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Bessere Zeiten!

»Bessere Zeiten«, so nannte einst der englische Schatzkanzler Lloyd George eine Sammlung seiner Reden aus der Kampagne um das »Volksbudget«, die ihn mit einem Schlage in die erste Reihe der europäischen Staatsmänner stellte. Aber aus dem mutigen Sozialreformer wurde bald der tatkräftige Munitionsminister und aus diesem der allgewaltige Premier und eigentliche Kriegsgeist der Entente. Hat seine Politik seinem Vaterlande gehalten, was sie einst, vor zehn Jahren, versprochen hat? Und gibt sein letztes Auftreten auf der Zwölftagekonferenz Veranlassung zur Hoffnung, es werde bald das Gewölk sich lichten?

Wir wollen diese Fragen nicht beantworten. Wir Deutschen sind allzu skeptisch, allzu pessimistisch geworden. Bessere Zeiten! Wir brauchen eine solche Losung, in der etwas wie Magie liegt und die Lebenskraft ausströmt. Es ist ein energieloser, sentimentaler Zug neuerdings in Deutschlands Konstitution; auch die besten und klarsten Köpfe legen sich bei jeder neuen Schwierigkeit auf Wehklagen und sehen des Vaterlandes Untergang in kürzester Frist voraus. Wir wollen unser Volk höher einschätzen, als daß es durch einen verlorenen Krieg für immer ins Dunkel gestoßen werden könnte. Unsere Pflicht ist es, die Tatsachen zu erkennen und an ihnen unser Handeln zu orientieren. Die Tatsache härtester Wirklichkeit gegenwärtig, der Kernpunkt unserer Politik, ist die Ausführung der Beschlüsse von Spaa. Einerlei, wie sie zustande gekommen sind, einerlei, ob die Formen der Verhandlungen unserem Gefühl sympathisch sind oder nicht. Wir haben unterschrieben, die Tatsache ist da. Kein Vernünftiger sollte daran drehen und deuteln.

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Wir werden unsere Wehrmachten gründlich verkleinern müssen. Auch werden die Besitzer von Waffen diese kostbaren Dinge endlich hergeben müssen. Es wird ihnen schwer fallen. Wie können wir, die uns keinerlei militaristische Gesinnungsart beleckt hat, uns auch vorstellen, welch ein Wonnegefühl es sein muß, ein paar Kisten Handgranaten in der Speisekammer zu wissen, oder ein auseinandergenommenes Maschinengewehr in der Matratze?

Aber wir wollen nicht nur gezwungen den Vertrag erfüllen, höherer Anweisung folgend. Wir wollen ihn gern erfüllen. Gern wollen wir die Mordwaffen abstoßen, die über uns und über die Menschheit so viel Unheil gebracht haben. Nein, wir wollen ihnen nicht nachtrauern, den Kanonenläufen, den Minenwerfern, den Präzisionsgewehren, die so präzise Menschenleben auslöschen können! Wir wollen das Stigma der Wehrlosigkeit tragen in dem Bewußtsein, daß wir höhere Werte in uns bergen und schaffen können, und daß andere Völker schließlich folgen werden, wenn eines nur begonnen hat, das Arsenal des Todes zu schließen. Dunkel arbeitet in allen Völkern der Wunsch, sich zu entwaffnen. Noch verhindern die imperialistischen Staatsmänner diese Entwicklung. Mit der deutschen Entwaffnung wird der hauptsächlichste Vorwand gefallen sein, eine Etappe erreicht sein auf dem Wege zur Verfriedlichung der Welt.

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Einem siegreichen Volke steht der Militarismus nicht gut an. Bei einem besiegten aber wirkt er lächerlich. Wollten sich unsere alldeutschen Rolandshörner, die leider nicht bersten wollen, nur einmal überlegen, welch ärgerliche Heiterkeit ihre Revanchetöne bei allen Einsichtigen jenseits der Vogesen, jenseits des Kanals auslösen! Man soll uns nicht immer kommen mit dem »Militarismus der anderen«. In Wahrheit sind die »anderen« auf dem Marsche zur Abrüstung. England hat bereits die allgemeine Wehrpflicht wieder abgeschafft, und Frankreich kehrt zur zweijährigen Dienstzeit zurück. Wir wissen heute, daß nicht die bloße Existenz eines stehenden Heeres »Militarismus« bedeutet. Mit Recht jedoch nennen wir einen Staat militaristisch, dessen Regierung sich nicht stark genug erweist gegenüber der Beeinflussung oder dem autoritären Dreinreden der führenden Militärs. Es ist allzu bekannt, wie sehr unter dem alten System die höchsten Zivilstellen behindert waren durch die nicht verfassungsmäßige, aber tatsächlich vorhanden gewesene Suprematie des Generalstabes und des allerhöchsten Militärkabinetts. Kein Deutscher wird deshalb ohne Ergriffenheit gelesen haben, wie jüngst in Spaa zur entscheidenden Sitzung der Premiers der Marschall Foch nicht zugezogen wurde. Er konnte indessen im Garten spazieren gehen. Man denke sich Herrn Ludendorff in solcher Situation! Er hätte entweder augenblicklich seinen Abschied eingereicht oder vor Wut sein Monokel verschluckt oder den Kaiser abgesetzt. Ein anderes Beispiel: Die englische Regierung hat jüngst den General Dyer, jenen General, der im vergangenen Jahre in Amritsar das schändliche Indiergemetzel veranstaltete, kurzweg entlassen. Mit großer Energie hat die Regierung gegenüber den Zornesausbrüchen der Rechten diese Maßnahme im Parlament verteidigt und die Zustimmung der Mehrheit erhalten. Asquith, als Sprecher der Liberalen, rügte es scharf, daß man den General Dyer nicht auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen habe. Sieht das nach Militarismus aus? Bei uns ist es unmöglich, einen kleinen Marloh oder Kessel unschädlich zu machen. Der Attentäter von Osnabrück läuft dem Kriegsgericht vor der Nase herum, ist für dieses aber »nicht zu ermitteln«. Den Mördern Hans Paasches wird ihr »pflichtgemäßes« Verhalten attestiert. Keine Autorität ist am Platze, dieser Zügellosigkeit der Soldateska ein Ende zu bereiten.

