Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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170.
Lebensbeschreibung des Vogts Hummel.

Er war geboren im Jahr 1729, und ist den 28. Heumonat desselben Jahres in hiesiger Kirche getauft worden.

Seine Taufzeugen waren ein Geschworner Kienholz und eine Frau Eichbergerin. Er erinnert sich aber nicht, weder von dieser noch von jenem ein einziges Wort christlicher Lehre, irgend eine Warnung oder irgend eine Aufmunterung zu etwas Gutem oder Nützlichem gehört zu haben; vielmehr habe er dem Kienholz allemal, wenn er zu ihm gekommen, alle Bubenstücke und Kinderstreiche, die sie in Holz und Feld verübt, erzählen müssen.

Seine Eltern, Christoph Hummel und Margareta Kienholz, waren im höchsten Grad gedanken- und sorgenlose Leute, sowohl in Absicht auf sich selbst als auf dieses einzige Kind, das sie hatten.

Selbst träge, hielt ihn sein Vater nicht zur Arbeit.

Selbst unverständig in seinem Gewerbe und in seinen Haushaltungssachen, konnte er ihm nicht geben, was er selbst nicht hatte.

Selbst gedankenlos und leichtsinnig, konnte er ihn nicht bedächtlich und aufmerksam erziehen.

Und mit der Mutter war's wie mit dem Vater, es fehlte in- und auswendig.

Sie war so unordentlich, daß sie fast allenthalben, wo sie hinkam, und selbst in der Kirche den Leuten zum Gelächter wurde.

Aber was schlimmer war als ihre krumme Haube und ihre schmutzigen Kleider, war ihr Hochmut und ihr mißgünstiges Herz.

Sie hatte zur Gewohnheit, wenn man von jemand Gutes erzählte, den Kopf auf die Seite zu wenden, oder zum Fenster hinaus zu schauen.

Selbst wenn man ihr eine Wohltat erwies, konnte man ihr's nie recht machen, und sie konnte bei Stunden in ihrer Stube vor ihrem Kinde Böses von Leuten reden, deren Guttaten auf ihrem Tische standen. Sie meinte immer, es geschehe ihr zu wenig, und jedermann sollte mehr an ihr tun.

So kam Trägheit und Leichtsinn und Liederlichkeit durch das Beispiel des Vaters, und Lieblosigkeit, Undank und ein anmaßliches Wesen durch die Fehler der Mutter in das Herz des Kindes.

Im vierten und fünften Jahre konnte er dir ein Maul und ein Paar Augen machen, daß sich ein rechter Vater und eine rechte Mutter darob besegnen würden, wenn sie ein Kind von diesem Alter so ein Gesicht machen sähen.

Er war in diesem Alter imstande, den Kopf zu setzen, und bei Stunden kein Wort zu reden, wenn man ihm nicht im Augenblick tat, was er wollte; und du möchtest ihm noch so lieb gewesen sein, so zeigte er den Schalk gegen dich, wenn es ihm in den Kopf kam, wie wenn er dich immer gehaßt hätte.

Er gab Antworten und sagte Sachen, die unter ehrlichen Leuten einem Kinde nicht zum Munde heraus gehen dürften. Die armen Eltern lachten über seine frechsten Antworten, glaubten, daß sie von seinem Verstande zeugten, und dachten nicht, daß Frechheit und Schamlosigkeit einem Menschen seinen Verstand just da nehmen, wo er ihn am nötigsten hätte.

Sie ließen ihm das Maul offen, wo er wollte, und über was er wollte; und je weniger er seinen Verstand brauchte, und mit den Händen arbeitete, desto frecher war er mit dem Maul.

Er hatte von Kindesbeinen auf gar viel Feuer. Anstatt dasselbe zu löschen und zu dämpfen, wo es ins Böse ausbrechen wollte, wurde es auf diese Weise noch angefacht und angeblasen.

Auch war er noch nicht viel über sieben Jahr, so merkten die Eltern, wo sie mit ihm zu Hause waren. Der Müßiggang und Ungehorsam war in ihm erstarkt; und was man ihm vom Folgen, Arbeiten und Rechttun sagte, ließ er zu einem Ohr hinein und zum andern heraus. Selbst mit Schlägen richteten sie jetzt nichts mehr an ihm aus; es war vielmehr, wie wenn man sieben Teufel in ihn hinein schlug, wenn man einen herausschlagen wollte.

Liebe Menschen! ich muß hier stille halten, und den Vätern und Müttern meiner Gemeinde die große Lehre der Auferziehung sagen.

Bieget eure Kinder, fast ehe sie noch wissen, was links oder rechts ist, zu dem, wozu sie erzogen sein müssen!

Und sie werden euch bis ans Grab danken, wenn ihr sie zum Guten erzogen, und ins Joch des armen Lebens gebogen habt, ehe sie noch wußten warum. –

Er sagte seiner Mutter und seinem Vater, wenn sie ihm etwas zeigen wollten, alle Augenblicke: »du kannst es selbst nicht!« – er spottete sie aus: »ja, ja« – »so, so« – »gelt aber?« und dergleichen. Das waren die gewöhnlichen Antworten, die er ihnen gab, wenn sie im Ernste etwas zu ihm sagten.

Er hatte ein Gedächtnis, daß ihm alles Lernen wie nichts war; aber er trieb mit allem, was er konnte, nur Hoffart, lachte die andern aus, wenn sie es nicht so gut konnten, und hatte über nichts so eine Freude, als wenn er machen konnte, daß sie zuschanden wurden.

Einst flüsterte er einem Kinde auf die Frage, wer der Schlangentreter gewesen sei, ein: »der Teufel.« Der Pfarrer schimpfte auf das arme Kind abscheulich wegen dieser Antwort, und fragte hierauf ihn. Der Bösewicht war imstande, ohne das Maul zu verziehen, zu antworten: Der Schlangentreter ist unser liebe Herr und Heiland und Seligmacher Jesus Christus.

Den alten Schulmeister kränkte er mit Worten und Taten, so viel er nur konnte und mochte. Der alte Mann hatte seit vielen Jahren, da es in seiner Nachbarschaft brannte, eine entsetzliche Furcht vor dem Feuer. Wenn dann der Hummel nicht gerne lernte, so warf er Sachen ins Feuer, die übel rochen, damit er erschrecke und im Hause herumlaufe, zu sehen, wo es unrichtig sei. Er zündete sogar oft Zunder im Sacke an, und achtete es nicht, das größte Loch in den Sack zu brennen, wenn er nur den Schulmeister in Schrecken jagen konnte.

Der alte Mann hörte nicht mehr wohl, und der Bube redete immer entweder so leise, daß jener ihn kein Wort verstand, oder so laut, daß die Leute auf der Gasse still standen, zu hören, was für ein Geschrei in der Stube sei, was den Schulmeister dann noch mehr verdroß.

Er hatte ihm einmal zwei Wochen den Schullohn nicht gebracht; und da er ihn von ihm forderte, gab er ihm zur Antwort: Wenn du nicht warten magst, so will ich eben heim laufen, und dir ihn auf der Stoßbahre (Schubkarren) bringen.

Im dreizehnten Jahr ist er seinem Vater entlaufen, und in der Waldrüti Weidhirt geworden. Der Rütibauer achtete seiner minder als eines Stücks Vieh, wenn er nur alle Abende seine Herde richtig heim brachte.

Das Weidhirtenleben, wie es jetzt ist, ist entsetzlich verderbt. Es kommen auf den Bergen immer bei Halbdutzenden, oft von Bettel- und Streifervolk angenommene Hüterbuben zusammen, und tun da alle nur ersinnliche Bosheiten.

Der Hummel war bei diesem Weidhirtenleben wie in seinem Elemente. Er schüttelte weit und breit alle Obstbäume, ehe die Früchte reif waren, und warf das unzeitige Obst zu ganzen Körben voll dem Vieh nach und in Sümpfe und Gräben. Er nahm im Wald und auf den Bäumen alle Nester aus, und marterte die armen Vögel, ehe er sie tötete. Er ließ, wo er konnte, das Bergwasser ins Feld, die Saat zu verderben. Er öffnete in allen Zäunen dem Vieh Wege, daß es Schaden anrichten konnte. Er rief allen Vorbeigehenden schändliche Dinge nach. Er tyrannisierte einen kleinen Buben, der auch auf dem Berge war, daß er seine Herde hüten mußte, wenn er unter dem Baume schlafen, oder im Walde den Vögeln nachklettern, oder mit den größern Weidhirten spielen, und gestohlene Erdäpfel braten wollte. Wenn's der arme Kleine nicht tun wollte, so zwickte er ihn mit der Geißel. Von den schandbaren und unzüchtigen Dingen, die auf dieser Weide vorfielen, darf ich nicht reden.

So war es freilich bei den Alten nicht. Sie nahmen kein fremdes Gesindel in ihre Dienste, und ließen ihre Hirten nicht so zueinander laufen. Wer bei ihnen ein Hausgenosse war, für den sorgten sie an Leib und Seele. Sie machten, daß ihre Hüterbuben bei der Herde blieben, und gaben ihnen beim Hüten ihre tägliche Arbeit auf. Das Hirtenmädchen strickte Wolle, und der Hirtenknabe sammelte dürre Reiser, und machte Holzbürden. Da war das Hüterleben noch ein gutes Leben. Man sah den frommen Hirten am Abend und Morgen auf seinen Knieen beten, und im Schatten der Bäume, unter denen die Herden zusammenliefen, in der Bibel lesen.

Noch zu Hummels Jugendzeit hatten die Alten im Brauch, von ihren Hirten am Abend Rechenschaft zu fordern; aber da es nicht mehr alle taten, richteten die, so es taten, nichts mehr aus. Diejenigen, welche nichts arbeiteten, verfolgten die, welche eine Arbeit mitbrachten. Sie jagten ihnen ihr Vieh weit und breit irre, zerrissen ihnen ihr Strickgarn, und verderbten ihnen ihre Arbeit, so daß kein Weidkind mehr eine Arbeit auf den Berg nehmen wollte. So ging auch diese alte gute Sitte unter.

Im Winter darauf hätte Hummel auf der Waldrüti spinnen sollen; aber er lief davon, und ging wieder heim.

So übel er bei seinen Eltern versorgt war, so war er es bei seinem Meister doch noch viel schlimmer gewesen. Er kam voll Ungeziefer und wild wie ein Raubtier zurück. Die armen Eltern zeigten dem bösen Buben, daß sie froh waren, daß er wieder gekommen sei; und er mißbrauchte ihre Schwäche und Güte so sehr, daß er ihnen den ganzen Winter über für keinen Kreuzer arbeitete, und sie doch dahin brachte, daß sie, in der Hoffnung, er werde dann fleißiger arbeiten, ihn ganz neu kleideten, obschon sie es nur kümmerlich vermochten.

In diesem und dem darauf folgenden Winter wurde er zum Tische des Herrn unterwiesen, und blendete da den Pfarrer mit seinem Auswendiglernen zu seinen Gunsten, ungeachtet er alle Bosheiten in seiner Stube ausübte. Er kam nie ohne Würfel und Karten in die Lehrstunde. Der Frau Pfarrerin legte er die Steine von Pfirsichen und Pflaumen, die er in ihrem Garten gestohlen hatte, noch vor das Fenster; und wenn sie dann hinaus kam, zu sehen, wer es gewesen, so war niemand da.

Er tunkte Schneeballen ins kalte Wasser, ließ sie steinhart gefrieren, und warf damit nach des Pfarrers Hühnern und seinem kleinen Hunde; und es war seine Herzensfreude, wenn er eines traf, daß es lahm wurde.

Seine Kameraden sagten ihm oft, er mache noch, daß der Pfarrer ihn nicht zum Tische des Herrn gehen lasse; aber er antwortete ihnen, wenn der Pfarrer sieben Augen hätte, wollte er ihm vierzehn ausbohren.

In eben der Festwoche, da er zum Tische des Herrn gehen sollte, berauschte er sich im Wirtshause, wo just Werber waren, und sagte überlaut zu ihnen: Ueber acht Tage – dann dürft ihr auch auf mich bieten.

Am Festtage selbst probierte er wohl zehnmal, wie er den Hut unter den Arm nehmen müsse, damit das Band daran recht fliege, und wie er sich bei dem Kompliment vor dem Pfarrer recht stellen müsse, wenn er zum Taufsteine hervortrete. Vor der Kirche redete er mit denen, die neu gekleidet waren, ab, daß sie vor den andern hervorgehen müßten, und daß er als der Größte vorausgehen wolle.

Gott hat den Menschen in diesem Alter viel Kraft und einen frohen Mut gegeben; und die frommen Alten gönnten dem lieben jungen Volke hundert Freuden, die diesen guten Mut stärkten, und eben dadurch vor Ausschweifung bewahrten. Das junge Volk sah einander bei Tag und bei Nacht; aber die Töchter hielten zusammen, und ebenso die Knaben; und dieses Zusammenhalten der beidseitigen Geschlechter machte, daß jeder einzelne Knab' und jede Tochter gar viel mehr und gar viel länger unschuldig blieb. Die Lichtstubeten (Zusammenkünfte bei Licht auf einer Stube) waren damals noch nicht Lasterstuben, wie sie es jetzt sind. Das junge Volk kam freilich nach dem Nachtessen auch zusammen; aber Eltern, Verwandte, fromme, ehrenfeste Männer und Weiber waren allemal dabei, und nahmen an ihren Freuden teil: und wenn ein Knabe, der so viel als versprochen (verlobt) war, nun zu seiner Liebsten allein kommen durfte, so fand er doch immer die Mutter oder Schwester oder einen Bruder bei ihr bis zur Hochzeit.

Ueberhaupt zeigten die alten Nachtbuben in allem, daß sie Ehre im Leibe hatten, und machten gar oft für ihre Freude Sachen, die ihr gutes Herz bewiesen, und ihnen die Liebe der Jungen und Alten und das Wohlwollen der Stillsten und Frömmsten zuzogen. So war es zum Beispiel seit Menschengedenken ihr Brauch, daß, wenn eine Witwe Töchter hatte, die sie ehren wollten, so schnitten sie der Mutter des Nachts beim Mondschein den größten Acker, den sie hatte. Wenn sie dann am Morgen mit den Töchtern, die Sichel in der Hand, in ihren Acker kam, und ihn geschnitten fand, horchten die Knaben hinter den Zäunen, auf wen sie wohl raten möchten, der den Acker geschnitten habe, und jubelten dann vor Freude, wenn sie es errieten.

Aber seit Hummels Zeiten trieben die Nachtbuben immer nur schandbare Bosheiten, richteten Schaden an, wo sie hinkamen, und verderbten allenthalben denen, die noch an den alten Sitten hingen, ihre unschuldigen Freuden.

Wenn der Mond jetzt untergegangen war, und die guten Nachtschnitter mit ihrer Freudenarbeit fertig waren, kamen die Bösewichte, zerstreuten das geschnittene Korn der Witwe, und hausten auf ihrem Acker, wie wenn die wilden Schweine ihn durchwühlt hätten. Am Morgen kamen dann die guten Schnitterknaben, und fanden ihre Arbeit verheert; und nach ihnen die Mutter und die Töchter, denen dieser Acker gehörte. Die Schnitter stampften, die Töchter erblaßten, und die Witwe schlug ihre Hände ob dem Kopfe zusammen, mehr wegen der Sünde, Gottes Gabe also zu verwüsten, als wegen des Schadens und der Schande, die es für sie war. Der junge Hummel sah der Frau hinter dem Graben des Schloßholzes zu, und jauchzte noch ihrer Frömmigkeit zum Trotze. Er tat das vier Jahre nacheinander; und da man ihm in Bonnal auflauerte, tat er es in der Nachbarschaft.

Alles hatte auf Hummel Verdacht, und im letzten Jahre wäre er von den jungen Burschen in Hirzau beinahe totgeschlagen worden. Er ging am gleichen Morgen, da das in der Nacht geschehen war, noch in ihr Wirtshaus, Gebranntes zu trinken. Das junge Volk, das Verdacht auf ihn hatte, war wie wütend über ihn; und wenn ihn nicht alte ehrbare Männer mit Gewalt dem jungen Volke aus den Händen gerissen hätten, so wäre er sicherlich auf Leib und Leben geschlagen worden. Die gleichen Männer, die ihn gerettet hatten, verklagten ihn beim Junker; aber sie konnten nichts beweisen, und der Junker ließ, um solchen Bosheiten zu steuern, den Knaben das Kornschneiden bei Nacht überall verbieten. Aber das tat jungen und alten so weh, und es entstand, da der Pfarrer dieses Verbot in der Kirche vorlas, ein so allgemeines Gemurmel darüber, daß es nicht größer hätte sein können, wenn der Pfarrer eine neue Auflage verlesen hätte. Jedermann sagte: Es ist nicht recht, daß wir um dieses Bösewichts willen diese alte Freude verlieren müssen. Und der Amtsuntervogt Lindenberger, ein alter, eisgrauer Mann, sagte dem Hummel, da er ihn unter der Kirchtüre antraf, vor vielen Leuten: Es wäre besser, der Junker hätte dich an den Galgen hängen lassen, als daß er um deinetwillen unser ganzes junge Volk in ein Bockshorn hineinstoßen will.

Um diese Zeit gingen auch die alten, ehrenfesten Lichtstubeten ab. Die wildern Knaben fingen jetzt an, vor den Fenstern der Ehrenleute, deren Kinder öffentlich und unter den Augen der Eltern beieinander waren, allerlei Bosheiten zu treiben, und ihnen die Freude dieses öffentlichen Zusammenkommens zu verderben.

Das war ein großer Schaden für das Dorf. Es kann aber nicht anders sein. Wie die Bosheit bei einem Volke steigt, so mindern sich seine Freuden, und mit seinen Freuden sein Glück.

Ach! es war, wie wenn alles in dieser Zeit hätte zusammentreffen müssen, das liebe, stille, ruhige, glückliche Wesen der Alten wie von Grund aus zu verderben.

Das Baumwollenspinnen, das damals ganz neu war, und auf einmal in den Gang kam, trug auch vieles dazu bei.

