Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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129.
Die Himmelstropfen.

Dennoch aber fand er sich bald darauf durch diesen Vorfall gestärkt und erquickt. Seine Frau hingegen erlag unter dem Schrecken und Verdruß, den sie die Zeit über gehabt, und zum Unglück geriet sie dem Treufaug unter die Hände.

Dieser gab ihr von seinen Himmelstropfen. Das waren Tropfen, die unter seinem Großvater noch Henkerstropfen hießen. Nachdem sein Vater aber ehrlich geworden war, wollte er sie nicht mehr unter diesem Titel verkaufen, sondern gab ihnen den Namen Himmelstropfen, unter welchem Namen sie bis auf die jetzige Zeit für Menschen und Vieh vielen Abgang hatten. Als nun die Vögtin dem Treufaug ihre Not klagte, war seine erste Antwort: Gib mir Kirschenwasser; ich bin so durstig, daß ich etwas trinken muß, ehe ich mit dir reden kann. Sie gab es ihm, und klagte dann der Länge und Breite nach ihre Not.

Dieser aber antwortete erst, nachdem er fast ausgetrunken hatte, und sagte dann: Was magst du doch so viel schwatzen? Wenn du kein Wort reden würdest, so wüßte ich ebensogut, wo es dir fehlt, als wenn du einen halben Tag davon erzählest. Die Krankheit ist an der Leber, und es ist große Zeit, daß man zu helfen suche, denn sie ist halb faul; und wenn man nicht wehrt, so geht dir in kurzem das Maul auf eine Art zu, daß es nicht wieder aufgeht. Aber ich will dir etwas schicken, das schon Prinzen und Pfaffen und großen Herren die Leber wieder kuriert hat, wenn nur noch ein Stück von einem halben Batzen groß gesund daran gewesen ist; und es muß der Teufel sein Spiel treiben, wenn es dir nicht auch hilft. Aber du mußt das saufen, was ich dir schicke und ich will es dir zum voraus sagen, daß es kein Schleckwerk ist. Du wirst meinen, es sei aus der Hölle, so wird es dich brennen; aber Böses muß Böses vertreiben. Und wenn es dir schon bange macht, so fahre nur fort auf mein Wort hin, und nimm alle zwei Stunden ein paar Löffel voll, bis du damit fertig bist. Wenn es dann durchgebrochen ist, wird es schon besser werden.

Die Tropfen wirkten, wie er sagte, bis sie durchbrachen, und sie feuerten ihr im Munde, wie der höllische Teufel, und brachten sie in einen Jast (Hitze), als wenn sie das größte Fieber hätte. Und seitdem sie dieselben brauchte, ward ihr Atem sichtbar schwerer; sie konnte nicht mehr schlafen wie vorher, hatte viel stärkere Beklemmungen auf der Brust, und auch der Schweiß, den sie vorher hatte, verlor sich. Bei allem dem dachte sie an nichts weniger, als daß die Himmelstropfen daran schuld seien; und sie brauchte sie nur desto gewissenhafter, je kranker sie davon wurde.


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