Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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110.
Das Herz leicht machen, ist das rechte Mittel, dem Menschen den Mund aufzutun.

Der Pfarrer überließ jetzt den Vogt, den man wieder ins Gefängnis nach Bonnal gebracht hatte, eine Weile sich selbst. Nach ein paar Stunden aber ging er wieder zu ihm hin.

Ich bin ein armer, alter, verlorner Tropf und der Welt zu nichts weiter nütze! war fast das erste Wort, das dieser zum Pfarrer sagte.

Pfarrer. Das muß man nie sagen. Wenn man will, ist man immer zu etwas gut.

Vogt. Ach! . . . ich will mich vor allen Menschen verbergen, und in einem Winkel, so lange ich noch lebe, für mein ewiges Heil beten und seufzen.

Pfarrer. So lange wir leben, gehören wir zu den Leuten, und wir tun nicht recht, und machen uns eben dadurch zu unnützen Lasten in der Welt, wenn wir uns von den Leuten absondern. Es ist am lieben Gott und nicht an uns, uns von den Leuten abzusondern und vor den Leuten zu verbergen, wenn er uns verborgen haben will; und er tut das, Vogt, wenn er uns ins Grab legt.

Vogt. Ach, wenn er es nur bald täte!

Pfarrer. Macht es dir Mühe, daß du wieder gefangen bist?

Vogt. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!

Pfarrer. Es ist natürlich. Aber wenn man dich heim gelassen hätte, meinst du, es wäre dir jetzt besser?

Vogt. Warum sollte es mir nicht besser sein, wenn ich heimgehen könnte?

Pfarrer. Für einen Augenblick kann es wohl sein; aber, Vogt, um überall zu dir selber und für dein ganzes künftiges Leben in Ordnung zu kommen, werden diese vierzehn Tage dir gewiß wohl tun, wenn du sie recht gebrauchest.

Vogt. Ach, ich bin eingesperrt!

Pfarrer. Aber wofür?

Vogt. Ha, was weiß ich!

Pfarrer. Wenn du es nicht weißt, so weiß ich es. Gewiß nur um deiner selber willen, und damit du wieder auf den rechten Weg kommest, und recht tuest, bist du eingesperrt.

So fing der Pfarrer an, dem armen Manne den Zustand seiner Gefangenschaft auf eine vernünftige Art anschaulich zu machen, und er ward nach und nach in den vierzehn Tagen, in denen er fast Tag und Nacht bei ihm war, so vertraut mit ihm, daß sie fast wie Brüder miteinander redeten. Es würde aber zu langweilig werden, wenn ich diese Gespräche von Wort zu Wort erzählen wollte. Die Historie, in der ich fortfahre, wird schon zeigen, was das Wichtigste davon war.

Der Pfarrer ging mit ihm in sein Jugendleben, in sein männliches Alter, in die Zeit, wo er Wirt, und in die, wo er Vogt war, hinein. Er brachte ihm, was er tausendmal vergessen hatte, wieder zu Sinn, so daß er am Ende heiter wie der Tag sah, wie der Vogt das hatte werden müssen, was er geworden war. Das Leben des Mannes enthüllte dem Pfarrer auch das Leben seines ganzen Dorfes, so daß er jetzt in alle Haushaltungen hineinsah wie in einen Spiegel; und hundert traurige Umstände und Sachen, wo vorher alles Raten und Helfen umsonst war, wurden ihm jetzt heiter wie der Tag.

Der Vogt wollte freilich mit der Sprache zuerst nicht recht heraus, besonders wenn andere Leute in seine Fehler verwickelt waren, und er sagte deswegen einmal bei einem solchen Anlasse zum Pfarrer: Ich mag zu allem, was ich schon auf den Schultern habe, nicht noch machen, daß mich junges und altes im Dorfe verfluche. Aber da ihm dieser herzlich und deutlich zeigte, wie er gerade denjenigen, von denen er alles aussage, und die es am meisten erzürnen würde, den größten Dienst damit tue, so trug er von dieser Zeit an kein Bedenken mehr, dem Pfarrer über alles unverhohlen zu sagen, was er wußte.


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