Die wohlhabensten Leute in unserer ganzen Gegend hatten ehedem nicht Geld; ihr Wohlstand bestand darin, daß ihnen Essen, Trinken, Kleider, und was sie brauchten, im Ueberfluß auf ihren Gütern wuchs. Sie begnügten sich damit, und wußten für ihren Gebrauch von gar wenigen Sachen, die Geld kosten.

Die neuen Baumwollenspinner hingegen hatten bald die Säcke voll Geld: und da dieses Leute waren, die vorher weder Güter noch Vermögen hatten, folglich von Hausen und Sparen nichts wußten, brauchten sie ihren Verdienst ins Maul, hängten ihn an Kleider, und brachten hundert Sachen auf, von denen kein Mensch im Dorfe zuvor etwas gewußt hatte. Zucker und Kaffee kam allgemein auf. Leute, die keine Furche Land hatten, und am Abend nie wußten, wovon sie am Morgen leben sollten, waren schamlos genug, und trugen Scharlachwämser und Samtbänder auf ihren Kleidern. Diejenigen, welche Güter hatten, vermochten das nicht, und hatten nicht Zeit, mit Spinnen Geld zu verdienen; wollten aber doch auch nicht minder sein als das Baumwollenvolk, das vor kurzem noch ihnen um jede Handvoll Rüben oder Erdäpfel gute Worte gab. Es gingen darum eine Menge der ältesten, besten Bauernhaushaltungen zugrunde, weil sie auf ihren Höfen in den Baumwollenspinnerleichtsinn fielen, Kaffee und Zucker brauchten, bei den Savoirkrämern Kleiderschulden machten, und sich nicht mehr mit dem, was ihnen auf ihren Feldern wuchs, begnügten, dessen sie freilich für sich und ihre Kinder und Kindeskinder genug gehabt hätten, wie ihre Vorfahren bei hundert Jahren genug daran hatten, und glücklich dabei waren.

Der erste, der in unserm Dorfe ein Scharlachwams und einen Kittel von Savoirtuch trug, war der Hummel. Er hatte es zwar nicht mit Baumwollenspinnen verdient, denn er arbeitete nichts; sondern er hatte das Geld dazu den Baumwollenspinnerlumpen, die mit ihm spielten, abgewonnen. Und er hängte es darum an Kleider, weil er hoffte, dadurch eine reiche Bauerntochter (denn er zog allen in der Nachbarschaft nach) zu erhaschen. Aber damit war es nicht so geschwind richtig. Die Taler, die er im Spiele gewonnen, und allenthalben gespiegelt hatte, waren zum Sack hinaus und fort, lange ehe er ein Bräutigam wurde. Ueberdies wurde es bald bekannt, daß er im Spiele betrüge, so daß niemand mehr mit ihm setzen wollte; und da er von Jugend auf nicht gelernt hatte, zu den Kleidern Sorge zu tragen, so sah er in kurzem in seinen Hoffartskleidern, von den Schuhen bis auf den Hut, einem landesfremden Strolchen (Landstreicher) gleich. Er hatte nämlich alles nach einem fremden Schnitt verfertigen lassen, und dergleichen nach fremder Mode gemachte Kleider sehen, wenn sie alt werden, immer gar viel häßlicher und lumpiger aus als die gemeine Landestracht.

Das war eine harte Zeit für seinen Hochmut; denn als er noch im Flor war, und mit seinen Talern und neuen Kleidern Pracht treiben konnte, machte er sich über jedermann lustig, der dieses oder jenes nicht so hoffärtig hatte als er. Aber jetzt kam die Reihe an ihn. Knaben und Töchter lachten ihn jetzt aus, wenn er immer gleich hoffärtig vor sie hinstand, und bald diese bald jene, die seiner nicht wollte, an den Arm nahm.

Der verstorbenen Kirchmeierin Leuthold hat er bis ins Grab nachgetragen, daß sie ihm vor einem ganzen Dutzend Töchter, da er sie auch so zutraulich bei der Hand nehmen wollte, zur Antwort gab: Was willst du doch mit uns? Ding' du z'Krieg! du bist sonst zu nichts gut. Lange Zeit gab ihm jede Jungfrau, mit welcher er freundlich tun wollte, diese Antwort: Was willst du doch mit uns? Ding' du z'Krieg! du bist sonst zu nichts gut.

Und es wäre sicher dazu gekommen, daß er das hätte tun müssen, wenn er nicht an der Weihnacht 1751 ein lebendiges Rehböcklein gefangen, und dem Junker aufs Neujahr für die junge Herrschaft auf Arnburg gebracht hätte. Durch diesen Umstand hat er sich ins Schloß eingeschlichen, und ist gar bald wieder zu ganzen Säcken voll Geld und zu aller Hoffart gelangt.

Was ich diesfalls sage, geschieht auf ausdrücklichen Befehl unsers gnädigen Herrn, der nicht will, daß die Fehler seines Hauses, die seine Herrschaftsleute verführen und unglücklich machen können, verschwiegen und ungeahndet bleiben.

»Die damaligen Unordnungen im Schlosse sind die wahren und einzigen Ursachen, warum der Hummel bei seinem leichtsinnigen, liederlichen, müßiggängerischen Leben dennoch im Lande hat bleiben können, und wieder zu Geld, Vermögen und Ansehen gekommen ist; und warum er bei aller Unordnung, in der er gelebt, bei allen geldfressenden Bosheiten und Verbrechen, die er verübt, und bei allem Unglücke, das ihn betroffen, dennoch bis auf diese Zeit immer so bei Geld geblieben ist, daß er sich bei Haus und Hof hat erhalten können.«

Er hatte sich nicht so bald ins Schloß eingenistet, so hatte er wieder eine Menge guter Freunde, und das Auslachen nahm mit dem Neujahrstag und dem Rehböcklein, das er ins Schloß führte, im Augenblick ein Ende; denn in der andern Woche wußte schon jedermann, daß er alle Tage darin stecke, und ausrichte, was er wolle.

Der alte Schreiber sah, daß er ihn brauchen könne, und machte gar bald Kameradschaft mit ihm; und wer nun im Schlosse etwas wollte, der wandte sich, wenn er recht hatte, bei Tage, wenn er unrecht hatte, bei Nacht an ihn. Man verbarg es nun nicht mehr, daß man im Schlosse ausrichten könne, was man wolle, wenn man ihn dafür bezahle. Wer ihn am teuersten zahlte, war der Müller von Grienbach; der gab ihm seine Tochter dafür, daß er ihm Wein und Frucht in wohlfeilen Preisen zu Händen hielt. Dieser Mann machte also aus himmelschreiendem Geize seine Tochter zu einem unglücklichen Weibe.

Denn das war sie von der Stunde ihrer Heirat an bis an ihren Tod, der vorgestern erfolgt ist.

Sie liegt jetzt hier – Staub und Asche! Eure Tränen redeten vor wenig Tagen Verzeihung für sie, und mein Herz ist bewegt über ihren Tod.

Friede sei mit ihren Gebeinen! und der Totenwecker erwecke sie einst zum ewigen Leben!

Aber ihr Vater hat sie dahingegeben zum Opfer seines Geizes, einem Bösewicht, der sie nicht liebte, und sie elend machte.

Dieser Vater wird die Leiden ihres Lebens aufgezeichnet finden an einem Tage, an dem er den Wert des Weins und der Frucht, den er zum Gegensatz für seine Tochter empfangen, anders schätzen wird als in den Tagen des Unsinns, in denen er dem Manne, den er brauchte, seine Obrigkeit zu betrügen, Statt und Platz gab, auch sein Kind zu verführen. Ich habe den Müller sterben, und den Jammer dieser Tat mit sich ins Grab tragen sehen. Das Bild seines Todes schwebet noch jetzt vor meinen Augen, und unvergeßlich bleibt mir die Lehre, die sein Tod in mein Herz geprägt hat: »daß der Mensch, wenn er um seiner selbst willen nicht fromm und treu sein will, es doch um seiner Kinder willen sein sollte.«

Da der Hummel nun verheiratet war, wollte er auch mit Gütern groß tun; aber er war kein Bauer. Und wie hätte er auch einer sein können, so träge, so liederlich und unordentlich als er war. Es war nur Hoffart, daß er Güter haben wollte. Er besorgte sie nicht recht, und zog bei weitem nie den Nutzen daraus, was seine Nachbarn.

Der Kuhhandel hingegen war ihm einträglich. Er brachte aber auch viele Haushaltungen damit um Hab und Gut. Die Armen wurden ihm bald schuldig, und wer ihm schuldig war, mußte mit ihm handeln; und wem er im Schloß einen Gefallen tat, der mußte ihm eine Kuh dafür abkaufen, oder mit ihm tauschen. Er gab den armen Leuten oft in einem Jahre drei bis vier Stück, aber eines schlimmer als das andere.

Bald nach seiner Heirat verleitete ihn sein Hochmut, seinen Vater zu bewegen, daß er ihm Haus und Güter samt den Schulden überließ. Er versprach dem Vater, so lange er noch lebe, ein ehrliches Auskommen und liebreiche Behandlung; aber sobald er die Güter hatte, ließ er den alten Mann darben, daß alle Nachbarn Mitleiden mit ihm hatten. Der Kirchmeier Kienast sel. hat den alten Mann sozusagen unterhalten, und ihm Milch und Brot gegeben, und ihn mit sich essen lassen, wann er wollte. Er kam auch fast alle Tage, und klagte immer mit Tränen, wie gottlos sein Bub mit ihm umgehe; aber wenn es der Junge merkte, so wütete er gegen den Vater, und brauchte hundertmal die Worte, er wolle ihn in den Boden hinein schlagen, wenn er sich mehr erfreche, einen Mundvoll Brot in einem fremden Hause zu essen. Er machte sich auch nichts daraus, öffentlich vor den Leuten zu sagen: es wäre das beste, der alte Lump ginge bald weiteres; er nütze so nichts mehr auf der Welt.

Das alles ängstigte und verwirrte den armen Mann so sehr, daß er argwöhnte, sein Bub wolle ihn noch vergiften, so daß er keinen Löffel voll Suppe ohne Angst aß, wenn er wußte, daß jener beim Kochen in der Nähe gewesen war, und daß er allemal mit Aengstlichkeit Achtung gab, ob er auch davon esse.

Man riet dem Alten, ins Schloß zu gehen, und dem Junker zu sagen, wie es der Sohn ihm mache. Er tat es, und bat den Junker mit tausend Tränen, er solle doch dem Buben zusprechen, daß er, so lange er lebe, doch christlich mit ihm umgehe. Der Junker befahl ihm, er solle morgen mit dem Sohne wieder ins Schloß kommen, damit er ihn auch verhöre.

Der Hummel vernahm, was der Vater im Schloß getan hatte, ehe er wieder heimkam; war aber ganz freundlich mit dem Alten, und sagte, er wolle gern kommen, und er begehre nichts, als was recht sei. Aber er überredete den Vater daheim und auf dem Wege, Kirschenwasser zu trinken, indem er ganz zutraulich zu ihm sagte: Das macht Herz und Courage, wenn man vor die Obrigkeit will. Es war kalt und im Jänner, und der Alte ließ es sich belieben; denn der Bube bezahlte für ihn. Aber da er jetzt aus der Kälte in die warme Stube zum Junker kam, und seine Klage anbringen wollte, schwankte und stotterte er wie ein besoffener Mann, und das Gebrannte stank ihm zum Munde heraus. Der Vogt hingegen stellte sich gar demütig, tat, wie wenn er fast weinen müßte, und sagte: es könnte wohl nichts Traurigeres sein, als wenn Kinder mit ihren Eltern vor die Obrigkeit gehen müssen, und es sei ihm, so lange er lebe, nichts begegnet, das ihm so weh getan hätte; weil es aber jetzt doch so sei, so müsse er in Gottes Namen sagen, wo der Igel im Hag liege. Wenn er den Vater vom Morgen bis zum Abend lumpen und in Wirtshäusern stecken ließe, und dann für ihn zahlte, so hätte er gewiß nichts über ihn zu klagen; aber das vermöge er nicht; und es sei, ob Gott wolle, genug, daß er die schöne Sache, die er gehabt, beinahe bis auf den letzten Heller durchgebracht habe usw. Kurz, der Vogt konnte schwatzen wie eine Elster, und allem eine Farbe geben, wie er nur wollte; und der Junker mußte wohl glauben, was er sagte, denn das Gebrannte roch dem Alten zum Munde heraus. Auch war die Sache bald richtig. Der Junker ward über ihn böse, und sagte zu ihm: Du alter versoffener Lump, ich muß ja mit meinen Augen sehen, daß dein Sohn recht hat, und mit dir geplagt ist. Gehe mir den Augenblick aus der Stube, und halte dich, daß er keine Klage mehr über dich hat. Auf dem Heimwege sagte dann der Hummel wohl zwanzigmal zu seinem Vater: Du alter versoffener Lump, wie ist's jetzt gegangen? Wann willst du jetzt wieder mit mir ins Schloß gehen? – Und so lange er lebte, war dies immer seine Antwort, wenn sein Vater etwas klagte.

Die Bekanntschaft mit dem alten Schreiber wurde indessen immer enger. Dieser zeigte ihm nach und nach die Form und Ordnung, wie man Land und Leute aussaugen könne, ohne viel dabei zu gefahren. Sie trieben diese Künste in Friede und Einigkeit jahrelang, und arbeiteten einander längst in die Hände, noch ehe der alte Weibel, auf dessen Dienst sie lauerten, ihnen sterben wollte.

Endlich starb er, und der Schreiber schlug dem Junker den Hummel zu diesem Amte vor; dieser nahm ihn dazu.

Jetzt rief ihn sein Amt in die Hütte des Elends. Die Gefangenen kamen in seine Hände. Treiben und Pfänden war jetzt das Handwerk, bei dem er sein Brot suchte; und den Vater von dem hungernden Weibe, die Mutter von den weinenden Kindern wegführen, das Elend des Lebens in hundert Hütten auf das Aeußerste zu bringen, das war jetzt sein Beruf! –

Liebe Menschen! die Gewalt der Fürsten ist heilig, und ihr Dienst ist ein heiliger Dienst; aber darum sollten die Obrigkeiten auch keine ruchlosen Menschen in ihren Dienst nehmen, und nicht vergessen, daß der Dienst des niedrigsten Weibels im Dorfe ihr Dienst ist. O ihr Menschen! lasset uns Gott bitten, daß er die Fürsten erleuchte, daß sie diese Dienststellen auf Erden mindern, und allenthalben mit stillen, demütigen und gutmütigen Menschen besetzen! Es ist entsetzlich, wie Land und Leute verheeret werden, wenn die Fürsten es zugeben, daß solche Stellen mit ruchlosen Menschen, die sich immer zuerst hinzudrängen, besetzt werden.

Weder der Leuthold mit seinen zwölf Kindern, noch der Bauer ab dem Rütihof, noch der Haselberger wären zur Gant getrieben worden, wenn der Hummel nicht in der Zeit seines Weibeldienstes mit dem Schreiber ihnen allenthalben ihre Schulden aufgeweckt, und alles dahin angezettelt hätte, daß die Gantkosten von diesen drei Höfen in ihre Hände kamen.

Es ist jetzt mehr als zwanzig Jahre seit diesen Ganten; aber das Elend, das daraus entstanden, dauert noch jetzt, und wird noch lange dauern, wenn wir alle nicht mehr da sind. Es sind unter meinen fünfunddreißig Almosensgenössigen vierzehn Abkömmlinge von diesen Verganteten; außer diesen sind noch vier Abkömmlinge von ihnen wegen Diebstahls im Zuchthause, und fünf Töchter und sieben Knaben von ihnen ziehen im Bettel herum.

Als Weibel hat er so viele Leute ins Schloßgefängnis gebracht, daß alles ehrenfeste Leben unter uns aufgehört hat. Es waren vorher viele Geschlechter, die eine Freude daran hatten, und ihre Ehre darin suchten, daß bei hundert Jahren niemand von ihrem Namen ins Gefängnis gekommen; aber er brachte es dahin, daß das niemand mehr sagen konnte. Ach! es ist, wie wenn er unsere Geschlechter und unser Volk mit Gift angesteckt hätte während seines Dienstes, so sehr wußte er alle Spur von Scham und Ehrgefühl auszutilgen, die noch unter uns war. Die Reichen soffen und spielten im Gefängnis, indessen die Armen darin verfaulten.

Im siebenten Jahre seines Weibeldienstes kaufte er das Wirtshaus und die Mühle, und konnte 4500 Gulden bares Geld daran zahlen, ohne was er sonst hatte, sich für diese Gewerbe einrichten.

Aber das Elend ist nicht mit Worten auszusprechen, das so ein Mann über ein Dorf bringen muß, wenn er jetzt noch Wirt und Müller wird. Stellet euch ihn doch vor: mit seinem Ansehen im Schlosse, mit dem Gelde, das er jetzt schon hatte, mit seiner Weibelgewalt, mit seinem Geiz und mit seiner Schlauheit, mit den Kenntnissen, die er von allen, auch den kleinsten Umständen in jedem Hause hatte – stellet euch vor, ob's anders möglich gewesen sei, als daß das ganze Dorf von ihm wie verkauft worden ist!

Ach! wie der Fisch im Wasser in Schleusen fällt, wenn seinem Laufe sonst keine Oeffnung gemacht ist; wie der Vogel in der Luft sich im Garne verstrickt, wenn es seinem Fluge im Wege steht; wie das Wild im Feld in die Gruben fällt, wenn man es mit seiner Nahrung dahin lockt – so fiel unser Volk dem Hummel in die Hände, als er jetzt noch Wirt und Müller wurde.

Er wußte besonders die Unzufriedenheit mit ihren Umständen, in welcher die meisten Menschen leben, zu seinem Vorteil zu gebrauchen, und besaß die Kunst, von jedermann wie aus dem hintersten Winkel herauszulocken, wie und worin sie glaubten und meinten, daß ihnen unrecht geschehen sei. Und es brauchte nur das, so hatte er sie sicher in seinen Klauen, und griff sie dann an der schwachen Seite an, die er nun an ihnen kannte.

