Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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4.
Er ist bei seinesgleichen, und da ist's, wo man Schelmen kennen lernt.

Es war jetzt fast Mitternacht und doch war er kaum heim, so sandte er noch zu zweien von Lienhards Nachbarn, daß sie des Augenblicks zu ihm kämen. Sie waren schon im Bette, als er nach ihnen schickte; aber doch säumten sie sich nicht. Sie standen auf, und gingen in der finstern Nacht zu ihm hin.

Und er fragte sie über alles, was Lienhard und Gertrud seit einigen Tagen getan hätten. Da sie ihm aber nicht gleich etwas sagen konnten, das ihm Licht gab, stieß er seine Wut gegen sie aus. Ihr Hunde! was man von euch will, ist immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofür muß ich immer euer Narr sein? Wenn ihr Holz frevelt, und ganze Fuder raubet, so muß ich nichts wissen; wenn ihr in den Schloßtriften weidet, und alle Zäune wegtraget, so muß ich schweigen. Du, Buller, mehr als ein Dritteil von deiner Waisenrechnung war falsch, und ich schwieg. Meinst du, das bißchen verschimmelt Heu stelle mich zufrieden? Es ist noch nicht verjährt. Und du, Krüel, deine halbe Matte gehört deines Bruders Kindern. Du alter Dieb, was habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker überlasse, dem du gehörst?

Dieses Gerede machte den Nachbarn bange. Was können wir tun, was können wir machen, Herr Untervogt? Weder Tag noch Nacht ist uns zu viel, zu tun, was du uns heißest.

Ihr Hunde! ihr könnet nichts! ihr wisset nichts! Ich bin außer mir vor Wut! Ich muß wissen, was des Maurers Gesindel diese Woche gehabt hat, was hinter diesem Pochen steckt. So wütete er.

Indessen besann sich Krüel. Halt, Vogt, ich glaub', ich könne dienen; erst fällt's mir ein. Gertrud war heute bis Mittag über Feld, und am Abend hat ihr Liseli beim Brunnen den Schloßherrn sehr gerühmt. Gewiß war sie im Schloß. Am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube, aber niemand weiß warum; heute sind sie alle ganz besonders fröhlich.

Der Vogt war nun überzeugt, daß Gertrud im Schloß gewesen sei. Zorn und Unruhe wüteten nun noch gewaltiger in seiner Seele. Er stieß greuliche Flüche aus, schimpfte mit abscheulichen Worten auf Arner, der alles Bettelgesindel anhöre, und Lienhard und Gertrud schwur er, seine Rache empfinden zu lassen. Doch müßt ihr schweigen, Nachbarn; ich will mit dem Gesindel freundlich tun, bis es reif ist. Forschet fleißig nach, was sie tun, und bringt mir Nachricht; ich will euer Mann sein, wo es nötig ist. Da nahm er noch Buller beiseite und sagte: Weißt du nichts von den gestohlenen Blumengeschirren? Man sah dich vorgestern über den Grenzen mit einem geladenen Esel; was hattest du zu führen? Buller erschrak: Ich . . . ich . . . hatte . . . Nu, nu, sprach der Vogt, sei mir treu; ich bin dir Mann, wo es die Not erheischt.

Da gingen die Nachbarn fort. Der Morgen aber war schon nahe, und Hummel wälzte sich noch eine Stunde auf seinem Lager, staunte, sann auf Rache, knirschte oft im wilden Schlummer mit den Zähnen und stampfte mit seinen Füßen, bis der helle Tag ihn aus dem Bette trieb. Er beschloß jetzt, noch einmal Lienhard zu sehen, sich zu überwinden und ihm zu sagen, daß er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen habe. Er raffte alle seine Kräfte zum Heucheln zusammen, und ging zu ihm hin.

Gertrud und Lienhard hatten diese Nacht sanfter geruht, als es seit langem nicht geschehen war, und sie beteten am heitern Morgen um den Segen dieses Tages. Sie hofften auf die nahe Hilfe von Vater Arner, und diese Hoffnung breitete Seelenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit über sie aus.

So fand sie Hummel. Er sah es, und es ging dem Satan ans Herz, daß sein Zorn noch mehr entbrannte; aber er war seiner selbst mächtig, wünschte ihnen freundlich einen guten Morgen, und sagte: Lienhard, wir waren gestern unfreundlich gegeneinander; das muß nicht so sein. Ich habe dir etwas Gutes zu sagen. Ich kam eben vom gnädigen Herrn; er redete vom Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich sagte, daß du den Bau wohl machen könntest; und ich denke, er wird ihn dir geben. Sieh', so kann man einander dienen; man muß sich nie so leicht aufbringen lassen.

Lienhard. Er soll ja den Bau dem Schloßmaurer verdungen haben; das hast du längst an der Gemeinde gesagt.

Hummel. Ich habe es geglaubt, aber es ist dem nicht so. Der Schloßmaurer hat nur ein Kostenverzeichnis gemacht; und du kannst leicht denken, er habe sich selber nicht vergessen. Wenn du ihn nach diesem Ueberschlag erhältst, so verdienst du Geld wie Laub. Lienert, da siehst du jetzt, ob ich es gut mit dir meine.

Der Maurer war von der Hoffnung des Baues übernommen, und dankte ihm herzlich; aber Gertrud sah, wie der Vogt vom erstickten Zorn blaß war, und wie hinter seinem Lächeln verbissener Grimm verborgen lag, und freute sich gar nicht. Indessen ging der Vogt weg, und im Gehen sagte er noch: Innert einer Stunde wird Arner kommen; und Lienhards Lise, die an der Seite ihres Vaters stand, sagte zum Vogt: Wir wissen's schon seit gestern. Hummel erschrak zwar ob diesem Worte, aber er tat doch nicht, als ob er es hörte; und Gertrud, die wohl sah, daß der Vogt dem Geld, so beim Kirchbau zu verdienen wäre, auflauerte, war hierüber sehr unruhig.


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