war Rousseau ein Schweizer, Bonaparte ein Italiener und nur Descartes war merkwürdigerweise wirklich ein Franzose.« Gesamturteil über die Zeitgenossen der Rolland, Barbusse und Anatole France: »Ihre intellektuelle Idiotie wird nur übertroffen von der moralischen.« Und deshalb gelangt Appelschnut senior zu folgenden Grundsätzen:

»1. Der Franzose ist kein Mensch und hat in keiner Lage irgendwelchen Anspruch auf menschliche Behandlung...

2. Der Verkehr mit Franzosen beschränkt sich durchaus auf das unumgänglich Notwendige; kein Deutscher weilt ohne zwingende Veranlassung mit einem Franzosen in demselben Raum. Jeden freiwilligen Verkehr mit einem Franzosen lehnt der Deutsche ab als eine untilgbare Besudelung seiner Persönlichkeit und seines Volkes. Wer sich solchen Verkehrs schuldig macht, sei ausgestoßen aus der Gemeinschaft unseres Volkes.«

Es war nicht allzulange vor dem Kriege, als dieser so prinzipielle Franzosenfresser – der damals allerdings noch organisierter Pazifist war – eine französische Einladung erhielt, an der Sorbonne zu Paris Vorträge zu halten, da man in heilloser Verblendung drüben in ihm so etwas wie einen Vertreter deutscher Geistigkeit erblickte. (Sollte das mit der französischen Idiotie doch stimmen?) Soviel mir bekannt ist, hat Herr Otto Ernst damals nicht nach Vergleichen aus der niederen Tierwelt gesucht.

Nun kann es der Öffentlichkeit absolut gleichgültig sein, ob Otto Ernst die Franzosen zu den Menschen rechnet oder nicht. Aber daß ein bescheidenes Poetlein, das zum Siechenbräu dauerhaftere Beziehungen unterhält als zum Parnaß, auf Grund einiger Dutzend Bände Leihbibliothekenfutter es sich herausnehmen darf, als Sprecher des deutschen Volkes aufzutreten und Andersdenkende zu infamieren, das ist eine Anmaßlichkeit. die an den Pranger gehört. Welch fettes Zitatenmaterial für die Pariser Hetzpresse! Randalierende Heimkrieger solchen Schlages haben schon genügend Unheil angerichtet und sollten in der jetzigen tragischen Situation Deutschlands endlich lernen, die eigene hochwichtige Person ein wenig in den Schatten zu stellen. Das Volk des dritten Richard enthält zudem viele beachtenswerte politische Gruppen, die willens sind, zu einer Verständigung mit Deutschland zu kommen und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Selbst die Ungeziefernation der Franzosen ist von solchen Individuen nicht frei. (Aber vielleicht sind das Schweizer?) Dieses ebenso langsame wie schwierige Verständigungswerk darf nicht von verantwortungslosen nationalistischen Klopffechtern wie Otto Ernst gestört werden. Das ist der Prototyp einer Art von Deutschtum, das von der ganzen Welt gehaßt wird.

Berliner Volks-Zeitung. 7. April 1921


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