Waren es Kinder, waren es Dienstleute, oder waren es Eltern – er wußte mit einem jeden zu reden, und ihm sein Zutrauen zu stehlen.

Dem störrischen Kinde sagte er: warum es doch einer Mutter folge, die so eine Frau sei, wie die seinige.

Dem hoffärtigen: sein Vater sollte sich schämen, daß er ihm dieses und jenes nicht gebe, wie es andere haben, die gar viel weniger Vermögen hätten als er.

Dem fleißigen: es sei ein Narr, daß es sich so plage, und nicht mehr Dank davon trage.

Dem gewinnsüchtigen: es würde unter Fremden wohl zehnmal mehr verdienen als daheim.

Dem trägen: warum es doch vom Morgen bis an den Abend so angespannt sein möge, wie ein Roß am Karren.

Dem Stiefkinde sagte er: es sei himmelschreiend, was für einen Unterschied seine Eltern zwischen ihm und den andern machen.

Dem Knecht, der einen guten Meister hatte: es sei gut, aber doch auch nicht immer, bei einem Esel dienen. Demjenigen aber, der einen strengen Meister hatte: wenn du dich beim Teufel verdingt hättest, du hättest es nicht schlimmer als bei deinem Meister.

Und so sagte er auch zur Magd, wenn sie ihre Meisterleute rühmte, oder wenn sie selbige schalt. Und so auch dem Weibe, wenn es seinen Mann lobte, und wenn es ihn schalt.

Aber allemal kam das Lied, wenn sie miteinander vertraulich wurden, am Ende so hinaus: Du bist ein Narr, oder eine Närrin, daß du dir nicht selber hilfst; an deinem Platze würde ich lachen, und dies und das tun – was allemal deutsch sagen wollte: »stiehl, was man dir nicht gibt, und bring's mir!«

Ach, die Lehre ward so wohl verstanden, daß unser Volk ein Schelmenvolk, und unsere Haushaltungen elend geworden sind. Die Schulkinder nahmen ihren Eltern, was sie konnten, und brachten es ihm. Die Eheleute stahlen einander das Ihrige, und brachten es ihm. Die Dienstleute nahmen ihren Meisterleuten, was sie konnten, und brachten es ihm.

Und so wie die Gelüste des Mutwillens, so brauchte er auch die Not der Armen zu gleichen Zwecken. Er verführte sie mit Speise und Trank, und mit Geld, das er ihnen auf Dings (Zeit) gab, und zwang sie dann plötzlich zu zahlen, was sie nicht hatten. Dann stahlen die Armen, und brachten es ihm.

Unter diesen Umständen konnte es nicht anders sein – die Liebe und der Glaube und der Friede, der die Menschen segnet und glücklich macht, mußte aus allen Wohnstuben weichen; und zwischen Eltern und Kindern, zwischen Brüdern und Schwestern, zwischen Mann und Frau war allenthalben der Same der Zwietracht gesäet. Und der Same der Zwietracht ist der Same des Lasters und des Unglücks.

Das Laster wuchs jetzt allenthalben wie die Frucht, die im Miste steht. Das Hundertste kam zwar nicht an den Tag; aber man darf doch die Zahl der Menschen nicht nennen, die in dieser Zeit in Bußenrödeln und Kriminalakten aufgeschrieben sind. Ihre Taten sind die Früchte des Samens, den dieser unglückliche Mann mit seiner Hand ausgesäet hat; auch klagten ihn viele darüber an.

Der arme Uli sagte unter dem Galgen: er habe nicht den zehnten Teil so viel gestohlen, als der Hummel ihm abgedrückt habe. – Und es war wahr. Dieser hatte ihm sein bestes Land mehr als um ein Dritteil zu wohlfeil abgedrückt; und der arme Tropf hatte vorher für keinen Heller gestohlen, bis er von diesem gänzlich ausgesogen, und an den Bettelstab gebracht worden war.

Auch die Lismergrithe ist in seinem Hause unglücklich geworden; und als sie hernach, da sie ihr Kind umgebracht hatte, in seinem Hause in Verhaft genommen wurde, sagte sie in Gegenwart vieler zum Vogt: Wenn du mich nicht schon einmal hier eingesperrt hättest, so wäre ich jetzt nicht da. Er hatte nämlich mit eigener Hand den Schlüssel von der Kammertüre genommen, in welcher der Mutwille mit ihr getrieben wurde, der sie jetzt das Leben kostete. – Was eingesperrt? erwiderte der Hummel, da sie ihm diesen Vorwurf machte. Sie antwortete ihm: Du bist an meinem Unglück schuldig! – Das könnte eine jede sagen, die bei mir tanzt und trinkt, wenn sie dann hintennach täte, was du, erwiderte dieser, riegelte die Türe, und ging fort.

Auch von den Knechten, die von ihm weggekommen sind, haben mehrere wegen Diebstahls landesflüchtig werden müssen. Es konnte auch nicht anders sein, sie sind in seinem Hause wie dazu erzogen worden. So lange er die Mühle hatte, haben seine Karrer immer bei all seiner Kundsame, dem Hausvater hinter dem Rücken, von der Frau, den Kindern und Dienstboten gestohlene Frucht abgenommen. Sie hatten hinter allen Hecken und in allen Winkeln ihre Oerter, wo man ihnen die gestohlenen Säcke ablegte.

Der Christoph, der so lange bei ihm war, jetzt aber auch landesflüchtig ist, wäre vor zwanzig Jahren deswegen beinahe totgeschlagen worden. Der Rütibauer merkte noch im letzten Jahre, ehe er vergantet wurde, daß es mit seiner Frucht (Korn) nicht richtig gehe; und da er seine Frau, die dem Trunke sehr ergeben war, im Verdacht hatte, gab er lange auf sie acht, und sah sie einmal an einem Morgen fast vor Tag mit einem Sacke voll Frucht, so schwer sie tragen mochte, zum Haus hinaus gehen. Er schlich ihr durch einen Abweg hinter dem Zaune nach, und sah sie den Sack in dem Gestäude an der Steig bei dem Mühlweg verbergen; ließ aber die Frau, ohne sich zu zeigen, wieder heim gehen, und wartete hinter dem Gestäude, wer den Sack abzuholen kommen werde. Es verging keine halbe Stunde, so kam der Mühle-Karrer, und nahm noch zwei solche Säcke aus dem Gestäude hervor. Als er aber den Sack des Rütibauers nehmen wollte, schlug dieser mit einem Zaunstecken so auf ihn zu, daß er in Ohnmacht fiel, und eine Viertelstunde mitten auf der Straße liegen blieb, bis man es in der Mühle vernahm, und ihn heim holte. Von dieser Zeit an ist der Christoph nie mehr ohne seinen großen Hund von Hause weggegangen.

Etwa im dritten Jahre seines Weibeldienstes starb dem Hummel sein einziges Kind, ein Knabe, der sein Alter nur auf zehn Jahre brachte, und immer kränkelnd und schwächlich, aber dabei ein gutes und frommes Kind war. Er saß viel ob der Bibel, las und betete viel. Er hatte nicht Kräfte zu arbeiten, aber er sah das Unrecht, das in seines Vaters Haus herrschte; und so jung er war, vergoß er schon darüber Tränen, und sagte dann und wann unverhohlen: es drücke ihm fast das Herz ab, wenn er dies und jenes sehe. – Sein Vater haßte ihn, nannte ihn nur Sterbling und alte Grochserin (Jammerweib), und im Rausche verspottete er ihn noch bisweilen, wenn er laut und inbrünstig betete. Und die Magd, die in des Knaben Kammer schlief, hat bei seinem Tode bezeugt, daß er oft ganze Nächte durch gejammert, und kein Auge zugetan habe, wenn er dazu gekommen sei, daß sein Vater jemanden ins Unglück zu bringen gesucht und gedrückt habe. Etliche Tage vor seinem Tode hat er dem Pfarrer gestanden, daß ihm das auf dem Herzen liege, und ihn gebeten, daß er doch, aber erst wenn er gestorben sei, mit dem Vater darüber rede. Der Pfarrer tat es auch; aber der gab ihm zur Antwort: Es scheint. der Bub sei bis in den Tod ein einfältiges Tröpflein geblieben, wie er in seinem Leben immer war. Doch gab er in der Sterbewoche des Knaben einigen Armen etwas Rüben und Erdäpfel zum Almosen.

Den Weibeldienst hatte er neun Jahre versehen, als der alte Vogt starb. So sehr ihm aber der Junker gewogen war, so dachte er im Anfang doch nicht daran, ihn zum Vogte zu machen. Er kannte einige Fehler an ihm wie zum Beispiel Saufen und Schwören, und meinte für sich gar nicht, daß er zu dieser Stelle der beste sei; aber der Weibel hatte so viele Vorsprecher im Schlosse, vom Schreiber und Vikari an bis auf den Gärtner, der viel auf den Junker vermochte, daß es ihm zuletzt schien, er habe im ganzen Dorfe alle Stimmen für sich. Und doch waren alle nur Ohrenbläser, und im ganzen Dorfe hätte der Weibel nicht fünf Stimmen gehabt, wenn es aufs Herz angekommen wäre; aber kurz, man machte den Junker glauben, er sei den Leuten angenehm – und er wurde Vogt!

Und nun tat er – ich darf das Wort wohl brauchen; es ist hart, aber wahr – er tat nun als eine Art Obrigkeit, was er zuvor als Schelm getan hatte. Sobald er Vogt wurde, war das erste, das er tat, er suchte den Bamberger vollends zu verderben; denn er wußte, daß, so lange dieser an seinem Platze sei, er in seinem Tun und Treiben nicht sicher sein könne. Er kam auch bald zu seinem Ziele. Mit allen andern Vorgesetzten wußte er sich zu vertragen; denn er wußte allen, auf die oder jene Art, mit Güte oder mit Ernst, beizukommen, daß sie tun mußten, was er wollte.

Er mischte sich auch in alle Hausgeschäfte des Junkers, und wußte alles, wo er Einfluß hatte, so zu leiten, daß die Sachen alle in einer Art von Trott ihren Weg fortgingen, ohne daß der Junker Mühe damit haben, oder nur viel davon reden mußte, wenn er nicht gerne wollte; und machte sich so mit Zeit und Jahren im Schlosse so notwendig, daß man fast gar nicht ohne ihn fortkommen konnte. Er ließ es auch ein paarmal den Junker fühlen, da er einmal in der Heuernte, ein andermal auf eine Zehntenverleihung nur acht Tage lang nicht ins Schloß kam.

Er trachtete ferner, alle, welche Aemter hatten, bis auf die geringsten, so viel er immer konnte, unter einen Hut zu bringen. Er nahm davon für sich selbst, so viel er konnte, und für die übrigen sorgte er, daß sie mit Leuten besetzt wurden, die ihm zugetan, oder doch wenigstens einfältig waren. Bis auf den Sigrist- und Schulmeisterdienst schob er allenthalben seine Kreaturen unter, und tat dann als Vogt mit unaussprechlicher Sicherheit, was er vorher als Weibel noch immer mit Gefahr des Zuchthauses und noch größerer Strafe getan hatte.

Das ist nämlich der Unterschied zwischen einem Schelm, der Vogt ist, und einem andern, der es nicht ist: der Eid, den er auf sich hat, und der Eid, den seine Kreaturen schwören, wird zu einem Schild, mit dem er alle Verbrechen decken kann. Wo er diesen Schild vorhält, da werden seine Lügen zur Wahrheit, und die Wahrheit seiner Widerpart zu Lügen.

Der Wert dieses Schildes ist allen gewalttätigen und ungerechten Menschen, die auf den Dörfern in Ehre und Ansehen stehen, unbezahlbar; auch bedienen sich die wohlgeehrten Blutsauger bald allenthalben desselben je länger je schamloser. Frage links und rechts, und du wirst hören: wenn gemeine Leute allenthalben hundertmal eher Unrecht leiden, und sich bei ihrem besten Rechte lieber wohl und wehe tun, als es in ihren Streitsachen auf einen Eid ankommen lassen, so setzen hingegen die Vorgesetzten ihren Eid so kurzweg und unbesonnen zu allem, was sie oft auch im Rausche reden und tun, daß es einen schaudern macht.

Das ist aber auch die erste Ursache des vielen Elends und Leidens, das diese Leute inwendig haben, so wie des häuslichen Unglücks, in dem viele leben, und noch mehrere ihre Kinder hineinstürzen. Da man nämlich um ihrer Eide willen fast gar nicht hinter ihre Betrügereien kommen kann, und ihre Weiber und Kinder alle Tage sehen, daß jedermann dem Vater seine Lügen als Wahrheit gelten lassen muß, so werden auch sie ebenso gewalttätig und ungerecht, verlernen alle Art und Weise, mit ihren Nebenmenschen als mit Ihresgleichen umzugehen; daher auch allenthalben, wo die Söhne solcher Männer nicht auch wieder Vögte werden, oder ein Amt kriegen, wo sie ihre Liederlichkeit und ihre häuslichen Fehler mit Mantel und Eid decken können, die Söhne Lumpen werden; und die Töchter, wenn sie in gemeine Haushaltungen heiraten, wo man arbeiten sollte, den Wohlhabendsten, der das Unglück gehabt hat, also zu verirren, zugrunde richten.

Aber ich verschwatze mich. Die Zeit geht vorüber, und ich habe noch so wenig gesagt von dem, so ich sagen soll.

Da der Hummel nun in seinem Dienste fest saß, griff er jedermann an, der in Holz und Feld etwas hatte, das ihm anstand. Wollte er's nicht geben, wie er wollte, so hatte er einen Prozeß auf dem Halse, oder war sonst alle Augenblicke nicht sicher, in eine Grube zu fallen, die man ihm gegraben hatte. Er griff die ganze Gemeinde an wie einen einzigen Mann. Aber wo so ein Vogt Meister ist, da ist keine Gemeinde mehr. Sie muß sogar oft so einem Manne noch selbst bestätigen, und ihm zu Urkunde und Siegel von dem helfen, wovon sie in ihrer Seele weiß, daß es ihr abgestohlen ist. Das war der Fall mit dem Markstein bei des Vogts Acker, der noch jetzt der zugepflügte Acker heißt. Er war mehr als ein Drittel der Länge nach der Gemeinde abgefahren. Die alten Männer wußten alle, daß ein Zaunstumpen und ein Markstein bei fünfzig Schritte tiefer unten gestanden sei, als der Vogt die neuen Marksteine gesetzt hat; aber der Zaunstumpen war nun bei zehn Jahren ausgestockt, und der Markstein kam auch weg, niemand wußte wie. Die Gemeinde setzte ihm die Marksteine, wohin er wollte, ohne Widerrede. Da er bauen ließ, war's wieder das Gleiche. Er nahm aus dem Walde, was er wollte, und das Holz war schon gezimmert, und lag schon vor seinem Hause, als er an der Gemeinde das Mehr gehen (die Stimmen sammeln) ließ, daß sie es ihm bewilligten, und die Erlaubnis dafür zu seiner Sicherheit ins Dorfbuch hineinschreiben hieß.

Der alte Mönchhöfler sel. konnte das auch fast gar nicht verdauen, und sagte überlaut: vor altem seien die Diebe doch auch noch zufrieden gewesen, wenn man sie mit dem Gestohlenen fortgelassen habe; aber jetzt müsse man noch ein Zeugnis dazu geben, daß man es ihnen geschenkt. – Aber es tat jedermann, als ob man ihn nicht höre, und sein Sohn selbst nahm ihn ab, und sagte: Schweig doch, um Gottes willen; wir sind sonst keine Stunde sicher, daß er uns um Haus und Hof bringe! Der Vogt tat selbst, als ob er es nicht gehört habe, und machte, daß die Vorgesetzten das Zeugnis unterschrieben, und das Datum zwei Monate früher setzten.

Die öffentliche Gerechtigkeit war nun in seiner Hand, und er brauchte sie fast immer zum Schutze derer, die unrecht hatten, damit er sich einen Anhang machte von Leuten, die ihn fürchten müßten, um mit diesen diejenigen zu unterdrücken, die ihm entgegen wären.

Weit und breit wurde nicht so viel gestohlen als bei uns; aber seitdem er Vogt war, wurde fast niemand abgestraft, und – er machte sich noch groß damit. »Wenn er fünf Jahre früher Vogt gewesen wäre, so wäre dem Uli und vielen andern gewiß nicht begegnet, was ihnen begegnet sei.« Er erschwerte immer den Beschädigten den Beweis wider den Frevler, und dem Schwachen den Beweis wider den Gewalttätigen, und dem Bestohlenen wider den Dieb. Er hielt den Klagenden hin, bis der Beklagte entronnen, und der Frevler bedeckt war. Wenn der Kläger den ganzen Tag auf ihn wartete, so war er nicht daheim; aber die Nacht durch stand sein Haus für Rat und Tat dem Schelm offen. Was du mit deinen Augen sahst, mußte nicht wahr sein; und wenn du den Dieb in deinem Hause ertapptest, mußtest du ihn noch um Verzeihung bitten, daß du ihn verklagt hattest.

Dadurch geschah aber, daß sich jedermann selber Recht zu verschaffen suchte. Es sind mehrere Personen auf den Tod geschlagen worden, weil man sich scheute, sie am Recht anzugreifen, und der Krummholzer mußte unter der Last seiner gestohlenen Trauben aus gleichem Grunde ersticken. Der Leuthold und der alte Hügi, die ihn in ihrem Weinberg antrafen, stießen ihn mit der Taufe (Bütte) die Stufen ihres Weinberges hinunter. Sie hörten ihn unten an den Stufen um Hilfe rufen; aber sie ließen ihn liegen, weil sie keinen Prozeß mit ihm haben wollten, und fürchteten, er erkenne sie, wenn sie ihm zu Hilfe kämen, und dann helfe ihm der Vogt ableugnen, daß er ihnen Trauben gestohlen habe.

