Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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118.
Wie lange werden die Weiber noch denken und sagen: Mein Mann heißt Nabal, und Narrheit ist in ihm.1. Sam. 25, 25.

In einem solchen Zustande ist Lienhard, seitdem er vom Hummel wieder erlöst worden, niemals wieder heimgekommen. Er war fast außer Atem, und rief der Gertrud in die Küche um Wasser, welches sie ihm brachte. Er hatte die Augen fast außer dem Kopfe und feuerrot, das Haar über die Stirne herunter und das Kamisol umgekehrt am Leibe.

Der Wasserkrug fiel der Gertrud fast aus den Händen, als sie ihn so antraf. Um Gottes willen, was ist's? was ist dir begegnet? sagte sie, und stand mit klopfendem Herzen vor ihm.

Ach, es ist nichts, gar nichts! antwortete er, konnte aber fast nicht reden, nahm ihr den Wasserkrug hastig aus der Hand, und trank ihn fast ganz aus.

Gertrud. Um Gottes willen, es ist etwas begegnet. Rede, was ist es?

Lienhard. Nichts! weiß Gott, nichts als Geschwätzwerk. Sie hat so verfluchtes Zeug über unsere Kinder gesagt.

Gertrud. Wer? was? was für Geschwätzwerk?

Lienhard. Von der Schnabelgrithe.

Gertrud. Nur Geschwätzwerk von dieser, und du siehst so aus?

Lienhard. Es ist gewiß sonst nichts.

Gertrud. Es ist mir, ich sei im Schlaf. Weißt du auch, daß du das Kamisol umgekehrt anhast?

Lienhard sah jetzt auf sich selber herunter, und sagte: Es ist wahr, ich bin nicht schön in der Ordnung.

Gertrud. Ich möchte doch jetzt gerne bald wissen, was es gewesen, wenn du keinen Rausch hast.

Ich habe keinen Tropfen getrunken, antwortete Lienhard, und erzählte ihr dann die ganze Historie, redete aber noch immer wie im Fieber, und ging während des Erzählens noch zweimal in die Küche, um Wasser zu trinken.

Gertrud hörte ihm umständlich zu, und unterbrach ihn nicht, so lange er erzählte; aber sobald er fertig war, sagte sie zu ihm: Die Art und Weise, wie du gehandelt hast, erbaut mich gar nicht, und ich hätte dir etwas anderes zugetraut.

Lienhard. Wie was anderes?

Gertrud. Daß du dich bei so etwas Unwichtigem mehr beherrschen könntest!

Lienhard. Was, ist das etwas Unwichtiges?

Gertrud. Gesetzt, es sei nicht ganz unwichtig, so läßt es sich gar nicht entschuldigen, wie du dabei verfahren bist.

Lienhard. Warum das?

Gertrud. Ich möchte noch fragen: So tun, wie du getan hast, wenn man nicht gesunder und stärker ist, als du jetzt bist, heißt sich mutwillig vor der Zeit unter den Boden bringen.

Lienhard. Darin hast du recht. Das Herz klopft mir noch jetzt, und es ist mir, als wenn man mir Arme und Beine zerschlagen hätte.

Gertrud. Ach, es ist mir angst. Geh' doch ins Bett, Lieber, und siehe, daß du jetzt ein wenig schlafen kannst.

Lienhard. Ja, ich will eine Weile mich ins Bett legen.

Gertrud. Aber ein andermal beherrsche dich doch auch besser.

Lienhard. Ja, wenn ich es nur könnte!

Gertrud (mit Tränen in den Augen). Lieber, denke doch in solchen Fällen an mich und deine Kinder; und wenn du doch auch kannst, so spare uns in Gottes Namen auch einen alten Vater.

Lienhard (sie bei den Händen fassend und traurig). O du Liebe! ich weiß nicht, wie ich mich so vergessen und nicht daran denken kann, was ich dir und diesen Lieben schuldig bin. Will's Gott, will ich mich in Zukunft mehr beherrschen.

Tu' es doch, lieber Vater, sagte Gertrud.

Während dieses Gesprächs kam Lienhard ins Bett, und Gertrud tat die Fensterläden gegen die Sonne zu, damit es dunkel werde, und ihr Mann ruhiger schlafen könne. Nach einer Stunde erwachte er wieder, und sie fingen wieder an, über den Vorfall mit der Schnabelgrithe zu reden.

Gertrud. Auch in Beziehung auf den Junker bist du zu weit gegangen.

Lienhard. Warum das?

Gertrud. Du hast ihr ja eine Strafe auferlegt, als wenn du Herr im Lande wärest.

Lienhard. Du hast recht, ich habe auch an das nicht gedacht.

Gertrud. So wie er ist, glaube ich nicht, daß er es auf die hohe Achsel nehmen würde, wenn er es vernehmen sollte; aber man muß doch nie etwas sagen, wobei man nicht sicher ist, daß es nicht fehlen könne. Wenn ich du wäre, ich würde wieder mit der Frau reden, und den Befehl, daß sie vor allen Häusern abbitten solle, zurücknehmen.

Lienhard. Wenn ich mich nicht schämte, ich täte, was du sagst.

Gertrud. Was schämen, wenn man recht tut?

Lienhard. Soll ich gehen?

Gertrud. Du meinst es selber.

Lienhard. Und du auch?

Gertrud. Das glaube ich.

Lienhard. Ich mag doch fast gar nicht.

Gertrud. Lieber, überwinde dich, und ziehe die ganze Sache in Spaß.

Lienhard. Wenn ich das nur so leicht könnte!

Gertrud. Weißt du, was du tun kannst? Nimm eines von unsern jungen Kätzchen, und bringe es dem Gritheli zum Geschenk, damit sie sieht, daß unsere alte, gute Mauserin nicht der Teufel, sondern ein ehrliches, braves Haustier ist.

Das ist verzweifelt lustig, und muß so sein, sagte der Maurer, nahm auf der Stelle eines von ihren Jungen ins Fürfell, und ging wieder zu der Grithe, die ihn von ferne kommen sah. Diese erschrak mächtig, stellte sich etwas Erschreckliches vor, weil er schon wieder komme, und sprang, wie wenn man sie jagte, von dem Fenster aus der Stube zu ihrem Mann, der hinter dem Hause war, und den Zunamen Murrbär hatte, und rief ihm keuchend: Der Maurer ist schon wieder da!

Ich wollte, du hättest dein Maul, wo der Pfeffer wächst! sagte der Murrbär. Sie aber ließ ihn reden, und kroch eilends auf den Heuboden.


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