Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

148.
Ein Sigrist und ein Schulmeister, zwei Brüder, dem Leibe nach und auch der Seele.

Der Sigrist und der Schulmeister waren keine Bauern, sondern der eine ein Schneider und der andere ein Schuhmacher; aber sie machten den Betrug aus lauter Hochmut mit ihrem wenigen Vieh und Heu den andern Bauern auch nach. Es ist ihnen aber gar übel bekommen. Zum Spaß oder zum Unglück waren sie beide, als der Vogt und die Männer ins Dorf kamen, bei Hause, der eine wegen der Schule und der andere wegen des Läutens. Sie wohnten unter einem Dache, und waren Brüder.

Der Sigrist hatte noch alles Heu, das er auf dem Kirchhofe bekam; und weil er kein Vieh hatte, verkaufte er alle Jahre das Heu um bares Geld. Aber er erschrak gar gewaltig, als die Männer ins Dorf kamen; denn er hatte angegeben, er habe nur ein Klafter Futter, und es waren mehr als zwei. Geschwind deckte er jetzt eine Ecke vom Heu mit so viel Strohwellen zu, als er nur hatte; und als die Männer in sein Tenn kamen, sagte er, die Kappe unter dem Arme haltend, und die Hände reibend: Ihr wisset wohl, ihr Herrn, ich mache keinen Halm Futter als ab dem Kirchhöflein; und das macht etwa ein Klafter, wie ich es angegeben habe.

Hühnerträger. Du verkaufst doch sonst alle Jahre zwei Klafter.

Sigrist. Es sind einmal jetzt gewiß nicht zwei.

Weibel. Wir müssen es messen.

Sigrist. Ihr könnt doch von Auge sehen, daß das nicht zwei Klafter sind.

Michel. Ist hinter diesen Wellen Stroh kein Heu mehr?

Sigrist. Kein Halm! ich versichere, kein Halm! Es ist Stroh, das ich schon zwei Jahre habe.

Ich kann es doch fast nicht glauben, sagte der Michel; und indem er es sagte, legte er etliche Strohwellen beiseits und hinter den Wellen war Heu.

Das schmeckt nicht nach dem Kirchendienst, sagte der Michel; und der Weibel maß jetzt das Heu, und sagte dann: Es ist viel über zwei Klafter.

Der Sigrist erschrak darüber, und antwortete ihnen in einem giftigen Tone: Wenn ihr jedermann so alle Winkel ausgesucht habt, so wird sich mancher um ein Klafter geirrt haben.

Vogt. Wenn du nur zwanzig Klafter hättest, so würde es dann gar nichts machen, wenn du schon um eins verirrt wärest.

Sigrist. Tut mir doch den Gefallen, und schweiget von diesem Klafter.

Michel. Das kann nicht sein; man muß einen halten wie den andern.

Sigrist. Du machst dich groß, Michel; aber du bist gar ein ehrlicher Mann!

Michel. Und du bist Sigrist!

Vogt. Es ist nicht möglich; wir müssen es anzeigen.

Jetzt gingen sie zum Schulmeister. Dieser hatte anstatt einer Kuh zwei angegeben; er wollte deswegen den Vogt und seine Leute auch fast gar nicht in den Stall lassen. Als er aber zuletzt mußte, sagte er: Ja, ich habe jetzt einmal nur noch eine Kuh; die andere ist gestern fortgekommen.

Hühnerträger. Aber ich habe sie doch schon vor acht Tagen fortführen sehen.

Schulmeister. Du hast gewiß eine andere für die meinige angesehen. Es sind noch nicht vier Tage, seit die meinige fort ist; und dann wußte ich es nicht einmal, denn meine Frau hat den Stall unter den Händen.

Vogt. Das ist jetzt gleich viel. Wir können dir einmal jetzt nur eine aufschreiben, weil nur eine da ist.

Schulmeister. Wenn sie doch auch nur ein paar Tage fort ist –

Michel und Vogt. Wir können da nicht eintreten.

Schulmeister. Ihr wißt auch wenig, was es heißt, Barmherzigkeit erweisen.

Michel. Es heißt einmal nicht, um eines Torenbuben willen Schelmenstreiche machen.

Schulmeister. Was will das sagen?

Michel. Das will sagen, daß du ein Narr warst, mit einer Kuh, die du nicht einmal hattest, am Vorgesetztenseil ziehen zu wollen.

Der Schulmeister hängte seinen Kopf, und sagte: Es ist zuletzt noch besser als am Hundsseil. Der Michel war nämlich vorzeiten viel auf die Jagd gegangen.

Michel. Es gibt der Hundsseile allerhand.

Vogt. Wir wollen gehen, ehe es Feuer gibt.

Da aber die Schule jetzt zu Ende war, und es auch schon Mittag geläutet hatte, fanden der Sigrist und der Schulmeister, sie könnten jetzt noch an die Gemeinde gehen, und sich beim Junker entschuldigen, oder wenigstens verhüten, daß er nicht meine, sie seien deswegen nicht an die Gemeinde gekommen. Und sie gingen wirklich mit dem Vogt und den Männern, die jetzt mit ihrem Geschäfte fertig waren, dahin. Aber ziemlich von ferne, schon oben an der Kirchgasse, sah der Sigrist die Siebzehn auf den Knieen. Er erkannte nur den Junker, und sah nicht, was die andern machten; und sagte daher zum Schulmeister: Es ist, wie wenn ein Dutzend vor ihm Gras ausrauften.

Der Schulmeister guckte auch hin, und ohne daran zu denken, daß der Hühnerträger neben ihm stehe, sagte er: Du Narr, ich glaube, er macht sie Hexenstückchen probieren. Der Sigrist stupste ihn zwar, aber das Wort war heraus, und der Hühnerträger hatte es völlig verstanden. Dieser antwortete zwar nichts, aber er blickte ihn an, als wenn er einen Schülerbuben und nicht einen Schulmeister vor sich hätte.

Indessen kamen sie näher zur Linde, und erkannten jetzt, daß es die Vorgesetzten seien, und daß sie vor Arner auf den Knieen lagen. Sie schlichen jetzt so langsam hinten nach, als wenn ihnen die Füße lahm geworden wären; und plötzlich wollten sie sogar wieder zurückkehren. Aber der Hühnerträger, der es merkte, und dem des Schulmeisters Hexenstücklein noch nicht recht lag, räusperte der Wache, und diese ließ sie nicht mehr zurück. Sie machten jetzt aus der Not eine Tugend, und gingen, wohin sie mußten; aber sie setzten sich doch auf die hintersten Bänke, und hielten sich gar stille.


 << zurück weiter >>