Es war auch sicher fast in keinem Falle mehr möglich, das größte Unrecht, das man litt, zu beweisen. Er lenkte das Recht, wohin er wollte; Wahrheit oder Lüge war ihm gleich viel. Was er wollte, war Ja, und was er nicht wollte, war Nein. Was im Verborgenen geredet wurde, ward, wenn er daran setzte, ausgeforscht; und was an offener Gemeinde geredet worden war, wurde verleugnet, wenn er es verleugnet haben wollte. Wofür er immer stritt, hatte er immer Zeugen für das, so er behauptete. Auch wenn Eid und Gewissen dazu gesetzt werden mußten, standen diese ihm bei.

Ich mag nicht viel von diesen elenden Meineidigen reden; ihr wisset, wer sie waren, und auch, wie der Vogt sie dahin gebracht hat, daß sie also (wie einige von ihnen sich hernach öffentlich ausdrückten) für ihn Leib und Seele dem Teufel verpfänden mußten, wenn er's von ihnen forderte. Er verzuckerte ihnen freilich diese Pillen in jedem Falle, so gut er konnte, und stellte sogar den unglücklichen Vikari an, den armen Leuten ihr Gewissen einzuschläfern.

Es gelang ihm auch oft, daß sie ihre Zeugnisse nicht beschwören mußten; denn gar oft gaben die Unschuldigen, die mit ihm vor dem Rechte standen, wenn sie sahen, daß er solche Zeugen stellte, den Handel auf, und litten Unrecht, ohne Eide wider sich gehen zu lassen. Und dann sagte der Vogt jenen Unglücklichen: das Zeugnis, das sie jetzt gegeben, sei nur eine Lüge, wie es alle Tage in allen Ecken hundert gebe, und auf hundert Stunden weit seien es keine Meineide. Und diese glaubten es gern. Wenn es aber dahin kam, daß sie den Eid zu ihrem Zeugnis tun mußten, so wußte man ihnen die Worte, die sie beschworen hatten, so auf die Spitze zu setzen und zu drehen, daß sie genugsam hinreichten, den Vogt den Handel gewinnen zu machen, und zwar so, daß die Worte nicht völlig gerade Lügen, sondern mehr verdrehte und verkehrte Wahrheiten schienen. Diese schöne Zeugnisgeberei war so bekannt, daß ein Herr aus der Nachbarschaft den Keibacker, wie er in einer solchen Handlung für den Vogt vor dem Rechte stand, abmalen und in Kupfer stechen ließ. Er ist wie lebendig getroffen. Sein Haar steht ihm im Kupfer auf wie einer wilden Sau die Borsten; die Furcht vor der Hölle, und das Hundeherz, doch zu schwören, weil er den Mundvoll, den man ihm dafür darwirft, vor sich sieht, redet ihm aus den Augen. Er hat eben das Maul offen, und es ist, wie wenn man's sähe, daß er vor Herzklopfen fast nicht atmen kann, und aus der versoffenen Nase schnaufen muß. Die Augen sind halb zu, die Stirne rümpft sich von allen Seiten dagegen und gegen die Nase hinunter; er hebt just die drei Finger auf, und die Hand (man meint zu sehen, daß sie zittere) ist noch voll Tinte, von einem Schelmenbrief, auf dem er eben sein † getolget.tolgen (klecksen), heißt: Etwas anstatt mit seiner Unterschrift mit einem † bezeichnen – welches oft mit großer Gefahr von Leuten, die nicht schreiben können, und auch von solchen, die nur sagen, sie können es nicht, geschieht. Unter diesem Kupferstiche stehen die Worte: »Ein Zeugnisgeber von Bonnal.«

Es konnte kaum ein entsetzlicheres Denkmal des Verderbens unsers Dorfs ersonnen werden als diese Unterschrift.

Unser gnädige Herr hat letzten Winter, da er dieselbe zu Gesichte bekam, gesagt: er wollte lieber seine Herrschaft verkaufen, und ziehen, so weit der Himmel blau ist, als dableiben, wenn sie in vier oder fünf Jahren noch wahr sei, und noch auf sein Dorf passen würde. Aber er wird, will's Gott, nicht ziehen müssen, so weit der Himmel blau ist! Will's Gott, sind diese Tage des Elends für uns vorüber!

Ich kehre wieder zu der Geschichte des Vogtes zurück, und rede auf Befehl des Junkers forthin unverhohlen von den wahren Ursachen des langen Elendes.

Der Vogt war in der Audienzstube vollends Meister: der Schreiber, der Weibel und er waren die drei Finger an einer Hand, oder wie drei Pfeifen an einer Orgel. Der Vogt verstand aus dem Fundament den Unterschied der Zeit und Stunde, wann diese oder jene Sache für Ja oder für Nein dem Junker mußte vorgebracht werden; und war der Umstände Meister, eine jede Sache in dem Augenblicke vorkommen zu lassen, der zu dem, was er wollte, günstig war. Wenn er etwas hintertreiben wollte, so redete er oft noch gar viel dafür, aber so dumm und verkehrt, daß er sicher war, daß es just das Gegenteil wirke. Wenn er hingegen etwas erzwingen wollte, so redete er mehrenteils gar nicht dafür; aber er machte, daß andere dafür redeten, und lenkte hundert Umstände ein, die das, was er wollte, befördern, und, was er nicht wollte, verhindern mußten.

Als zum Beispiel vor vier Jahren die Elsbeth Müller wider des Vogts Sohn von Rynhalden klagte, und ein Eheversprechen vorwies, und der Junker wider des wohlachtbaren Herrn Untervogts Sohn gar aufgebracht war, ließ der Vogt wie mit unbedachtem Sinn den Chorgerichts-Bußenrodel dem Junker auf dem Tische liegen, und just diejenige Seite darinnen offen, in welcher eine Elsbeth Müller wegen nächtlichen Herumziehens und verbotenen Tanzes um fünf Pfund gestraft worden war. Es war freilich eine ganz andere Elsbeth Müller; das aber machte nichts. Da der Junker morndes (am nächsten Morgen) den Schreiber fragte: ist das die gleiche Elsbeth Müller? antwortete dieser: Ja – und des Vogts Bub mußte nun der klagenden Tochter nicht das Halbe zahlen, was der Junker ihr zugesprochen hätte, wenn er keine andere Elsbeth Müller im Dorf, oder vielmehr keine meineidige Beamten an seiner Seite gehabt hätte.

So lenkte der Vogt fast alles, und das am meisten und stärksten, worüber er bei dem Junker das Maul nicht auftat. Wenn dieser fast mit Haaren dazu gezogen wurde, zu sehen, was da und dort wahr war, so wußte er ihn dennoch wieder seitwärts zu lenken. Er leugnete ihm Sachen, die er selber gesehen hatte, und machte ihn glauben, er habe unrecht verstanden, was er mit seinen eigenen Ohren gehört hatte; und wenn die Wahrheit sozusagen vor ihm stand, so wußte er ihn dahin zu bringen, daß er ihm den Rücken kehrte. Aber er sorgte auch Jahr und Tag dafür, daß er dies oder jenes nicht vernehme, und da und dort nicht hinkomme, wo er etwas hören oder sehen konnte, das ihm nicht in den Kram diente.

Es sind jetzt fünf Jahre, daß ich im Herbst an einem Abend von Hirzau über den Weg heim ging. Da ich an der Steig war, hörte ich den Jäger nur etliche Schritte vom Weg alle Wetter fluchen, daß sein Kamerad die Hunde zu stark gegen Bonnal hatte treiben lassen. Wenn der Teufel, sagte der Jäger, den Junker jetzt in dieses Loch hinunter salzen würde, der Vogt würde mich versteinigen! Der Grund von diesen schönen Worten war nämlich dieser. Der große Wasserstreit war just im Gange, und der Vogt hütete sehr, daß der Junker in dieser Zeit nicht in die Gegend der Matten komme, wo er die Unbill der Streitsache mit seinen Augen hätte sehen können; und darum durften Jäger und Hunde auch nicht dorthin treiben.

Es ist jetzt gleichviel; wenn dieser Handel schon von den großen Bauern gewonnen worden ist, so sage ich es doch. Die Widerpart hatte zusammen ebensoviel Mattland als jene, und es gehörte ihnen also auch ebensoviel Wasser, wenn sie schon nur einen Drittel bekommen haben, und noch froh sein mußten, daß man ihnen nicht alles genommen hat. Denn dieses hatte man ihnen gedroht, und zwar unter den schönen Titeln: das Wasser gehöre auf die großen Matten, und es sei dem Zehnten schädlich, wenn man es auf den kleinen verstümmle.

Aber ich muß fortfahren, und immer hundert Sachen auslassen, wo ich eine sage.

In seiner Historie kann ich nichts weniger begreifen, als daß die armen Leute, die er immer betrogen hat, doch immer wieder zu ihm gelaufen sind, ihn Rats zu fragen. Doch was will ich sagen? Wenn der Mensch in Angst und Not ist, und in Furcht gejagt wird, so läuft er im Schrecken weiß nicht wohin, um Hilfe zu suchen. Das Tier, wenn es gejagt wird, springt ja auch ins Wasser, und ersäuft, indem es sich retten will.

Denen, die er in die Grube lockte, gab er Rat und Wegweisung, wie denen, die er heraus zog. Er legte den Leuten die Worte, die ihnen bei dem Junker den Hals brechen sollten, noch selber in den Mund, und trieb es so noch weiter als der König David, der dem armen Urias den Brief doch nur in die Tasche gab, und nicht offen in den Mund legte. Wenn dann die armen Leute durch ihre eigene Reden sich verfällten, indem sie sich zu verantworten glaubten, und ihr Geschäft verwickelten und verwirrten, indem sie es zu erklären glaubten, kam dann ihr Ratgeber zum Junker, und sagte ihm, er denke wohl, diese Leute werden schon bei ihm gewesen sein, und werden ihre Sachen so und so vorgebracht haben; aber es sei alles faul und falsch und verdrehet, und es verhalte sich so und so. Und diese Art zu berichten, verstand er so wohl, daß er die Leute bis auf den Ton ihrer Stimme, bis auf ihr Händeverwerfen, ihr Kopfschütteln, ihr Händefalten, ihr Maulhängen, ihr Maulverbeißen, ihr Augenverkehren, kurz ihr ganzes Dastehen und Reden wie abmalen konnte, so daß der Junker oft zu ihm sagte: Es ist, wie wenn du in den Leuten innen stecktest, so weißt du, wie sie machen, und was sie sagen.

Aber das stärkste Mittel, womit er den Leuten ihre beste Sache vor dem Junker verderbte, war, daß er in jedem Falle dem Junker die schlechten Seiten der Partei, der er zuwider war, nicht so fast aufdeckte, als vielmehr machte, daß sie ihm wie von selber auffiel. Und das war leider in den meisten Fällen nur gar zu leicht; denn da er die meisten Haushaltungen schon längst verdorben und zu einem Lumpen- und Schelmenvolk gemacht hatte, so brauchte er, um jetzt ihre Schande aufzudecken, nichts anderes, als daß er es eben wollte. Aber auch dieses lenkte er, wie und wann er wolle. Heute sagte er vom gleichen Manne, daß er ein Lump, ein Schelm, ein Taugenichts sei; und wenn dann morgen sein Weib oder sein Vater kam, und das Gleiche von ihm sagte, und ihn einschränken und bevogten lassen wollte, so redete er wieder ganz anders, und behauptete, es sei gar nicht so schlimm, als man tue, und wenn er auch mitunter etwas Ungeschicktes mache, so könne man ihn deswegen nicht bevogten. Wenn man, sagte er, dieses mit allen Leuten, die hie und da einen dummen Streich machen, vornehmen wollte, so wüßte man nicht genug Vögte aufzutreiben; es habe mancher schon hundertfach wieder zusammengebracht, was er im Anfang verschwendet habe; und wenn man nur rechne, was der Vogtslohn bringe, und was sonst Krummes und Verderbliches in einer Wirtschaft entstehen müsse, wenn ein fremder Meister darin hause, so zeige sich bald, daß einer gar viel verlumpen könne, bis der Schaden so groß sei als der, welcher aus der Bevogtung entstehen könne usw. Kurz, er war immer dagegen, wenn man einen Uebelhauser (Verschwender) einschränken wollte. Er redete deswegen oft und viel wider das Bevogten, und erzählte hundertmal, daß er im Amte selber vor Audienz gestanden sei, da der junge, reiche Träubeli seinem Vogt die Rechnung habe abnehmen müssen. Das Geld, sagte er, habe sich auch um ein paar tausend Gulden vermindert, und der Träubeli habe von allem, was ihm vorgelesen worden sei, nichts begriffen, als daß er einmal das Geld nicht empfangen habe, welches mangle. Am Ende fragte ihn der Junker Oberamtmann, was er jetzt zu dieser Rechnung sage. Es dünkt mich, erwiderte Träubeli, wenn der Teufel bevogtet würde, so käm' er um die Hölle. Und so ist es, sagte dann der Hummel, in Gottes Namen mit dem Vogtwesen (Vormundschaft) allenthalben. Er redete aber auch aus Erfahrung, und ich habe nicht nötig, euch zu erzählen, wie er mit dem Gute der Waisen umgegangen ist; ihr wißt es selber. Er redete nur darum wider das Vogtwesen, weil sein oberstes Ziel immer war, alle Leute so lange aussaugen zu können, als sie noch etwas hätten; und hiezu waren ihm immer die Liederlichen, und diejenigen, welche in Verwirrung lebten, am tauglichsten. Er ließ darum auch keine Haushaltung mehr in der stillen, eingeschränkten, ehrenfesten Ruhe und Eingezogenheit, die unsere Alten so glücklich machte. Wo ein Haus noch so lebte, ruhete er nicht, bis er Streit und Verwirrung in dasselbe hineingebracht hatte, und sagte öffentlich: Wo Friede ist, und alles gut miteinander sich verträgt, da ist eine Obrigkeit nur halb Meister.

An diesem verfluchten Worte ist kein Pünktlein wahr; und wenn es eine Obrigkeit selber glaubt, so ist sie blind, und versteht ihren eigenen Vorteil so wenig, als den Vorteil ihres Landes. Aber wenn solche Bursche von der Obrigkeit reden, so meinen sie nur sich selber; und die Obrigkeit, von der sie sprechen, liegt ihnen am Herzen wie den Weidbuben der Stamm am Baum, an dem sie hinaufklettern, um seine Früchte zu freveln. Wenn diese Buben auf dem Baume ihre Säcke gefüllt haben, so steigen sie am Stamm wieder hinunter, legen sich in den Schatten des Baumes, und zünden in der Höhlung des Stammes noch Feuer an, um ihre Aepfel zu braten. Ob der Baum davon verdorre, und ferner keine Früchte mehr bringe, liegt ihnen am Herzen, just wie solchen Vögten der Nutzen der Obrigkeit.

Nein, wer ein Schelm ist und ein Dieb und ein ungerechter, hartherziger Mann, dem liegt der Nutzen von keiner Obrigkeit am Herzen; und wenn der Hummel diesen Namen in den Mund nahm, so war es nur, um unter seinem Schutze schwache, arme, hilflose Menschen ins Unglück zu bringen.

Ich will das einzige Beispiel des Werbens anbringen. – Er lockte unter dem Titel, bei den Werbungen sei alles frei, fremde Burschen in sein Haus, ließ sie zuerst alle Possen treiben, und spielen und saufen; wenn aber der Kerl, den er im Aug' hatte, dadurch nicht ins Garn wollte, so nahm er ihn dann beiseits, fragte ihn als Vogt um Kundschaft und Hantierung, zerriß ihm wohl gar seine Pässe, und führte eine Sprache, wie wenn er vor Sorgfalt für das Land und vor obrigkeitlichem Diensteifer bersten wollte. Du bist ein Strolch (Landstreicher) und ein Taugenichts, sagte er dann zu solch einem Tropf; du ziehst dem Schelmenleben nach! Gelt, du magst deinem König nicht dienen, und deinen Eltern nicht folgen, und nicht arbeiten; darum kannst du nicht zu Haus bleiben, und willst dich in unserm Lande mit Schlendern und Vetteln und Leutbetrügen erhalten? Ja, unser Land ist ein freies und gelobtes Land, aber nicht für Strolche, die keine Hantierung haben wie du. Dann drohte er ihm, ihn prügeln, einsperren und ins Oberamt führen zu lassen, bis der arme Teufel entweder Dienste nahm, oder ihm etwas von seiner Ware zum Danke gab, daß er ihn wieder frei ließ.

So brauchte er den Namen Obrigkeit, wenn er am gewalttätigsten brandschatzen wollte. Der Mittelpunkt seines Greuellebens aber war, daß er es gar nicht achtete, ob die Menschen um ihn her des Lebens Notdurft hatten oder nicht. Hundertmal, wenn man ihm von der Not der Armen und von dem Elende der Witwen redete, gab er zur Antwort: Es gab immer arme Leute, und wird immer arme Leute geben; und der liebe Gott weiß wohl, warum er den einen viel und den andern nichts gibt. Denn bei all seinem teuflischen Leben nahm er den Namen Gottes dennoch oft in den Mund, und liebte sogar, dann und wann eins von der Religion zu sprechen, und über allerhand Grübeleien von dem Himmel und von der Hölle zu erzählen, und erzählen zu hören, was man zum Beispiel im andern Leben tun und nicht mehr tun werde; womit man sich Freude machen, und womit man sich die Zeit vertreiben, woran man sich wieder erkennen, und ob man vielleicht des Großvaters Vater, und Leute, die man geerbt, aber nie gesehen hat, doch auch erkennen werde; und dann von der Hölle, ob sie auch auf der Welt sei, etwa bei dem Berg, der Feuer ausspeie und Schwefelbäche so groß wie der Rhein. Ueber solche Sachen schwatzte er oft ganze Abende, und der Vikari gab ihm für Wein und Geld Sachen an, daß man nicht begreifen kann, wie ein Mann, der sonst so viel Verstand hatte, ihm zuhören und glauben konnte. Aber er hatte seinen Verstand nur bei Schelmensachen; in den andern war er dann wie ein Kind, und ließ sich vorlügen und angeben, was man wollte. In seinem Handwerke, da fehlte es ihm nie weder an Verstand noch an Worten. Er war imstande, einem Angeklagten zuzusprechen wie ein Pfarrer; aber jedermann wußte, daß es ihm hierin nicht ernst war. Und er sagte es in seiner Stube, wenn er allein war, dann selber: das müsse auch so sein, und ein Mann wie er müsse sich hundertmal stellen, als wenn er wild und taub (entrüstet) sei, wenn er schon das Lachen hinter den Stockzähnen fast nicht verbergen könne.

