Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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101.
Der Vogt spaziert wieder zum Markstein.

Der Vogt mußte am gleichen Abend noch auf den Berg gehen, und bei dem halb umgegrabenen Markstein alles wieder in den alten Stand stellen. Das Volk war wie ab den Ketten, und man kann fast sagen, wenn der Henker mit dem offenen Schwerte vor den Leuten gestanden wäre, er hätte sie fast nicht im Zaume halten können. Selbst die Kinder aus der Schule jauchzten umher, und liefen ihm auf eine halbe Stunde voraus. Die einen riefen: Sie bringen den Vogt! die andern erwiderten: Gestern nahm ihn der Teufel, heute bringt ihn der Henker. Die Knaben schossen von den Mauern und Bäumen, wo er vorbeiging. Die Mädchen standen bei Dutzenden Hand in Hand hinter den Zäunen und auf den Anhöhen an der Seite des Weges, und waren lustig und freudig, und lachten ob seinem Spaziergange. Nicht alle aber lachten. Emiliens Grithe stand am Arme ihrer Mutter unter ihrer Türe, und trocknete ihre Tränen. Er sah sie, und ihr Jammerblick traf sein Auge, daß er erblaßte. Das Mädchen wandte ihr Angesicht gegen ihre Mutter, und weinte laut. Er hatte vor kurzem ihren Geliebten den Werbern verhandelt, wie man ein Stück Vieh den Metzgern verhandelt. Fast unter allen Fenstern und Türen, wo der Vogt vorbeiging, stieß jemand einen Fluch aus. Hie und da brauchten böse Weiber das Maul ganz, und drohten ihm mit Mistgabeln und Besen. So ging es ihm den ganzen Berg hinauf und wieder hinunter. Nur vor Lienhards Haus sah man keinen Menschen; keine Türe und kein Fenster war offen.


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