Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23.
Ein Heuchler und eine leidende Frau.

Er ging sodann zum Felix Kriecher. Das war ein Kerl, der immer umherging, wie die Geduld selbst, wenn sie im tiefsten Leiden schmachtet. Vor dem Scherer, dem Vogt, dem Müller und vor einem jeden Fremden bückte er sich so tief als vor dem Pfarrer, und diesem ging er in alle Wochenpredigten und in alle Singstunden am Sonntag abend. Dafür erhielt er aber auch dann und wann ein Glas Wein, und durfte zuweilen, wenn er recht spät kam, und nahe genug hinzustand, auch zum Nachtessen bleiben. Mit den Pietisten im Dorf aber kam er nicht zurecht, ob er es gleich sorgfältig versuchte; denn er wollte um ihretwillen mit den andern es auch nicht verderben. Das geht aber bei den Pietisten nicht an; sie leiden es nicht an ihren Schülern, daß sie auf beiden Achseln tragen; und so ward er, trotz alles Anscheins von Demut, trotz aller ausgelernten Heuchlerkunst und trotz seines geistlichen Hochmutes, welches alles sonst bei den Pietisten gar wohl empfiehlt, ausgeschlossen.

Neben diesen äußerlichen und öffentlich bekannten Eigenschaften hatte er auch noch einige andere, zwar nur zum stillen Gebrauch seines häuslichen Lebens, aber doch muß ich sie auch erzählen.

Er war mit seiner Frau und seinen Kindern ein Teufel. In der äußersten Armut wünschte er immer, etwas Gutes zu essen; und wenn er es dann nicht hatte, so lag ihm alles nicht recht. Bald waren die Kinder nicht recht gekämmt, bald nicht recht gewaschen, und so Tausenderlei. Und wenn er nichts fand zum Zanken, und ihn das kleine, vierteljährige Kind etwa sauer ansah, dann gab er ihm tüchtig auf die kleinen Hände, daß es Respekt lerne.

Du bist ein Narr! sagte ihm einst bei einem solchen Anlasse die Frau, und sie hatte freilich recht, und nicht mehr als die reine Wahrheit geredet; aber er stieß sie mit den Füßen, und da sie entfliehen wollte, fiel sie sich unter der Türe zwei Löcher in den Kopf. Ob diesen Löchern ist der Nachbar erschrocken; denn er dachte weislich in seinem Sinn, der zerschlagene Kopf könne sein Leben ruchbar machen, und wie alle Heuchler im Schrecken sich biegen und schmiegen und krümmen, so krümmte und schmiegte sich damals auch Kriecher. Er bat die Frau auf seinen Knieen und um tausend Gottes willen, zwar nicht, daß sie es ihm verzeihe, sondern nur, daß sie es niemanden sage.

Sie tat es, und litt geduldig die Schmerzen einer starken Verwundung, und sagte zum Scherer und zu den Nachbarn, sie sei von der Bühne gefallen. Diese glaubten ihr zwar nicht alle; und ach, die gute Frau, sie hätte es vorher denken sollen: kein Heuchler war je dankbar; kein Heuchler hielt sein Wort. Sie hätte ihm also nicht glauben sollen. Doch was sage ich? Sie hatte das alles wohl gewußt, aber dabei an ihre Kinder gedacht und empfunden, daß niemand als Gott sein Herz ändern könne, und daß also alles Gerede unter den Leuten umsonst sein würde. Die brave Frau! Ach, daß sie nicht glücklicher ist! o daß ihr Herz alle Tage Kränkungen von ihm leiden muß! Sie schweigt, und betet zu Gott, und dankt ihm für die Prüfungen der Leiden.

O Ewigkeit! wenn du einst enthüllest die Wege Gottes und den Segen der Menschen, die Gott durch Leiden, Elend und Jammer so in ihrem Innern Stärke, Geduld und Weisheit lehret – o Ewigkeit, wie wirst du die Geprüfte erhöhen, die du hier so erniedriget hast! – Kriecher hatte das Loch im Kopf vergessen, fast eher als es wieder geheilt war, und er ist immer der Gleiche. Er kränkt und plagt die Frau ohne Ursache und Anlaß alle Tage, und verbittert ihr das Leben.

Eine Viertelstunde, ehe der Vogt kam, hatte die Katze die Oellampe vom Ofen herunter geworfen, daß ein paar Tropfen verloren gingen. Du Laster! hättest du sie besser versorgt, sagte er mit seiner gewohnten Wut zur Frau. Du kannst jetzt im Finstern sitzen, und das Feuer mit Kühkot anzünden, du Hornvieh!

Die Frau antwortete kein Wort; aber häufig flossen die Tränen von ihren Wangen, und die Kinder in allen Ecken weinten wie die Mutter.

Soeben klopfte der Vogt an.

Schweigt doch! um aller Liebe willen, schweigt doch! Was will es geben? der Vogt ist vor der Türe, sagt Kriecher, wischt den Kindern mit seinem Schnupftuch geschwind die Tränen vom Backen, droht ihnen: Wenn eines nur noch muckset, so sehet zu, wie ich es zerhauen werde! öffnet dann dem Vogt die Türe, bückt sich, und fragt ihn: Was habt Ihr zu befehlen, Herr Untervogt?

Der Vogt sagt ihm kurz den Bericht, Kriecher aber, der bei der Türe die Ohren spitzt, und niemanden mehr weinen hört, antwortet dem Vogt: Kommt doch in die Stube, Herr Untervogt! Ich will es doch auch geschwind meiner lieben Frau sagen, wie ein großes Glück mir widerfahre. Der Vogt geht mit ihm in die Stube, und Kriecher sagt zu seiner Frau: Der Herr Untervogt bringt mir eben die glückliche Botschaft, daß ich an dem Kirchbau Anteil habe, und das ist eine große Gnade, für die ich nicht genug danken kann.

Die Frau antwortet: Ich danke Gott. (Ein Seufzer entfährt ihr.)

Vogt. Fehlt deiner Frau etwas?

Kriecher. Es ist ihr leider die Zeit her nicht gar wohl, Herr Untervogt! (Seitwärts blickt er zornig und drohend gegen die Frau.)

Vogt. Ich muß wieder gehen. Gute Besserung, Frau!

Frau. Behüt' Euch Gott, Herr Untervogt!

Kriecher. Seid doch auch so gut, und danket dem gnädigen Herrn in meinem Namen für diese Gnade, wenn ich bitten darf, Herr Untervogt!

Vogt. Du kannst es selber tun.

Kriecher. Ihr habt auch recht, Herr Untervogt; es war unverschämt von mir, daß ich Euch darum bat. Ich will nächstens expreß ins Schloß gehen; es ist meine Schuldigkeit.

Vogt. Am Montag morgen gehen die andern alle, und ich denke, du werdest wohl mitgehen können.

Kriecher. Natürlich, Herr Untervogt! ja freilich! ich wußte es nur nicht, daß sie auch gingen.

Vogt. Behüt' Euch Gott, Kriecher!

Kriecher. Ich sag' Euch schuldigen Dank, Herr Untervogt.

Vogt. Du hast mir nichts zu danken. (Er geht, und sagt im Gehen zu sich selbst:) Wenn der nicht den Teufel im Schilde führt, so trügt mich denn alles. Vielleicht wäre das ein Mann, wie ich einen brauchte gegen den Maurer; aber wer will einem Heuchler trauen? Ich will den Schabenmichel lieber; der ist geradezu ein Schelm.


 << zurück weiter >>