Auch hielten sich die Kerls, denen er so vor Audienz und Chorgericht zusprach, wie in der Komödie; sie standen da wie hölzerne Blöcke, und sagten kein Wort, als was sie auswendig gelernt hatten; und das lautete immer also: »es ist doch nicht wahr; ihr möget jetzt sagen, was ihr wollt.« Sie hatten gut Komödie spielen; denn er sagte es ihnen voraus, er werde öffentlich wider sie tun und reden wie der Teufel; aber das werde ihnen nichts schaden, wenn sie nur keck sein, und standhaft fortleugneten, was er und die andern auch sagen möchten. Er ging hierin so weit, daß wenn die Fehler solcher Leute trotz ihres Leugnens gar zu deutlich waren, so war er der erste, welcher anriet, man solle den Ernst brauchen und sie einsperren, sie würden dann wohl bekennen.

Aber auch das war bloße Komödie; denn er redete auch das mit ihnen ab, lachte sie aus, wenn sie sich vor dem Gefängnisse fürchteten, sagte ihnen, sie werden nicht die ersten und nicht die letzten sein, die in dasselbe gehen müssen; erklärte ihnen, wie viele Tage und Stunden man sie innehalten könne, und alles, was man mit ihnen vornehmen werde. Wenn du das aushältst, so müssen sie danach dich wieder gut und besser machen, als du vorher je warst und je werden wirst, war das Wort, womit er endigte.

Er erzählte solchen Leuten gar oft das Exempel des Rudi von Lörbach, den jetzt die Herren von Katzenstuhl erhalten müßten, weil er von hundert Sachen, die sie ihn gefragt, keine einzige bekannt habe. Das war ein Männli! sagte dann der Vogt. Ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er an der Folter wie vor und nach derselben immer sich besinnen und denken konnte: Nein gehe so geschwind zum Maul heraus als Ja.

Ich muß wohl nicht sagen, wie durch solche geheime Lenkung und Verdrehung des Rechts die Herzensverhärtung unter uns eingewurzelt ist, die unser Elend auf den höchsten Gipfel brachte. Ach! das alte fromme Schamrotwerden, das gute menschliche Bekennen, Weinen, Abbitten, das vor Herzensverhärtung so sehr verwahrte, und so natürlich zur Sinnesänderung und Besserung führte, ist aus unserm Volke wie verbannt; und es ist sogar ein öffentliches Sprichwort unter uns: der sei kein Mann, der nicht drei und vier Männern ins Angesicht wegleugnen könne, was sie gesehen, daß er getan habe. Alles Volk, jung und alt, Weib und Mann, Knecht und Magd, und sogar die Schulkinder wissen jetzt bei uns von nichts anderm mehr, als bei allem, worin sie gefehlt haben, schamlos zu leugnen, bis sie überwiesen sind; und auch die Ueberwiesenen schämen sich nicht, und brauchen ihr Maul, wie wenn ihnen Gewalt und Unrecht geschähe. Diese Schamlosigkeit in unserer Mitte ist vielleicht das größte und unheilbarste Unglück, welches der Vogt in seinem Leben bei uns veranlaßt hat. –

Ich eile nun fort in der Geschichte dieses Mannes.

So wie er alles, was böse, schädlich und verderblich war, tat, so hintertrieb er alles, was gut und nützlich war. Er wollte nie zugeben, daß man den Schuldienst verbessere, und sagte darüber: es sei just nicht nötig, daß ein jeder Bettelbube besser schreiben und lesen könne als er. Er hinderte immer, Graseinschläge auf den Feldern zu machen; und da man ihm vorstellte, das Dorf würde dadurch doppelt so viel Vieh erhalten, und dann natürlich um so viel mehr magere Aecker düngen und bauen können, gab er zur Antwort: es sei eben nicht nötig, daß alles so reich werde; so lange er lebe, handle er gerne mit wohlfeilen Aeckern, und das würde gerade aufhören, wenn ein jeder düngen könnte, so viel er wollte; wenn er tot sei, dann sei es ihm gleichviel, ob seine Güter viel oder wenig gölten.

Ebenso hinderte er auf alle Weise die Niederlassung von Fremden im Dorfe. Wenn es schon Ehrenleute waren, und es auffiel, daß sie Geld und Verdienst ins Dorf bringen würden, so ließ er's doch nicht geschehen. Er hinderte die Gemeindsgenossen immer, neue Wohnungen auf den Feldern außerhalb des Dorfes zu errichten; und da man ihm an der Gemeinde sagte, es wäre doch besser wegen Feuersgefahr, gab er zur Antwort: es sei noch kein Dorf verbrannt, man habe es auch wieder aufgebaut; und warum man doch alles anders haben wolle als die Alten. Indessen stand sein Haus allein, und hatte nicht die gleiche Gefahr wie die übrigen. Er gesteht jetzt selber, daß ihm allemal, wenn der Wirt von Leibach und Hirzingen, welche beide Dörfer bei seinen Lebzeiten abgebrannt sind, zu ihm kamen, und ihm erzählten, was für gute Zeiten sie nach diesen Feuersbrünsten gehabt hätten, daß ihm dann allemal der Gedanke aufgestiegen sei: wenn er dieses Glück nur auch einmal hätte!

Ich bin müde, von ihm dem Vogt zu reden; noch einen Augenblick muß ich von ihm dem Wirt und Müller erzählen.

Er machte mit niemanden je saubern Tisch, sondern es war immer mit allen Leuten, die in seinem Buche standen, ein ewiges Hangwesen. Er trachtete immer, daß jedermann, mit dem er in Rechnung stand, nicht mehr sicher und richtig wisse, wie eins auf das andere gefolgt sei. Die Unordnung seines Hauswesens war aber auch so, daß er nicht mit den Leuten in der Ordnung hätte rechnen können, wenn er auch gewollt hätte; bald schrieb er ins Buch, und die Frau an die Wand, und am Samstag kam's dann natürlich, wenn man die Wand abwischen wollte, doppelt ins Buch.

Wenn ihm in seiner Einbildung in Sinn kam, er habe dieses oder jenes aufzuschreiben vergessen (und dies geschah nur gar zu oft, besonders in Nächten, wo er nicht wohl schlafen konnte), so machte er kurzweg in seinem Buch aus einer 0 ein 6, aus einem 7 ein 9, oder setzte einen Zehner voraus oder eine hintenan, wie er nur meinte, daß es gehen möchte. Er ließ im Buche und in den Handschriften auf Gefährd (auf Glück und Geratewohl) Lücken, damit er hineinschreiben und verfälschen könne, was er wollte. Er gab die alten und bezahlten Handschriften, wo er immer konnte, nicht heraus, leugnete es ab, und behauptete, sie seien zerrissen, verbrannt oder verloren gegangen. Wenn er dann aber mit jemand Streit bekam, so nahm er solche Papiere allemal wieder hervor, und brauchte sie wie gute.

Am härtesten drückte er die Leute, von denen er etwas Böses wußte, und die sich fürchten mußten, er bringe es ihnen aus; auch wer ihn selber zu betrügen, oder ihm etwas abzuleugnen versuchte, war im gleichen Fall. Solchen Leuten doppelt aufzuschreiben, was sie schuldig waren, oder eine Prise Tabak zu nehmen, machte dem Vogt gleich viel Mühe. Wenn so einer sein Maul auftat und klagen wollte, so war die Antwort kurz: Du Schelm! du Dieb! willst du mir es wieder machen wie gestern? meinst du, ich habe deine Schelmenhandschrift verloren?

Tat er jemanden unrecht, so war es ihm allemal wie ein Balsam fürs Herz, wenn er sich auch nur einbilden und vorstellen konnte, der Mann, den er unter den Händen hatte, sei ein Schelm, und habe ihm auch unrecht getan, oder wenigstens tun wollen.

Als er den Schaffner Knipperschild bei Abzahlung eines Kapitals um fünfzig Gulden betrogen hatte, erzählte er auf dem ganzen Heimwege seinen Kameraden, wie der Schaffner ein Hund sei, der einem das Blut unter den Nägeln hervordrücke, und wie er ihm in den zwanzig Jahren, da er ihm das Kapital verzinse, kein einziges Mal ein Glas Wein oder ein Trinkgeld gegeben habe; und er wolle doch seinen Kopf daran setzen, daß er es der Herrschaft verrechnet habe.

So war's in allen Fällen. Er mochte zu tun haben, mit wem er wollte, so war das immer sein Wort: Er ist der und der; – wenn er mich unter den Händen hätte, er würde noch anders mit mir verfahren; – ja, wenn's ein anderer wäre, ich würde mir ein Gewissen daraus machen, so mit ihm umzugehen; aber mit diesem da mache ich mir keines daraus. Kurz, wenn er einen haßte, so war im Augenblick kein größerer Schelm zwischen Himmel und Erden; und wenn er einen aussaugen wollte, so hatte er auch allemal wieder hundert Gründe, den Schelm und Lump nicht zu schonen, weil es nur der sei.

Bei alledem hatte er dennoch mit Lumpen und Schelmen noch am wenigsten Streit. Zwar muß ich bekennen, daß er auch mit einigen redlichen Leuten ohne Streit hat auskommen können; aber wenn man näher nachforscht, was das für Leute gewesen sind, so findet es sich, daß es schwache, nachgiebige Menschen, und einige davon wirklich etwas liederlich oder wenigstens nicht genaue Haushalter gewesen. Mit diesen hatte er es dann doppelt gut; er sog sie aus, und machte sich dann doch groß, daß er mit ihnen so und so lang ohne Streit fortgekommen sei, und strich beim Weine seinen Kameraden gewaltig heraus, was das für Leute seien, die ihresgleichen zwischen Himmel und Erde nicht hätten; wie gut sie mit ihm seien usw. Wenn er dann aber mit ihnen in Streit kam, so waren es im Augenblicke auch wieder Schelme wie die andern alle, und Narren oben darauf.

Am härtesten stieß bei ihm den Kopf an, der Mann, der Ordnung liebte, der still und bedächtlich in seinem Tun einherging, den Kreuzer zweimal umkehrte, ehe er ihn ausgab, und Treu' und Glauben forderte, weil er selber Treue und Wort hielt. Mit solchen Leuten war er wie Feuer und Wasser, und ruhte nicht, bis er sie aufgerieben hatte. Dafür war er so bekannt, daß jedermann im Dorfe öffentlich sagte, es sei ein Wunder, daß er den Baumwollen-Meier nicht habe meistern mögen.

Mit diesem war er nämlich zu spät gekommen. Der Baumwollenverdienst, den der Meier ins Dorf brachte, gefiel dem Vogt gar wohl, so lange die Leute ihn ganz im Wirtshause verfraßen und versoffen; erst da er sah, daß der Meier reich werden wollte, und auch andere ihren Verdienst zusammenhielten, fing er an, den Meier anzufeinden, und auf das Baumwollenwesen überall zu schimpfen, daß es wie die Pest im Lande sei, und nur Krüppel und Sterblinge pflanze.

Und es ist wahr, wo das Wirtshaus aus den Vätern und Müttern eines Dorfes ein Schelmenpack macht, da werden ihre Kinder beim Baumwollenspinnen freilich Krüppel und Sterblinge. Unser Dorf ist leider ein lebendes Exempel dieses großen Unglücks; aber es könnte ebensowohl anders sein, als es jetzt ist. Der Gertrud Kinder, die in unserm Dorfe das reinste Garn spinnen, sind von den gesundesten und stärksten; aber ja, wenn der Vogt Meister geworden wäre, so ist es möglich, daß auch diese Kinder mit Zeit und Jahren beim Baumwollenspinnen Sterblinge geworden wären wie viele andere.

Der Meier sah ein, daß das Wirtshaus der Grund des Unsegens dieses neuen Verdienstes sei, und klagte täglich, wie himmelschreiend es sei, daß niemand spare, und auch für das Alter und für Kind und Kindeskind etwas beiseite lege. Aber wenn einer so redete, so war's, wie wenn er dem Vogt ins Herz griff. Auch war er wie wütend gegen den Mann, und wiegelte ihm sogar seine Arbeiter auf, daß sie leugnen sollten, was sie ihm schuldig seien. Der Meier mußte auf einmal mit dreien, die alle die gleiche Sprache führten, vors Recht. Er war in seiner Verantwortung kurz aber standhaft, und hielt sich, wie er mußte, an seinem Buche; aber es dünkte den Junker selber bedenklich, daß ihrer drei auf einmal die gleiche Sprache führten. Man schob den Handel auf, und der Vogt sagte links und rechts überlaut: es lasse sich, wenn man Tinte und Federn habe, aufs Papier schreiben, was man wolle; und Buch hin und Buch her – der Meier täte besser, er würde das nicht zu weit treiben; wenn ihrer drei die gleiche Sache sagen, so sei es fast wie bewiesen, und wenn er im Unrecht erfunden werde, so könne man ihm sein ganzes Buch unter den Tisch hinunter wischen.

Das Gemurmel, das solche Reden veranlaßten, entrüsteten den Meier so sehr, daß er in Gegenwart von mehr als zehn Gemeindsgenossen dem Vogt zur Antwort sagen ließ: er meine, er habe ein redliches und aufrechtes Buch; und wenn hundert Schelme, ein jeder in seiner Sache, dawider stritten, so müßte sein Buch wider alle hundert gut genug sein, oder er wolle kein Wort mehr darein schreiben – und setzte hinzu: Ja, wenn ich ein Buch führte wie der Untervogt, dann wär's freilich was anders; dann verdiente ich freilich nicht nur, daß man mir dasselbe unter den Tisch wischte, sondern noch dazu, daß man mich an den Galgen hängte.

Diese Rede war wie natürlich dem Vogt ganz warm und noch dazu als förmliche Antwort an ihn hinterbracht worden. Man hätte ihn bei nichts angreifen können, das ihm so empfindlich gewesen wäre; er erschrak auch darüber, daß er fast nicht antworten konnte; doch er überwand sich, tat, als ob er es nur halb verstanden habe, und ließ dem Meier nur antworten: er werde die Sache etwa nicht so böse verstanden haben, als sie ihm hinterbracht worden sei.

Der Meier aber blieb standhaft, und ließ ihm sagen, er sei vollkommen nüchtern gewesen, und habe mit allem Vorbedachte geredet, was ihm hinterbracht worden sei; und wenn er glaube, daß er ihm unrecht getan habe, so wolle er ihm vor dem Recht Rede und Antwort geben.

Der Vogt durfte es nicht auf das ankommen lassen, und mußte also den Schimpf verschmerzen; die drei Arbeiter aber standen sämtlich von der Klage ab, und gestanden dem Meier, daß der Vogt sie zuerst aufgewiegelt, aber jetzt ihnen auch geraten habe, die Sache nicht weiter zu treiben.

Der Junker verwunderte sich am nächsten Audienztage sehr, daß keiner von ihnen erscheine, und fragte den Vogt, was der Grund davon sein möge.

Es scheint, antwortete dieser, sie seien Schelme, und trauen sich nicht bei dem, was sie angebracht haben. – Du hast ihnen denn doch die Stange stark gehalten, sagte der Junker. – Ja, ich meinte auch, sie hätten recht, so ihrer drei miteinander! erwiderte der Vogt. –

Aber ich muß fortfahren, und die hunderttausend Taten seines Hausbuchs und die hunderttausend Taten seiner Amtsstelle übergehen, wie wenn sie nichts wären, um euch noch zu sagen, was für ein Ende der Mann genommen, der dieses alles getan hat.

Ich weiß nicht, warum es so ist, aber es ist so; – großen Veränderungen unserer Schicksale gehen gemeiniglich Sachen voraus, die unser Gemüt auf eine mächtige Weise einnehmen, und uns wie Ahnung werden dessen, was uns bevorsteht.

Es wird jetzt den sechzehnten Brachmonat sechs Jahre, da er an einem schönen Morgen früh ins Feld ging.

Das reife Gras duftete Wohlgeruch um ihn her; die schöne Saat wallte in hohen Aehren, und weit und breit war da, wo er stand, alles sein. Er sang in seinem Uebermut ein geiles Lied, und gellte und wieherte laut wie ein junges Roß auf voller Weide.

Indem er so steht, und sein Haupt stolz umherwirft, hört er ein Zetergeschrei; er erblickt ein Weib und fünf Kinder, die sich unter einer Eiche heulend auf dem Boden wälzten. Ob ihrem Haupte hing ihr Vater. Er erkennt ihn, es ist der Stichelberger, der gestern noch mit ihm gerechnet, und beim Weggehen in halber Verzweiflung die Worte ausgesprochen: »Vogt! ich lade dich ein ins Tal Josaphat, auf eine andere Rechnung!« – Der Vogt erinnerte sich jetzt mit Entsetzen dieser Worte; aller Mut und alle Freude ist ihm von dieser Stunde an entfallen. Aber er änderte sich deswegen um kein Haar, als nur daß er noch viel mürrischer und launiger wurde als vorher.

Im Jahr darauf wurde er krank. Es griff ihn mit einem heftigen Kopfschmerz an. Da warf er ganze Gläser Branntwein über den Kopf, die Schmerzen zu stillen, und ließ viermal nacheinander so stark zur Ader, daß er in eine Schwäche verfiel, die ihn beinahe ins Grab gelegt hätte. – Aber er wollte, auch da er am äußersten war, vom Tode nichts hören; er sagte des Tages zwanzig- und dreißigmal, auch wenn ihn kein Mensch fragte: es fehle ihm nur im Kopf und in den Gliedern; ums Herz sei er so gesund wie ein Rheinegli. Er zwang sich, da er weder stehen noch gehen konnte, alle Tage aus dem Bette, und ließ auch alle Tage, wenn er schon fast nicht reden konnte, diesen oder jenen zu sich kommen, um etwas meistern oder zanken zu können.

