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Zitas »Erfolge«

Der Zita-Putsch ist erledigt. Herr Masaryk, der Präsident der tschechoslowakischen Republik, hat dem frivolen Abenteuer das Schlußwort gesprochen: »Wer sich von Habsburg nährt, der stirbt daran!« Alle ehemaligen Bewohner des schwarzgelben Logierhauses, ohne Unterschied der Nationalität, werden dem greisen Gelehrten, den das Schicksal zum ersten Mann eines jungen Staates gemacht hat, zustimmen. Leider gelingt es Herrn Masaryk nicht, ein im neuen Hause Tschechiens zurückgebliebenes Inventarstück der alten Donaumonarchie endgültig zu zerstören: den Nationalitätenhader. Abermals ist in Deutschböhmen Blut geflossen. Das republikanische Prag versteht ebensowenig, mit Minoritäten friedlich unter einem Dach zu leben, wie es einst das alte königliche verstand. Es ist dasselbe Elend wie früher: die Verstimmung über einen außenpolitischen Fehlschlag macht sich durch verdoppelte Kraftmeierei im Innern Luft.

Es scheint Tatsache zu sein, daß die große Entente ihrem kleinen Mündel die Absendung des Ultimatums an Horthy-Ungarn untersagt hat. Die kleine Entente hat ohne Zweifel in der Sache recht gehabt, in der Form war ihr Vorgehen von Grund aus verfehlt.

Mit dem Herzen dabei gewesen ist wohl nur Südslawien. Dort wühlt noch immer der Groll wider die magyarische Herrenkaste, und man sieht in dem militärisch starken Ungarn den geheimen Landsknecht der italienischen Außenpolitik. Herr Benesch in Prag betrachtet die Angelegenheit schon weit kühler; und vollends in Rumänien taucht auch jetzt wieder das Fuchsgesicht des »großen Europäers« Take Ionescu auf, der sich in Rom so gern als Repräsentant der »lateinischen Schwester« auf dem Balkan feiern läßt und schon aus sämtlichen vergoldeten Assietten gelöffelt hat, die von Rom und Paris kredenzt wurden. Die kleine Entente mobilisierte also und zeigte große Hitze; immerhin sind in ihr genügend retardierende Elemente vorhanden.

Trotz alledem wäre es für diese jungen Staaten eine schöne Gelegenheit gewesen, sich von den Pariser Gängelbändern frei zu machen. Die große Entente, die sie öffentlich begönnert, treibt im Geheimen mit ihnen ein wenig ehrliches Spiel. Horthy-Ungarn ist der Kettenhund Frankreichs und Italiens, zwischen Mittel- und Südost-Europa stationiert. Der Kettenhund, dem [man] bald ein paar Knochen vorwirft und bald ein paar übers Leder zieht. Ungarn soll im Interesse Italiens Jugoslawien von der Adria ablenken; zudem ist Horthy als Sozialistenvernichter und Barriere gegen die Moskauer Propaganda hochgeschätzt.

So problematisch also an sich die Haltung der kleinen Entente Ungarn gegenüber ist, so spontan hat sie doch das am Horizont auftauchende Habsburgergespenst für den Augenblick geeinigt. Ob die Einigkeit ein Verbot der großen Entente lange überdauern wird, muß angesichts der inneren Hemmungen zweifelhaft erscheinen. Jugoslawien und Rumänien haben starke und sehr renitente kommunistische Parteien; sie werden kaum mit gutem Gewissen einen Vernichtungsfeldzug gegen den prononziert antibolschewistischen Diktator in Budapest eröffnen.

Was sie aber mit Recht von Ungarn verlangten, das war die Einhaltung des Vertrages von Trianon. Paris, das sonst in ein wildes Zetergeschrei ausbricht, wenn es ein Komma der Verträge von Versailles und Saint-Germain versetzt glaubt, schloß bis jetzt beharrlich die Augen vor der starken, bewaffneten Macht Ungarns, überließ die Zurückweisung des burgenländischen Frevels den sanften Händen des epikuräischen Greisen-Komitees, das sich Botschafterkonferenz nennt.

Die kleine Entente aber vergriff sich im Mittel, Horthy zu den Buchstaben des Trianon-Vertrages zurückzuzwingen. Sie arbeitete mit Ultimaten und Mobilisierung, mit dem ganzen bösartigen Aufwand einer hoffentlich für immer vergangenen Zeit. Belgrad war tausendmal im Recht gegenüber Budapest; aber dadurch, daß es plötzlich die von der ganzen Welt und von ihm nicht zuletzt in allen Tonarten verwünschten Methoden Wiens von 1914 anwandte, brachte es sich selbst ins Unrecht und muß sich heute entweder von der großen Entente in Schranken zurückweisen lassen oder auf eigene Faust handeln und damit Mitteleuropa in neue blutige Wirrnisse verwickeln. Eine große Gelegenheit, die Präponderanz des französischen Imperialismus in Europa zu brechen, ist durch eine verfehlte Politik versäumt worden.

Berliner Volks-Zeitung, 30. Oktober 1921


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