Die Entwaffnungsforderung der Entente bedeutet einen Wendepunkt. Hinter ihr steht der unbezweifelbare Wille, fest zuzufassen. Die lange Saison der Abwicklungsstellen geht zu Ende. Es besteht gar kein Zweifel, daß Rechts- und Linksdesperados versuchen werden, Zwischenfälle herbeizuführen; sehen sie doch beide im Chaos ihr Heil. Möge die Phalanx der Vernünftigen stark genug sein, um ihnen zu wehren. Wer die Ablieferung von Waffen hintertreibt, ist ein Verbrecher an seinem Volk, ein Verbrecher an der Menschheit!

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Unseren »Patrioten« aber, die keine Gelegenheit vorübergehen lassen können, ohne ihre glühende Liebe zum deutschen Volke dick aufgetragen zu zeigen, einen Vorschlag zur Güte: keine von Vaterlandsliebe triefenden Versicherungen mehr, sondern ein klein wenig Tat! Seit sechs Jahren ununterbrochen nun »rettet« ihr das deutsche Volk und jagt es dabei von einem Verhängnis ins andere. Opfert ihm einmal mehr als Worte, zieht den Arbeitskittel an und helft dem so innigst geliebten Volke – in den Kohlengruben!

Denn das Kohlenabkommen von Spaa zwingt uns, unsere Arbeitsleistung zu vervielfachen. Es ist nicht nur sehr schwer durchführbar, sondern birgt auch die Gefahr fortwährender Konflikte in sich. Ein einziger Streik, der die Förderung unterbricht, kann zum Anlaß französischen Einmarsches werden. Es war gewiß keine Weisheit der alliierten Staatsmänner, das Schicksal Deutschlands, das Schicksal Europas, auf den am leichtesten erregbaren Teil der Arbeiterschaft zu stellen. Gerade der Bergmann hat in den vergangenen Jahren ungeheuerlich gelitten, seine Nervenkraft ist erschöpft. In Deutschland ist heute, wie überall, ein Kohlenrevier der ideale Revolutionsherd. Es nützt nicht allein, dem Bergmann hohe Löhne zu bieten. Er darf sich nicht isoliert fühlen, darf nicht fühlen, daß auf seinen Schultern allein die ganze Last ruht. Er muß es wirklich erleben, daß auch andere Opfer bringen können. Der Bergmann pfeift auf die schönen Tafelreden, in denen ihm so unendlich großmütig Anerkennung gezollt wird, daß er Leben und Gesundheit hingebe zum Wohle des Ganzen. Wer die großen Emanzipationskämpfe unserer Gegenwart in friedliche Bahnen lenken will, der darf nicht noch weiterhin so katastrophale Gegensätze klaffen lassen zwischen dem arbeits- und entbehrungsvollen Dasein der produktiv Tätigen und dem Schlemmerleben der immer mehr anwachsenden Klasse der Kettenhändler, der mühelosen Gewinner, der Nutznießer aus anderer Arbeit. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, unsere wirtschaftlichen Zustände könnten allein durch gesetzgeberische Maßnahmen geheilt werden. Die Paragraphen werden nichts nützen, wenn nicht endlich die Erkenntnis dämmert, daß der Luxus bestimmter Schichten den allergefährlichsten Zündstoff in sich birgt. Wenn aber über Sekt und Kaviar noch der Pappsäbel der Vaterlandspartei geschwungen wird, dann schwankt die Stimmung aller ehrlich Arbeitenden zwischen Gleichgültigkeit und Aufruhr. Eines so schlimm wie das andere!

Wir müssen aus den Krisen der Zeit zu einer neuen Einheit von Gesinnung und Tat kommen. Ein illustriertes Blatt zeigte jüngst ein seltsames Bild: Grazer Studenten in einem Bergwerk arbeitend, um selbst die für ihre Universität nötigen Kohlen zu fördern. Das sind auch Studenten, aber nicht solche, die sich von unverantwortlichen nationalistischen Schwadronneuren aufputschen lassen, gegen politisch mißliebige Männer der Wissenschaft Stuhlbeinoffensiven zu unternehmen, es sind junge Menschen, die wirklich zu ihrem Volke stehen – nicht nur mit dem Mundwerk! Geht von ihrem Geiste ein wenig auf die deutsche Nation über, dann wird zum ersten Male seit langem neues Gemeinschaftsgefühl wachsen und mit Recht werden wir glauben dürfen, besseren Zeiten entgegenzugehen!

Berliner Volks-Zeitung, 29. Juli 1920


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