Jedermann gab ihm natürlich während der Krankheit vor Augen und hinterm Tische gute Worte; aber jedermann suchte auch wieder so geschwind als möglich von ihm wegzukommen. Die Furcht vor ihm verminderte sich im ganzen Dorfe. Es wußte es ein jeder, daß es ihn aufbringe, wenn man ihm sage: er habe so stark abgenommen, oder er sehe noch so übel aus; und doch ging fast kein Tag vorbei, daß das nicht jemand und meistenteils noch aus Bosheit zu ihm sagte. Er mußte sieben Wochen nach der Krankheit noch am Stabe gehen, und sah um zehn Jahre älter aus als vorher.

Jedermann hatte sicher geglaubt, seiner los zu werden, und in den ersten Tagen seiner Krankheit fragten alle Nachbarn einander den Tag über wohl zehn- und zwanzigmal, wie es um ihn stehe. Am Morgen aber zuckten alte und junge die Achseln, wenn es hieß, er habe die Nacht überstanden, und sei noch da. Später tönte es noch übler: »ich habe ihn wieder donnern gehört wie vor altem – es fällt mit ihm wieder auf die schlimmere Seite – er hat uns vergebens lange Zähne gemacht – Unkraut verdirbt nicht, es fällt eher ein Regen darauf;« und auch: »was den Vögeln gehört, wird nicht den Fischen.« Das war die Sprache, die junges und altes über seine Genesung führte. Und als er jetzt wieder aufkam, und sich in Holz und Feld, in der Kirche und im Schlosse stolz und keck wieder zeigte, war es nicht anders, als wenn dem Dorfe das größte Unglück begegnet wäre, so still und betroffen war jedermann.

Er hatte sich eingebildet, es werde ihm jung und alt die Hände entgegenstrecken, und Glück wünschen, daß er wieder entronnen sei; aber das kam niemanden in den Sinn, und er sah mit seinen Augen, daß Weiber und Männer starke Schritte nahmen, um ihm links und rechts aus dem Wege zu weichen, wo sie auf ihn stießen. Vor der Krankheit war er's gewohnt gewesen, daß auch diejenigen, denen er das Blut unter den Nägeln hervorgedrückt, noch gut mit ihm waren, bei ihm stille standen, ihm die Hand drückten, und allerhand mit ihm sprachen, was ihm zu Lob und Ehre gereichte, und ihm Freude machte, wenn ihnen schon das Herz im Leibe vor Schrecken klopfte, wenn sie ihn nur sahen. Dazu aber ist es nötig, daß einer gesund sei, und den Leuten sozusagen alle Augenblicke auf dem Nacken sitze, und vor Augen stehe; ohne das kann es kein Tyrann erzwingen, daß ein Volk, welches ihn auf den Tod haßt, ihm doch immer vor den Augen gute Worte gebe, und eine gute Miene mache.

Der Vogt war jetzt krank gewesen, und eine Zeitlang den Leuten aus den Augen gekommen; und es war ihnen in den drei Monaten, da er krank lag, so wohl, daß sie jetzt nicht anders konnten als ihm zeigen, wie froh sie seien, wenn er ihnen drei Schritte vom Leibe bleibe.

Daß mir es die verfluchten Buben auch so zeigen dürfen! war jetzt ein Wort, das ihm beinahe alle Viertelstunde zum Maul heraus wollte; aber es ging ihm auch danach.

Er fand selbst den alten Junker gegen sich ganz verändert; und als er ihn bei der ersten Aufwartung im Schlosse zutraulich im alten Tone fragte: Was hätten Sie gesagt, wenn ich unter den Boden hätte gehen müssen? antwortete der Junker: Ha! ich hätte gesagt, es wäre ein böser Bube weniger. – So! erwiderte der Vogt; und der Junker: Es ist einmal wahr; es war, wie wenn du allen Streit und Zank mit dir unter die Decke genommen hättest, sobald du im Bette lagst.

Sie hatten doch auch Arbeit, die Sie sonst nicht hatten, sagte der Vogt.

Das ist wahr, sagte der Junker; aber ich fand auch, daß mir besser dabei war, als wenn du sie machst.

Das war deutlich, der Vogt verstand es völlig, fluchte ganz entsetzlich über das verdammte Fieber, das ihm dieses alles zugezogen habe, und sagte bei jedem Anlaß laut: er sei doch noch da, wenn ihn schon jung und alt unter den Boden gewünscht habe – es sei aber nur gut, daß er bei diesem Anlasse die Leute auch kennen gelernt habe, und jetzt wisse, wie es dieser und jener mit ihm meine. Dann fluchte er, es müsse die untreuen Buben, die großen und die kleinen, gewiß nichts nützen, daß sie es ihm so machen – die Krankheit habe ihn nur keck gemacht.

Er fing überhaupt um diese Zeit an, entsetzlich viel zu reden, und ganze Abende hinter dem Tische mit einem Halbdutzend Lumpen zu plaudern, und groß zu tun mit allerlei Projekten, und sich zu brüsten mit allerlei Erzählungen, wer er sei, was er ausgerichtet habe, und was er noch ausrichten wolle.

So saß er vor vier Jahren den achten Heumonat in vollem Rausch bei seinen Lumpen am Tische. Ein starkes Gewitter sammelte sich hinter unserm Berge, und zog in grauen, stotzigen Wolken aus dem Hirzauer Tal gegen uns heran. Es finsterte am hellen Tage. Selber die Saufenden sagten erschrocken zum Vogt: Es gibt ein schreckliches Wetter! Er aber gab ihnen zur Antwort: Wenn schon das halbe Korn auf zehn Stunden weit verhagelt würde, es wäre kein Schade. – So sehr sie besoffen, schüttelten die Männer doch über diese Rede den Kopf; der Vogt aber behauptete forthin mit Fluchen: es wäre kein Schade; das Land sei überladen mit Frucht; und er habe das Haus mit zweijähriger noch so voll, daß er fürchten müsse, er drücke ihm dasselbe ein; auch kaufe ihm niemand etwas ab.

Du würdest doch auch erschrecken, wenn das Wetter just zu uns käme, sagte der Christen.

Ich höre halt das Donnern nicht gern; aber sonst – was wollte mir so ein Wetter machen? erwiderte der Vogt.

Zehn solche Wetter würden dir nichts machen – du hast gut reden, du bist reich – aber sage das ein anderer auch, wenn er kann – antworteten die Lumpen, die bei ihm soffen.

Das ist eben der Vorteil, sagte der Vogt, und grinste, das Glas in der Hand, gegen die Kerls wie ein Affe.

Das Wort war noch in seinem Munde, als ein Donnerschlag, stärker als sie je einen gehört, über ihrem Haupte rollte. Sie wurden alle todblaß; der Vogt verschüttete das Glas, das er eben in den Händen hatte, und der Christen sagte zu ihm: Du bist doch jetzt auch erschrocken. Es ist wahr, erwiderte dieser; ich fürchte mich ganz erschrecklich vor dem Donner. Dann bat er sie, doch bei ihm zu bleiben, bis das Wetter vorüber sei.

Allein nur wenige wollten bleiben. Es möchte begegnen, was es wollte, so muß man heimgehen, wenn's so kommt – ich wollte nicht für Geld mir nachreden lassen, ich sei, wenn ein Unglück begegnete, im Wirtshause gewesen – sagten die Kerls, so liederlich sie waren, gingen dann erschrocken nach Hause, und erzählten in ihren Stuben, was für ein erschreckliches Wort der Vogt nur einen Augenblick vor dem großen Donnerschlag geredet habe. Weiber und Kinder und Dienstleute, die gewohnt waren, bei einem Gewitter zur Bibel zu greifen, und das Betbuch in die Hände zu nehmen, behüteten und besegneten sich ob dem gottlosen Manne. Indessen wurde es immer dunkler; es leuchtete Blitz auf Blitz; es donnerte Schlag auf Schlag; es fielen Schloßen wie Nüsse, und hinter dem Hagel folgte ein Wolkenbruch. Der Waldbach zerriß den Damm, der ihn vom Mühlbach scheidet, und stürzte vereint mit dem Mühlbach gegen das Tobel. Das Wasser schwellte sich zuerst oben am Tobel, in der Ebene Hintor dem Vorderdörfler-Steg an, und bildete da gleichsam einen See.

Der Vogt bot tausend Gulden, wenn man den Steg einreißen und Luft machen könnte. Dieses wäre möglich gewesen, wenn man im Anfang entschlossen und mit starken Rossen durchs Wasser gegen den Steg geritten, und mit Feuerhaken angesetzt hätte; aber so sehr tausend Gulden einem wohl tun, wenn man nichts hat, und so nötig es ihrer Hundert gehabt hätten, so wollte es doch niemand wagen. Der Vogt bat und bat, rühmte seine Pferde, wie stark und gut und sicher sie seien, und wie gerne sie ins Wasser gingen; aber indem man redete und sich beratschlagte, schwollen die Wasser je länger je stärker an, und je länger je weniger wollte es jemand wagen. Der Lindenberger sagte endlich zum Vogt: Das beste wäre, du nähmest selber ein Pferd, und rittest voran. Das durfte der Vogt nicht, und er bot immer mehr Geld, wenn einer es wage. Aber die Gefahr wurde immer größer, und jetzt sagte ein jeder: Was hat einer von seinem Gelde, wenn er ersäuft? und ersaufen muß er, wenn der Steg läßt, und er hinter demselben geritten kömmt.

Es ist nicht möglich, sagte der Vogt, daß der Steg bei einer halben Stunde schon einstürze; er steht auf neuen eichenen Pfählen, die mehr als mannsdick sind. Indem er aber dieses sagte, stürzte der Steg ein, und der Strom zog plötzlich so an, daß wenn hundert Pferde hinter dem Stege angeritten wären, sie alle vom Wasser hätten weggeschwemmt werden müssen.

Auch des Vogts Haus wurde jetzt so plötzlich vom Strome umringt, daß er kaum Zeit hatte, noch heim zu laufen, um Briefe und Geld aus dem Hause zu nehmen. Er rief nun, man solle ihm um Gottes willen doch helfen, das Köstlichste aus dem Hause zu tragen. So lange die untere Brücke noch stand, war es zwar gar nicht gefährlich, ins Haus zu kommen, und von hinten her, wo das Wasser nie tief war, mit Vieh und Ware gegen die Anhöhe zu fliehen; aber auch hier war keine Hilfe da. Leute, die sonst bei Feuer- und Wassersnot Leib und Leben wagten wie nichts, standen jetzt da wie furchtsame Weiber. Sie zogen nicht einmal Schuhe und Strümpfe ab, um zu probieren, ob es auch möglich sei hindurchzuwaten. Einer sagte dem andern das gottlose Wort, das der Vogt vor dem Gewitter geredet hatte, und fügte dann bei, wie der liebe Gott einen mit dem Vogte strafen könnte, wenn er für ihn Leib und Leben wagte. Der Vogt selber, da er Geld und Briefe hatte, floh aus dem Haus, und versuchte es nicht mehr hineinzugehen.

Es war ein fürchterliches Schauspiel. Fünfundzwanzig Stück großes Vieh, ohne Schafe und Kälber, brüllten in den Ställen, und über eine halbe Stunde rann das Korn aus den angegriffenen Kornschütten wie ein Bach herunter, ehe das Haus vollends einfiel. Da es endlich zusammenstürzte, krachte es wie ein Donnerschlag, und in eben dem Augenblicke rief ein Mann – noch jetzt weiß niemand, wer er war – kaum zehn Schritte hinter dem Vogt: Wie ist es jetzt, Vogt? ist es dir nicht so, daß zehn solche Wetter dir nichts machen könnten? Es schauderte dem Vogt; er sah zurück, und sagte: Gott verzeih' es mir! ich bin ein armer unglücklicher Mann!

Das Gewässer hatte sich nun wieder gesetzt; aber Haus und Hof waren in Schutt und Graus. Der Ort, wo das Wesen alles gestanden, war wie das Bett eines tausendjährigen Waldbachs. Man hatte Sturm geläutet; weit und breit kamen von allen Seiten Feuerläufer und helfende Nachbarn. Alles stand jetzt an dem Orte der Verheerung. Es war eine heitere Nacht. Ein einziger eichener Pfosten stand noch im Grien von dem ganzen Gebäude. Der Vogt umschlang diesen Pfosten, und weinte laut über die vielen tausend Gulden, die ihm zugrunde gegangen waren. Ein Volk aus sieben Gemeinden stand um ihn her; aber auch nicht eine Stimme von Mitleiden tönte aus irgend einem Munde. In allen Ecken murmelte das Volk, was er für ein Kerl sei, und wie er noch mehr als dies verdient habe; in allen Ecken erzählte man das entsetzliche Wort, das er vor dem Gewitter geredet hatte, und alles Volk lief haufenweise hinauf gegen den Steg, um zu sehen, wie wunderbar die arme Bettelhütte des Clausen stehen geblieben war, da das Wasser sie doch bis unter die Tenne völlig unterhöhlt hatte. Und jedermann machte da Anmerkungen über des Vogts Unglück, wie es in aller Welt geht, wenn ein böser Mann unglücklich wird. Ihrer etliche gingen so weit, daß sie sagten: Wenn's wahr ist, daß er vor dem Gewitter das Wort geredet hat, so hätte man ihn ins Haus hineinsperren, und nicht mehr heraus lassen sollen, bis es ihm ob dem Kopfe zusammengefallen wäre.

Es bot ihm auch kein Mensch aus sich selber für diese Pacht das Nachtlager an; und wenn der Kienholz nicht sozusagen ihm es hätte gestatten müssen, so hätte er es ihm gewiß auch abgeschlagen. Denn er sagte auch zweimal zu ihm: Weißt du auch sonst nirgendshin? Ich habe diese Woche just in der Kammer eine andere Ordnung machen wollen. – So sehr scheute sich jetzt jedermann, einen solchen Mann unter seinem Dache zu haben. Es war aber auch nicht anders möglich. Der Vogt war seit Jahren in allem, was er tat, so verhärtet und unmenschlich, daß, wer nicht war wie er, nur mit Grauen an ihn denken konnte.

In eben dieser Nacht zankte er, da er nicht schlafen konnte, mit seiner Frau, als sie weinte. Du wirst jetzt mit Heulen das Haus wieder aufbauen wollen! war das erste Wort, das er gegen sie brauchte; und da sie auf dieses hin nicht schweigen, und den Jammer nicht verschlucken konnte, schalt er sie mit rohen Worten, sie lasse ihn nicht einmal mit Ruhe nachdenken, wie jetzt wieder zu helfen sei. Er tat auch in dieser schlaflosen Nacht nichts anders, als darauf sinnen, wie er es anstellen und einrichten müsse, um von allen Seiten her eine recht große Steuer zu bekommen. Vor vier Uhr war er schon wieder aus dem Bette, forderte Tinte, Federn und Papier, und rechnete vom Morgen bis in die finstere Nacht aus, wie viel Geld er zusammen bringen könne, wenn er das einziehe, was man ihm schuldig sei; wie viel Holz er vom Junker, wie viel von der Gemeinde und wie viel er aus der Nachbarschaft bekommen werde; und wie viel sich noch sonst zuschleppen lasse; auch wie er diesen und jenen zwingen könne, ihm Arbeit und Fuhren umsonst zu tun.

So lange die Steuerzeit währte, ging er ganz demütig und gebeugt einher, wie wenn er fast das liebe Brot nicht mehr hätte, gab Feinden und Freunden gute Worte, verschluckte auch die härtesten. Antworten, wenn sie ihm schon fast das Herz abdrückten. Als der Baumwollen-Meier ihm zehn Dublonen gab, und der Vogt ihm danken wollte, sagte er: Vogt, ich weiß wohl, daß du mir nicht dankest, und begehre es auch nicht; es ist Baumwollengeld. Wenn du nur in Zukunft nicht mehr alle Tage sagst: du wolltest, daß der Teufel alle Baumwolle, die in der Welt ist, nähme! Hiemit kehrte er ihm den Rücken.

Diese Antwort tat dem Vogt so wehe, daß er eine Weile die Dublonen, die er in der Hand hatte, nicht zählen konnte. Er klagte auch seiner Frau, da er heim kam, wie viel einer verschlucken müsse, wenn er von den Leuten etwas wolle: tröstete sich aber, wenn die vier Wochen vorüber seien, so wolle er, wenn ihm so ein Hund wieder mit dergleichen komme, ihm die Antwort gewiß nicht schuldig bleiben.

Und er hielt Wort. Es vergingen keine vierundzwanzig Stunden nach der Steuerzeit, so redete er wieder so unverschämt als je in seinem Leben; denn er sagte öffentlich: was man doch meine, daß so ein Lumpen-Steuerlein ihm an seinen Schaden bringe; sie sei so elend gewesen, daß sie kaum elender hätte sein können; es sei ihm so vieles zugrunde gegangen, daß hie und da dreißig und vierzig Häuser verbrennen könnten, ohne daß der Schaden so groß wäre – und hunderterlei Zeug der Art mehr.

Das war aber nicht das Schlimmste. Am dritten Tage, nachdem die Steuerzeit vorüber war, ließ er von jedermann, der ihm etwas schuldig war, den ganzen Betrag rechtlich fordern; suchte aber bei den meisten nicht sowohl das Geld als vielmehr, von neuem mit ihnen zu rechnen. Und wenn einer genau sein, und umständlich wissen wollte, wie, wo und wann, jammerte und klagte er: die meisten Papiere seien ihm zugrunde gegangen; er könne nicht mehr alles recht bescheinigen; und jetzt wollen ihm die Leute alles ableugnen, was er noch so wohl in seiner Seele wisse, daß es wahr sei. Er wußte zum voraus, daß weit die meisten sich nicht nachreden lassen wollten, sie hätten einem verunglückten Manne etwas abzuleugnen gesucht, sondern daß sie ihn anschreiben lassen würden, was er forderte. Die wenigen aber, die nicht so nachgiebig waren, und sich nicht ganz so leicht von ihm bestehlen lassen wollten, wie er es im Sinne hatte, ließen sie doch immer dahin bringen, daß sie ihm für das im Streite Liegende etwa ein paar Fuhren, oder einige Taglöhne umsonst zu tun versprachen.

