Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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3.
Ein Unmensch erscheint.

Und da am gleichen Abend sein Vogt zu ihm kam, nach seinen Befehlen zu fragen, sagte er ihm: Ich werde morgen selbst nach Bonnal kommen; ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung haben. Der Untervogt aber antwortete: Gnädiger Herr, hat Euer Gnaden Schloßmaurer jetzt Zeit? Nein, erwiderte Arner; aber es ist in deinem Dorf ein Maurer Lienhard, dem ich diesen Verdienst gern gönne. Warum hast du mir ihn noch nie zu einer Arbeit empfohlen?

Der Vogt bückte sich tief, und sagte: Ich hätte den armen Maurer nicht empfehlen dürfen zu Euer Herrlichkeit Gebäuden.

Arner. Ist er ein braver Mann, Vogt, daß ich auf ihn gehen kann?

Vogt. Ja, Ihr Gnaden können sich auf ihn verlassen; er ist nur gar zu treuherzig.

Arner. Man sagt, er habe ein braves Weib; ist sie keine Schwätzerin? fragte hierauf Arner mit Nachdruck.

Nein, sagte der Vogt, sie ist wahrlich eine arbeitsame, stille Frau. Gut, sagte Arner; sei morgen um neun Uhr auf dem Kirchhof; ich werde dich daselbst antreffen.

Da ging der Vogt fort, ganz erfreut über diese Rede – denn er dachte bei sich selber: das ist eine neue Milchkuh in meinen Stall – sann schon auf Ränke, dem Maurer das Geld, das er bei diesem Bau verdienen möchte, abzulocken; und schnell eilte er heim und nach des Maurers kleiner Hütte.

Es war schon dunkel, als er mit Ungestüm anpochte.

Lienhard und Gertrud saßen bei Tische; noch stand der Rest ihres Essens vor ihnen. Lienhard aber erkannte die Stimme des neidischen Vogts, erschrak, und schob das Essen in einen Winkel. Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er sich nicht fürchten, und daß er auf Arner vertrauen sollte; dennoch wurde er todblaß, als er dem Vogt die Türe öffnete. Dieser roch schnell wie ein gieriger Hund das verborgene Nachtessen, tat aber doch freundlich, und sagte nur lächelnd: Ihr laßt euch recht wohl sein, ihr Leute. So endlich ist's leicht, ohne das Wirtshaus zu sein; nicht wahr, Lienhard?

Dieser schlug die Augen nieder, und schwieg; aber Gertrud war kühner und sagte: Was befiehlt denn der Herr Vogt? Es ist ganz sonderbar, daß er einem so schlechten Hause näher als ans Fenster kömmt.

Hummel verbarg seinen Zorn, lächelte und sagte: Es ist wahr, ich hätte eine so gute Küche hier nicht erwartet; sonst hätte ich vielleicht mehr zugesprochen.

Das erbitterte Gertrud. Vogt, antwortete sie ihm, du riechst unser Nachtessen, und mißgönnst es uns. Du solltest dich schämen, einem armen Mann ein Nachtessen, das er liebt, und vielleicht im Jahr nicht dreimal hat, zu verbittern.

Es ist nicht so bös gemeint, antwortete der Vogt, immer noch lächelnd. Eine Weile darauf aber setzte er etwas ernsthafter hinzu: Du bist gar zu trotzig, Gertrud! Das steht armen Leuten nicht wohl an; du solltest wohl denken, ihr ginget mich vielleicht auch etwas an. Doch ich will jetzt nicht hievon anfangen. Ich bin deinem Manne immer gut, und wenn ich ihm dienen kann, so tue ich es. Davon kann ich Proben geben.

Gertrud. Vogt, mein Mann wird alle Tage in deinem Wirtshause zum Spiel und zum Trunke verführt, und dann muß ich daheim mit meinen Kindern alles mögliche Elend erdulden. Das ist der Dienst, den wir von dir zu rühmen haben.

Hummel. Du tust mir unrecht, Gertrud. Es ist wahr, dein Mann ist etwas liederlich, ich habe es ihm auch schon gesagt; aber in meinem Wirtshause muß ich in Gottes Namen einem jeden, der es will, Essen und Trinken geben. Das tut ja jedermann.

Gertrud. Ja, aber nicht jedermann droht einem unglücklichen, armen Mann mit den Rechten, wenn er nicht alle Jahre seine Schuld wieder doppelt groß macht.

Nun konnte sich der Vogt nicht mehr halten. Mit Wut fuhr er den Lienhard an: Bist du so ein Gesell, Lienhard, daß du solches von mir redest? Muß ich noch in meinen Bart hinein hören, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann um Ehr' und guten Namen bringen wollt? Hab' ich nicht jeweilen vor Vorgesetzten mit dir gerechnet? Gut, daß deine Zettel fein alle noch bei mir und in meinen Händen sind. Willst du mir etwa gar meine Anforderung leugnen, Lienhard?

Es ist ganz nicht die Rede hievon, sagte Lienhard: Gertrud sucht nur, daß ich ferner nicht neue Schulden mache.

Der Vogt besann sich schon wieder, milderte den Ton, und sagte: Das ist endlich nicht so gar übel. Doch bist du der Mann; sie wird dich nicht in ein Bockshorn hineinschieben wollen.

Gertrud. Nichts weniger, Vogt. Ich möchte ihn gern aus dem Bockshorn, darin er steckt, herausbringen; und das ist dein Buch, Vogt, und seine schönen Zetteln.

Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen, so ist er augenblicklich aus diesem Bockshorn, wie es du heißest.

Gertrud. Das wird er wohl tun können, wenn er nichts Neues mehr macht.

Hummel. Du bist stolz, Gertrud; es wird sich zeigen. Gelt, Gertrud, du willst lieber mit deinem Mann daheim allein bröselen, als ihm ein Glas Wein bei mir gönnen?

Gertrud. Du bist niederträchtig, Vogt; aber deine Rede tut mir nicht weh.

Hummel konnte diese Sprache nicht länger aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen sein müsse, das dieses Weib so kühn mache;, darum durfte er nicht seinen Mut kühlen, und nahm Abschied.

Hast du sonst was zu befehlen? sagte Gertrud.

Nichts, wenn es so gemeint ist, antwortete Hummel.

Wie gemeint? erwiderte Gertrud lächelnd, und sah ihm steif ins Gesicht. Das verwirrte den Vogt noch mehr, daß er sich nicht zu gebärden wußte. Er ging jetzt, und brummte bei sich selbst die Treppe hinunter, was doch das sein möchte.

Dem Lienhard war zwar nicht wohl bei der Sache, aber dem Vogt noch viel weniger.


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