Bei dieser Rechnung hat er auf diese Weise 75 Fuhren und über 300 Taglöhne zusammengebracht, ohne daß ihm ein Mensch einen Heller rechtmäßig daran schuld gewesen wäre, und hat diese Fuhren und Taglöhne in sein Buch eingeschrieben, und hernach eingezogen und eingetrieben wie ausgeliehenes Geld.

Jedermann gab dieser Rechnung den Namen Zwangsteuer. Diese Zwangsteuer aber machte den Unwillen, der schon allgemein gegen ihn rege war, noch größer. Es kam noch dazu, daß er bei Jahr und Tag nicht mehr mahlen, und auch eine ziemliche Zeit nicht mehr Wirten konnte, indessen die beiden andern Mühlen sehr in Aufnahme kamen, und von den meisten Haushaltungen vieles erspart wurde, seitdem er nicht mehr wirtete. Das alles aber hätte ihm nichts gemacht, wenn nicht beim Bauen sein Geld sehr geschmolzen wäre; aber da er jetzt hie und da im alten Tone geschwind Geld entlehnen wollte, fand er, daß niemand für ihn zu Haus war.

Der Wasserschaden hatte ihn so sehr zurückgebracht, er hatte das neue Gebäude so kostbar angefangen, und er bekannte so früh, er habe sich stark verrechnet, daß ihm jedermann das Los übel legte, und eine Menge Leute öffentlich sagten, es könne nicht anders sein, er müsse übel stehen, er möge so groß tun, als er wolle. Sein Hochmut aber ließ ihm nicht zu, sich einzuschränken, da es ihm an Geld fehlte; er baute jetzt zum Trotz nur desto kostbarer, weil er sah, daß man ihm weniger traute, und nahm auf Haus und Güter das Geld auf, das ihm niemand mehr auf freie Faust geben wollte.

Er hatte zwar seine ältern Kreditoren versichert, er wolle nie ohne ihr Vorwissen sein Haus und seine Güter verpfänden; aber er sagte ihnen kein Wort, bis sie es selbst vernahmen, und es ihm vorhielten. Als Antwort darauf brach er in Gelächter aus, und sagte dann, es sei um ein paar Jährchen zu tun, so sei dieser Bettel wieder abgezahlt, und dann sei es ja wieder im alten. Er glaubte es aber selber nicht; denn er sah deutlich, daß er entsetzlich weit zurückgekommen war. Er rechnete in dieser Zeit in einer Woche wohl zehn- bis zwölfmal zusammen, was er besitze, und wie viel er schulde; aber wenn er auch Haus und Güter noch so hoch ansetzte, und die Sache links und rechts zu seinem Vorteil kehrte, so kam doch am Ende immer heraus, daß seine Schulden sein Vermögen überstiegen. Und er war wirklich für Wein und Frucht jetzt so viel schuldig, daß er kaum wußte, wie er das alles auf die versprochene Zeit bezahlen könne.

Diese Umstände brachten ihn aber nicht dahin, durch Sorgfalt, Mäßigung und Schonung dessen, was noch da war, einen dauerhaften Grund zur Verbesserung seiner Umstände zu legen. Denn der Hochmut und das Laster hindern böse Menschen gar sehr auf rechtem Wege sich wieder aufzuhelfen, wenn sie in häusliche Verwirrung geraten sind; und der Vogt hatte nie einen Gedanken von dieser Art.

»Es muß wieder frisch in die Hand gespieen sein!« war der Lieblingsausdruck, womit er sich in diesen Umständen zu den unsinnigsten Handlungen Mut einsprach. Er hatte den festen Glauben, wenn er nur das Gewühl des Reichtuns forttreiben, und verbergen könne, wie arm er sei, so stehe er in kurzer Zeit wieder in den alten Schuhen; und ließ es sich nicht träumen, daß eben dieses Verhüten, daß niemand merke, wie arm er sei, es ihm wirklich unmöglich mache, jemals wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Er konnte jetzt über sich selbst und über das Reichwerden, wie ein siebenjähriges Kind, mit sich selber schwatzen, und hundertmal zu sich selber sagen: fünfzig Jahre ist noch kein Alter, einen Mann, wie ich bin, zu hindern, wieder zu dem zu kommen, was er verloren hat; – bin ich doch mit nichts zu einem Wirtshause, zu einer Mühle und zum Vogtdienste gekommen; so müßte ich doch ein elender Tropf sein, wenn ich jetzt mit dem allem nicht auch wieder zu einem Stück Geld kommen sollte, um mein Heimwesen, das ich doch noch habe, und das Volk, das sich um mich her auflassen will, zu meistern wie vor und ehe. –

Er baute auf sein Jasten und Jagen, auf sein Früh- und Spätsein, auf sein Setzen in alle Spiele, indem er sagte, es falle bei allem immer doch etwas Profit ab. Aber er vergaß, daß jasten und jagen, daß früh- und spätsein, und in alle Spiele setzen nichts helfe, wo das Fundament mangelt, und keine Ordnung ist.

Mit allem Jasten und Jagen, mit allem Früh- und Spätsein hatte er in der schönen neuen Herrenmühle nie, was er brauchte, und mußte alle Augenblicke allen Teufelskünsten aufbieten, um hunderterlei Leuten mit Worten abzuspeisen, denen er Geld geben sollte.

Diese Aenderung seiner Umstände, und daß der steife Glaube, den er hatte, die Umstände im Augenblick wieder ändern zu können, ihm nicht recht in Erfüllung gehen wollte, machte ihn beinahe rasend.

Ob es Gott lieb oder leid, er wollte wieder reich werden, und brauchte jetzt keine Sorgfalt mehr, den Wust der Verbrechen, mit denen er diesem Endzwecke entgegen ging, zu verbergen. Er baute blindlings auf die Furcht und den Schrecken, womit er bis jetzt jung und alt im Zaume gehalten, und jedermann bei allen seinen Taten und bei allem Hasse, den er sich zugezogen, doch das Maul gestopft hatte; aber das junge Volk, das er jetzt meistern wollte wie das alte, war nicht mehr das gute betörbare Volk, dessen Unschuld er mißbraucht hatte.

Wo ein Mann wie er fünfzig Jahre alt wird, und so lange regiert, bleibt das Volk nicht mehr so. Unser junges Volk war jetzt heimtückisch; frech und gewalttätig wie er, und darum war es unmöglich, daß er dasselbe zum Feinde haben, und doch meistern konnte. Was alt war, zitterte freilich noch immer vor ihm, und die grauen Bärte sagten alle, sie hätten ihn erfahren, und es solle es nur niemand probieren, etwas mit ihm anzufangen. Aber viele junge Burschen widersprachen darin ihren Vätern, und behaupteten, wenn sie allein waren und niemand sie hörte: es habe nur daran gefehlt, daß man's nicht recht mit ihm angegriffen habe – wenn ich heute noch einen Handel mit ihm bekommen würde, wie der und dieser mit ihm gehabt hat, ich wollte probieren, ob es kommen müßte, wie es da gekommen ist – wenn sie Vierfüßige gewesen wären, sie hätten sich nicht dummer von ihm herumführen lassen können, als es geschehen sei. – Das war allgemein die Sprache der jungen Leute, die Kopf und Herz hatten, wenn von den alten Geschichten des Vogts die Rede war.

Einige gingen noch weiter. Es ist schon zwei Jahre seither, daß der junge Scheibler, da der Vogt ihm nur ein paar Stichworte gegeben, in seinem eigenen Hause vom Tische aufgestanden ist, und überlaut, daß es der Vogt wohl verstand, zu denen, die neben ihm saßen, gesagt hat: Wenn der alte Donnerskerl mir noch einmal so kommt, so schlage ich ihn in den Boden hinein! Es begegnete ihm sogar, daß einige junge Leute ihm leugneten, was sie wirklich geredet hatten, und andere ihn auslachten, wenn er etwas über sie klagte, das er nicht beweisen konnte.

Er klagte auch gar oft über das wüste junge Volk, das so frech sei, und rede, was ihm ins Maul komme, und ihm selber leugne, was er mit seinen Augen gesehen, und mit seinen Ohren gehört habe.

Der ältere Lindenberger aber sagte ihm einmal vor einem ganzen Tische voll Volk: Es begegnet dir nur, was du verdienst – ehe du da warest, wußte niemand etwas von so hartem Leugnen; jetzt aber hast du darüber nicht zu klagen, daß man das auch gegen dich braucht, was du eingeführt, und tausendmal gegen andere ausgeübt hast. – Und der jüngere Killer, der beim großen Schlaghandel sich glücklich heraus geleugnet hatte, bot in der gleichen Stunde und vor allen Leuten, die mit ihm von der Audienz kamen, aus Mutwillen dem Vogt einen Taler für den Lehrlohn an. Wofür mir einen Lehrlohn? sagte der Vogt. Einer, der mitging, gab überlaut zur Antwort: Ich denke, der Lehrlohn werde von der Kunst, das abzuleugnen, was wahr ist, verstanden werden müssen. – Nein, nein, sagte der Killer, nur von der Kunst, seinen Handel zu gewinnen.– Aber die Kunst wegzuleugnen ist eben die Kunst, seinen Handel zu gewinnen, sagte der andere. Und der Lehrlohn für das Lügenlernen wurde zum allgemeinen Gelächter, so daß der Vogt vor Zorn hätte stampfen mögen; doch tat er nicht dergleichen. Fast ein Jahr lang fing jeder, der den Vogt necken wollte, mit ihm von diesem Lehrlohn an; und es ist wirklich zu einem Sprichworte geworden: wenn er mit dem Lügenlehren Taler verdient habe, so habe er mit dem Stehlenlehren Dublonen verdient.

Im Streite mit dem Kümmerlig, von dem er meinte, er müsse den Handel in den ersten Wochen aufgeben, weil es in des Herzogs Land so kostbar sei zu trölen, konnte er lange nicht begreifen, wie der Mann es aushalten, und immer Geld finden könne. Endlich vernahm er, daß man ihm hier im Dorfe Geld vorstrecke, so viel er wolle, und daß er auf Neid und Haß gegen ihn hin drei- bis vierhundert Gulden entlehnen könne, wenn er nur wolle; und diese Entdeckung war die Ursache, daß er plötzlich den Streit aufgab, und die Unkosten bezahlte.

So zeigte ihm ein Vorfall nach dem andern, daß seine Kraft dahin sei, und daß er nichts mehr vermöge, weil öffentlich und heimlich ihm alles feind war. Die meisten Leute scheuten ihn freilich noch, und unter Hunderten ließen neunundneunzig Fünfe gerad sein, ehe sie mit ihm stritten; aber doch war's nicht mehr der alte Schrecken im Volke. Man lachte ihm ins Angesicht, und kehrte ihm den Rücken, wenn er seine Wut hervorließ. Er kam mit seiner Gewalttätigkeit nicht mehr zum Ziele, und mit allem Geiz und allen Diebstählen nicht mehr auf einen grünen Zweig. Seine Hausverwirrung wurde vielmehr je länger je größer, so daß sogar seine Knechte ihm nichts mehr nachfragten, sondern taten, was sie wollten, und ihn bestahlen, wo sie konnten. Er war aber auch selbst sich nicht mehr vollends gleich. Wenn er mit jemand vors Gericht mußte, so war ihm angst; und doch mußte er alle Augenblicke tun, wie wenn ihm sozusagen nichts lieber auf der Welt wäre. Und so fiel natürlich alle Augenblicke etwas vor, das ihn drückte und kränkte, und sein Leben elend machte.

Der Gedanke, daß er bald sterben könnte, und der ihm besonders daher kam, weil er seit der Krankheit eisgrau geworden war, machte ihm auch viele Mühe. Der alte Schreiber wollte ihn zwar darüber auf seine Art beruhigen, und behauptete: man müsse gar nicht an den Tod denken; wenn er kommen wolle, so komme er doch; und sich vorher mit Gedanken an ihn zu plagen, sei eine Narrheit; denn wenn der Mensch tot sei, so sei es mit ihm aus wie mit dem Vieh. – Aber – es ist merkwürdig – zu der Zeit, da der Schreiber ihn über Tod und Ewigkeit so einschläfern wollte, hat es dem Vogt zwei Nächte nacheinander geträumt, sein seliger Vater sei ihm wieder erschienen, und habe zu ihm gesagt: Wie ist es, Bub? ist dir die Zeit gekommen, daß auch Leute zu dir sagen: Du alter versoffener Lump, willst du mit mir ins Schloß? – Gelt, gelt, sie ist dir gekommen, wie ich sie dir prophezeit! – Wenn jetzt der Vogt daran dachte, was der Schreiber zu ihm gesagt hatte, daß es nach dem Tode mit dem Menschen aus sei, kam ihm allemal sein Vater wieder vor Augen, wie er vor seinem Bette stand, die Hände verwarf, und den Kopf schüttelte, daß ihm das Haar über die Stirne hinunter fiel, wie im Leben, wenn er im Eifer etwas redete; – ich sage, wenn der Vogt an des Schreibers Meinung dachte, so kam ihm dann immer sein Vater vor, wie er sich vor ihn hingestellt, und gesagt: wie ist es jetzt, Bub? ist dir die Zeit gekommen? – dann erschrak er, daß ihm das Herz klopfte, und er konnte nicht glauben, was der Schreiber zu ihm sagte.

So an einem elenden Faden hing jetzt dem Manne der Glaube an ein anderes Leben. Er hätte freilich wie der Schreiber gerne nicht daran glauben, und lieber ewig tot sein mögen; aber er durfte es nicht hoffen, und mußte zittern, wenn er nur daran dachte.

Das ist aber das Elend aller Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit auf Erden, daß der Mensch, wenn sich seine Tage neigen, ewig tot sein möchte, aber es nicht hoffen darf.

O ihr Lieben! das nahende Alter und das Abnehmen der Kräfte des Menschen, der die Wut der Gewalttätigkeit und der Ungerechtigkeit in sich gesogen hat, ist überhaupt entsetzlich. Mit jedem neuen Hindernisse, das den Wünschen seines Unsinns und dem Streben seines Rasens in den Weg kömmt, wird diese Wut stärker, und die Hindernisse der Torheit und des Lasters werden mit jedem Tage größer. Es kann nicht anders sein. –

Die Erfahrungen des Lebens sollen uns reinigen von allem unverständigen und lasterhaften Wesen. Tun sie das, so wird unser Alter still und glücklich, und seine Schwäche wird wie die Schwäche eines Lichtes, dessen reines Oel hell brennet, bis es erlischt; tun sie es aber nicht, brennen die Wünsche der Torheit und des Lasters noch in uns, auch wenn die Kraft des Lebens schwindet, so dünstet ihr Feuer einen stinkenden Rauch aus, wie das Feuer, das in einem Haufen faulenden Moders brennt. Der Gestank dieses Rauches steigt wahrlich oft um uns her auf, lange ehe wir uns dessen versehen.

Das war der Fall mit dem Vogte. Er war noch nicht über die Fünfzig, und doch war er in jeder Hinsicht aufgebraucht; selbst sein Gedächtnis und seine Ueberlegung nahm sichtbar ab. Auch gestand er es beim Todesfall des alten Junkers selber, und sagte in dieser Woche fast alle Viertelstunden, es sei ihm, wie wenn er in eine neue Welt herunter gefallen wäre. Er klagte auch gar sehr über diese neue Welt, und sagte oft, er glaube selber, wenn er darin müßte anfangen zu wirtschaften, er brächte es kaum dahin, daß er Schweinhirt würde, geschweige Untervogt.

Nun wäre es wohl Zeit gewesen, die Segel einzuziehen, und die Gewalt, die er nicht mehr behaupten konnte, fahren zu lassen. Er sah es auch ein, und wenn er reich gewesen wäre, und nicht in Schulden gesteckt hätte, so hätte er sich zur Ruhe gesetzt; und – merket euch das, ihr Menschen, die ihr mit ihm auf gleicher Lasterbahn gewandelt, aber nicht mit ihm unter den Galgen gekommen! merket euch das, ihr Menschen! – wäre er reich gewesen, und hätte er nicht in Schulden gesteckt, so hätte ihn auch keine Versuchung zu den letzten Taten, die ihn unter den Galgen gebracht, angewandelt; er hätte sich dann zur Ruhe gesetzt, und wäre wie hundert andere, die auf seinen Wegen wandeln, mit Ehren unter den Boden gekommen. Da er aber in Not und Schulden steckte, so durfte er nur nicht daran denken, etwas fahren zu lassen, wodurch er wenig oder viel Geld einzutreiben hoffte.

So war zuletzt die Verwirrung der Not und der Armut mitten im Gewühle des Reichtums, der Macht und des Hochmuts das innere Triebrad des Unsinns seiner letzten Taten.

Und die Verwirrung der Not und der Armut, die so oft das Ende eines fehlerhaften Lebens ist, ist auch in aller Welt die gewöhnlichste Quelle der unsinnigen Taten, welche einige Menschen dem Henker unter die Hände, unendlich mehrere aber um die Ruhe ihres Lebens, um die Freuden ihrer späten Tage und um den Frieden ihres Todbettes bringen, indem sie dieselben zur Pest ihrer Mitmenschen, zum Fluch ihres Hauses und zum Abscheu ihrer selbst machen. Darum, o ihr Menschen, die ihr Ruhe suchet und Segen, und euch friedliche und heitere Tage wünschet! – o ihr Menschen, die ihr gerne eure Kinder auf eurem Todbette mit heitern Herzen an eure Brust drücket! lasset euch lehren:

wer sein Haus nicht in der Ordnung führt;

wer mehr braucht, und mehr haben will, als ihm sicher und leicht eingeht;

wer in den Tag hinein lebt, und auf Zufälle wartet;

wer Einkünfte erzwingen will, die nicht mehr leicht und natürlich eingehen wollen, und die er darum fallen lassen sollte;

kurz, wer von mehr Geld abhängt, als er hat, und leicht und natürlich zubringen kann – der kann nicht anders, als er muß ein Schelm werden und ein höchst unglücklicher Mann, wenn leicht die Umstände danach sind; er kann nicht anders, er muß aus Not, fast wider seinen Willen, ein Schelm bleiben, und ein höchst unglücklicher Mann bis an sein Grab.

Der Hummel mußte jetzt fast wider seinen Willen in dem Kote stecken bleiben, in den er in der Unordnung seines Lebens mit so großem Mutwillen hineingewatet war.

Umsonst warnte ihn jetzt sein Herz;

umsonst redete ihm sein Gewissen die Wahrheit;

umsonst zitterte er beim letzten Nachtmahle am ganzen Leibe;

umsonst erschütterten ihn die Schrecken des Meineids, da der arme Wüst vor seinen Augen fast verzweifelte;

umsonst überfiel ihn ein Schauer, da er vor des Rudis Fenstern vorbeiging, und das Geheul der jammernden Kinder bei der sterbenden Frau hörte;

umsonst schien ihm auch die liebe Sonne, als er auf des Meiers Hügel noch in ihre letzten Strahlen hineinsah, und ihr nachstaunen mußte, bis sie hinter dem Berge war – er sah nur Schatten, Nacht und Grausen, das ihn umgab; er konnte selbst beim Anblicke der lieben Sonne nichts tun als mit den Zähnen kirren; er konnte jetzt nicht mehr auf den Herrn hoffen, der aus dem Staube errettet, und aus den Tiefen erlöset; er kirrete nur mit den Zähnen; –

umsonst warnte ihn sein Weib;

umsonst zeigte sie ihm, wo er stehe, und wohin ihn sein Leben führe;

umsonst bat sie, daß er sich nicht noch mehr vertiefe;

umsonst empfand er selber: sie hat recht, und mehr recht; – er war jetzt verwildert; die Wut seines Unsinns und seiner bösen Begierden machte ihn taub und blind gegen alle Vernunft; er sah, wie tief er stecke, und wollte sich aus dem Schlamme herauswüten, ohne mehr zu denken, wohin sein Tun ihn führen müsse.

Aber wenn es dann so weit mit einem Menschen kommt, so ist er dem Ende seiner Laufbahn nahe. Der Vogt verstieß jetzt seinen Kopf an einem armen Maurer, nachdem er hundertmal die ganze Gemeinde an die Wand gestellt hatte, wie wenn sie nichts wäre.

Ich will euch die Geschichte seiner letzten Tage nicht wiederholen, ihr wisset sie alle; nur das will ich noch sagen, daß ihm der Gedanke, dem Junker den Markstein zu versetzen, während des Nachtmahls in den Sinn gekommen ist, und daß er bis ein paar Augenblicke vor der Tat nichts weniger geglaubt, als daß er imstande sei, zu tun, was er wirklich getan hat. Er sagt auch jetzt noch: wenn man ihm eine Viertelstunde vorher gesagt hätte, er werde dem liebsten Manne, den er in der Welt habe, das Messer in den Leib stoßen, oder den Junker in der Audienzstube umbringen, er hätte das alles hundertmal eher möglich geglaubt, als daß er imstande sein würde, die Furcht zu überwinden, und nachts um zwölf Uhr in den Wald zu gehen, einen Markstein zu versetzen. Und doch hat er es getan, und leidet jetzt die Strafe einer Tat, deren er sich vor kurzem noch nicht fähig geglaubt hatte.

Liebe Menschen!

Er ist jetzt dahingegeben zum Beispiel der Sünde, an unsern Kindern wieder gut zu machen, was er an ihren Vätern verdorben hat. –

Gott gebe nun, daß seine Strafe in ihm und in uns austilge die Keime der Verbrechen, die ihn so elend und uns so unglücklich machten! –

Er ist jetzt ein armer Tropf; die Last seiner Taten liegt schwer auf ihm. Und was ihm seine Strafe schwerer macht, ist das Bild seines bisherigen Lebens, das ihn allenthalben verfolgt.

Ihr sahet ihn, als er am letzten traurigen Morgen, seine Strafe leidend, vor euch einsank.

Er war entblößt an Haupt und Füßen –

Das machte ihm nichts.

Seine Hand war angebunden am Holze des Galgens –

Er erblaßte nicht deswegen.

Das Schwert des Henkers glänzte ob seinem Haupte –

Er zitterte nicht darob.

Das Volk, mit dem er lebte, stand um ihn her, und sah ihn an diesem Orte – auch darob sank er nicht ein.

Aber das Bild seines Lebens und der Schatten der Taten, die ihn umschwebten – das war's, worüber er zitterte, erblaßte und einsank!

Er sah an dem Orte, wo er war, den armen Uli, wie er, von Raben zerrissen, neben ihm hing – wie er sein schreckliches Geripp gegen ihn kehrte, und grinsend, aus hohlem Leibe ihm vorerzählte, Stück für Stück, was er ihm abgedrückt, und wie er ihn an diesen Ort gebracht habe!

Auch die Lismergrithe kam ihm wieder vor – wie sie vor seinen Augen, ihren Todesschweiß schwitzend, aus blassen starren Lippen – im Augenblicke des Schwertstreiches noch – seinen Namen nannte, und – ihn schrecklich verklagend – ihr Haupt gen Himmel emporhielt! –

Aber wer will es beschreiben, das Bild seines Lebens, das ihn jetzt umschwebte! wer will ausdrücken und malen das Entsetzen dieser Stunde!

Ich will es nicht beschreiben, nicht ausdrücken, nicht vormalen; ich will es nur erzählen, wie ein Kind es erzählen könnte, was ihm in dieser Stunde vorgeschwebt ist.

Er sah die Tränen der Gekränkten,
Den Jammer der Hungernden,
Den Schrecken der Geängstigten
Vor seinen Augen. –
Er hörte
Das Fluchen der Wütenden
Und das Stöhnen der Verzweifelnden
Mit seinen Ohren.

Er sah seinen toten Vater wieder, und hörte wieder sein schreckliches Wort: Bub! Bub! – sind jetzt die Tage da? da man auch zu dir sagt: Du alter versoffener Lump!

Auch sein Kind sah er wieder, wie es ihm sterbend die Hand bot, und zu ihm sagte: Vater! Vater! tu' doch niemanden mehr wehe! – Er sah die Jammereiche wieder, die ihm zuerst die Ruhe seines Teufellebens raubte. – Er hörte wieder des Stichelbergers Schreckensruf: ins Tal Josaphat! zu einer andern Rechnung!

Er hörte wieder die Gewitternacht und ihren Donner – sah den reißenden Strom, und den Abscheu des murrenden und nicht helfenden Volkes – sah sein sinkendes Haus – und die Last und die Greuel des neuen – sein steigendes Elend – das Todbett der Kathrine – und das Entsetzen des letzten Nachtmahls – und die Schrecknisse der Mitternachtsstunde bei der Vollendung seines Unsinns beim Markstein.

Dieses Bild seines Lebens, das niemand malen und niemand beschreiben kann, stand vor seinen verwirrten Augen, als er am schrecklichen Orte vor euch einsank. – Und es verfolgt ihn jetzt, wo er gehet und stehet, und macht ihn um so unglücklicher, als er mit jeder Stunde mehr einsiehet, wie wahr dieses Bild seines Lebens ist, das ihn umschwebt, und wie zahllos die Menschen sind, die er elend gemacht hat.

Er dachte im Taumel seiner guten Tage an nichts weniger als an dieses, und auch in der Verwilderung seiner bösern Zeit war ihm das Elend seiner Mitmenschen wie nichts. Erst da er selber unwiederbringlich elend geworden war, und mit aller Bosheit und Schlauheit seines alten Lebens gar keine Rettung aus den Tiefen, in die er hinunter gestürzt war, mehr entdecken konnte, erst da ging ihm das Elend seiner Mitmenschen zu Herzen.

Er glaubte auch von dieser Zeit an, daß ihn alle Menschen nur verabscheuen, und daß niemand auf Erden einiges Mitleiden mit ihm habe. Aber er hat auch hierin das Gegenteil erfahren. Der arme Rudi teilt jetzt mit ihm sein Brot, und achtet nicht mehr des vergangenen Jammers; er tröstet sich der Leiden seiner Kinder, und zeigt wie ein Christ nicht bloß mit den Worten, sondern auch mit der Tat, daß er Wohltun und den Feinden vergeben für ein größeres Glück achte, als eine Kuh mehr im Stalle zu halten.

O ihr Menschen! die Güte des Rudi hat dem Vogt in der finstersten Stunde die Güte des Menschenherzens, woran er zweifelte, bewiesen, und ihn unter Umständen, die ihn zur Verzweiflung oder wenigstens zu noch größerer Verwilderung seiner selbst hätten führen können, errettet und erhalten – so daß er sich wieder zum Vertrauen auf Gott und Menschen emporheben, und von seiner innern Verwilderung also zurückkommen konnte, daß ich ihn wahrlich jetzt voll lauterer Wehmut, und ohne daß der geringste Schatten von Unwillen mehr in meinem Herzen gegen ihn übrig ist, euch darstellen kann.

Ja, wenn ich alles zusammennehme, was er getan hat, aber dann auch überlege, wie er zu dem gekommen ist, was er getan hat, und wie er das geworden ist, was er war – und endlich, wie er von dem bösen Sinne wieder zurückgekommen ist; so kann ich nichts anderes von ihm sagen als: er ist ein Mensch wie wir!

Und ob er schon dasteht als ein Beispiel der Sünde, in uns auszutilgen die Keime der Bosheit, die ihn zu seinen Taten verführten; so kann ich am Ende doch nichts anderes von ihm sagen als: er ist ein Mensch wie wir! – und muß die Worte wiederholen, die ich vor vierzehn Tagen schon zu euch sprach: daß doch keines von uns allen meine, dieses Unglück hätte ihm nicht auch begegnen können!

Hebet eure Augen auf, und sehet: warum stehet er vor euch? Ist es etwas anderes, als weil er hochmütig, geizig, hartherzig und undankbar war? – Und nun redet, ich frage euch wieder: ist einer unter euch nicht hochmütig, nicht geizig, nicht hartherzig, nicht undankbar? Er stehe auf, und sei unser Lehrer! Denn ich, o Herr! bin ein Sünder, und meine Seele ist nicht rein von allem Bösen, um deswillen der arme Mensch vor euch leidet.

Und je mehr ich seinem Leben nachdenke, desto mehr weiß ich in Beziehung auf mich nichts zu sagen als: Ich will Gott danken, daß er nicht solche Versuchungen über mein Haupt gehäufet, wie diejenigen waren, unter denen dieser arme Mann lebte. – Ich will Gott danken, daß er mir einen Vater und eine Mutter gegeben hat, die mich in Zucht und Ehren erzogen, und Arbeit und Ordnung lieb gewinnen, gelehrt haben. – Ich will Gott danken, daß ich nicht unter solchen Umständen wie er Vogt oder Weibel geworden bin, und mein Brot in keinem Berufe habe suchen müssen, in welchem man täglich es kaum ausweichen kann, drückend gegen seine Mitmenschen zu handeln! – Ich will Gott danken, daß ich von Jugend auf unter bessern und frömmern Menschen gelebt habe, und nicht von Kindsbeinen auf so viele Beispiele der Torheit der Unordnung, der Gedankenlosigkeit und Niederträchtigkeit vor meinen Augen hatte!

O Gott! auf meine Kniee will ich fallen und dich anbeten, daß deine Welt mir immer in einem reinen und bessern Lichte vor Augen gestanden, und mich ruhiger, glücklicher und seliger bildete als diesen Mann, der noch in den Tagen seines Alters und seiner Entkräftung von den Folgen seiner Torheit und seiner Irrtümer bis an die Grenzen der Verzweiflung gebracht worden ist!

O ihr Menschen! was soll ich mehr sagen? Mein Herz ist bewegt von innigem Mitleid gegen ihn, und ich kann nichts mehr sagen als dieses: Handle doch keiner von euch an ihm, wie man gemeiniglich an den Unglücklichen handelt, die in die Hände der Obrigkeit geraten!

O ihr Menschen! die Geschlechter der Erde handeln nicht recht an solchen Elenden. Sie nehmen zuerst teil an ihren Greueltaten, sie spielen mit ihnen die Spiele ihres Lebens, sie reizen sie zu ihren Verbrechen, sie pflanzen in ihnen den Unsinn ihrer Sitten, und nähren in ihnen die Keime der Laster; – dann aber, wenn sie unglücklich werden, und in die Hände der Obrigkeit geraten, verlassen sie dieselben, und handeln in ihrem Elende gegen sie, als ob sie dieselben nicht mehr kennten, und nie mit ihnen die Spiele des Mutwillens gespielt hätten, durch welche diese Elenden verheert wurden. – O ihr Menschen! dann werden diese Unglücklichen in ihrem Innern wie wütend über ihr hartes Geschlecht, schlucken in sich Verachtung und Menschenhaß und Rachegrimm, und werden zehnfach abscheulicher, als sie vorher waren.

Liebe Menschen! ich rede sonst selten und nicht gern mit euch vom Menschengeschlecht und von mehr Leuten als von meiner Herde; aber jetzt kann ich nicht anders – es ist mir, die hundert- und abermal hunderttausend von der Obrigkeit bestraften Verbrecher stehen vor meinen Augen, und ich sehe die Geschlechter der Menschen allenthalben so unbillig und hart gegen diese Unglücklichen handeln. – Ich möchte meine Stimme erheben, und zurufen dem Volke der Erde: Erbarme dich dieser Elenden! – Ich möchte meine Stimme erheben, und zurufen dem Volke in den niedern Hütten, und ihm sagen: Du Volk in den niedern Hütten! du kannst an diesen Unglücklichen tun, was keine Obrigkeit an ihnen tun kann – du kannst sie wieder zu Menschen machen, du kannst sie wieder mit sich selbst und mit ihren Mitmenschen aussöhnen; du kannst ihrem weitern Elend und ihren weitern Verbrechen vorbeugen, und sie an deiner Hand dahin leiten, daß sie zu einer friedlichen Ruhestätte gelangen.

Ich möchte dem Volke der Erde, in dessen Brust ein Menschenherz schlägt, zurufen und sagen: es ist kein Gottesdienst und kein Menschendienst größer und edler als die Güte, die man gegen Menschen ausübt, welche durch ihre Fehler verwirrt, durch ihre Schande erniedrigt, durch ihre Strafe verwildert sind, und wie die gefährlichsten Kranken zur Wiederherstellung ihrer gewaltsam zerstörten Natur und ihres verheerten Daseins mehr als alle andern Menschen Schonung, Menschlichkeit und Liebe nötig haben.

Aber ich erwache von meinem Traume – das Volk der Erde steht nicht vor mir, und die Geschlechter der Erde hören mich nicht. Und ihr, meine Lieben! mit denen ich rede, werdet an dem Manne, der nun so unglücklich ist, nicht unbarmherzig und unempfindlich handeln, sondern vielmehr die Geschichte seines Lebens dazu benutzen, daß ihr einander weniger plaget, und vorbeuget, daß ihr untereinander und voneinander immer weniger verdorben und unglücklich gemacht werdet, und so des Elendes, das unter uns ist, täglich weniger werde.

Es war so drückend dieses Elend, und ich konnte bis auf diese Stunde so viel als nichts dagegen tun, außer Mitleid mit euch haben und schweigen.

Aber Zeuge bist du, Kanzel des Herrn, wie tief mich euer Elend beugte!

Und noch mehr Zeuge bist du, toter Stein, aus dem ich nun zwanzig Jahre lang das Geschlecht taufte, das hinter uns aufwuchs – Zeuge bist du, was meine Seele litt, wenn ich eure Kinder in meine Hand nahm, und dachte, welch einem Leben sie entgegen gehen! –

Aber von nun an erwachet meine Hoffnung wieder in mir, und es preßte mir Freudentränen aus, da ich nach der Bekehrung des Vogts das erste Kind, das ich taufen sollte, in euer Buch eintrug. Ich schrieb seinen Namen »Esther« größer als sonst, und mit roter Tinte – ich umschlang das Wort mit einem Kranze, und unter dem Kranze knüpfte ich den Anker der Hoffnung an, wie an ein Band – oben am Kranze aber schrieb ich »den achtzehnten Herbstmonat,« an welchem Tage ihr eurem Herrn huldigtet – und meine Tränen fielen häufig auf das Blatt, auf dem ich, so in meiner Freude tändelnd, mein Herz ausleerte.

Ihr Lieben! vergesset auch ihr diesen achtzehnten Herbstmonat nicht, und lehret eure Kinder und Kindeskinder von diesem Tage an die Wiederherstellung eures Glückes zählen!

Ihr Lieben! ich bezeuge es vor dem Angesichte Gottes, und schmeichle nicht: euer Herr will euer Glück, und baut auf Fundamente, die den Wohlstand eurer Kinder und Kindeskinder sicher stellen werden wie euren eigenen. – Die alte fromme Einfalt wieder herzustellen – Freuden in Ehren und Freuden zum Segen euch zu verschaffen – euch in euren Wohnstuben glücklich zu machen – euch des Lebens Notdurft ohne Drang und Kummer zu verschaffen – der Liederlichkeit und der Unordnung vorzubeugen – der Gewalttätigkeit und aller Unterdrückung Einhalt zu tun – und überhaupt auszureuten und auszutilgen die ersten Ursachen des Elendes, das ihr littet, und hingegen wieder herzustellen, zu reinigen und euch zuzuführen die Quellen alles Guten und alles Segens, der euch mangelte: das ist das Ziel eures Herrn, worauf er seine Bemühungen richtet, wofür er am Tage sorgt, und Nächte durchwacht.

Gott verhelfe uns dazu in seiner Gnade durch seinen guten heiligen Geist! Amen!

 


 


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