Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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61.
Der alte Mann leert sein Herz aus.

Ich bin jung gewesen, und bin alt geworden, und ich habe mich viel und oft umgesehen, wie es dem Frommen und dem Gottlosen auch gehe. Ich habe die Knaben meines Dorfes mit mir aufwachsen sehen; ich sah sie Männer werden, Kinder und Kindeskinder zeugen, und nun habe ich die von meinem Alter alle bis auf sieben zu Grabe begleitet. Gott, du weißt meine Stunde, wenn ich meinen Brüdern folgen soll! Meine Kräfte nehmen ab; aber mein Auge harret deiner, o Herr! Unser Leben ist wie eine Blume des Feldes, die am Morgen blühet, am Abend aber verwelket. O Herr, unser Herrscher! du bist gnädig und gut den Menschen, die auf dich trauen; darum hoffet meine Seele auf dich. Aber der Weg des Sünders führt zum Verderben. – Kinder meines Dorfes, o ihr Lieben, lasset euch lehren, wie es dem Gottlosen geht, damit ihr fromm werdet. Ich habe Kinder gesehen, die ihren Eltern trotzten, und ihre Liebe für nichts achteten; und allen, allen ist es übel gegangen am Ende. Ich kannte des unglücklichen Ulis Vater; ich habe mit ihm unter einem Dache gewohnt, und mit meinen Augen gesehen, wie der gottlose Sohn den armen Vater kränkte und schimpfte; und in meinem Leben werde ich es nicht vergessen, wie der alte, arme Mann eine Stunde vor seinem Tode über ihn weinte. Ich sah den bösen Buben bei seinem Begräbnisse lachen. Kann ihn Gott leben lassen, den Bösewicht? dachte ich. Was geschah? Er nahm ein Weib, das viel Gut hatte, und er war jetzt im Dorfe einer der Reichsten, und ging in seinem Stolz und in seiner Bosheit einher, als ob niemand im Himmel und niemand auf Erden über ihm wäre. Ein Jahr ging vorüber, da sah ich den stolzen Uli bei dem Begräbnis seiner Frau heulen und weinen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis auf den letzten Heller zurückgeben, und er war plötzlich wieder arm wie ein Bettler. In seiner Armut stahl er, und ihr wisset, welch ein Ende er genommen hat. Kinder, so sah ich immer, daß das Ende des Gottlosen Jammer und Schrecken ist. – Ich sah aber auch den tausendfachen Segen und Frieden in den stillen Hütten der Frommen. Es ist ihnen wohl bei dem, so sie haben. Bei Wenigem ist ihnen wohl, und bei Vielem sind sie genügsam. Arbeit in ihren Händen und Ruhe in ihrem Herzen, das ist das Teil ihres Lebens. Sie genießen froh das Ihrige, und begehren nicht, was ihrem Nächsten gehört. Der Hochmut plagt sie nicht, und der Neid verbittert ihnen ihr Leben nicht; darum sind sie immer froher und zufriedener und mehrenteils auch gesunder als die Gottlosen. Sie besitzen auch des Lebens Notwendigkeiten sicherer und ruhiger; denn sie haben ihren Kopf und ihr Herz nicht bei Bosheiten, sondern bei ihrer Arbeit und bei den Geliebten ihrer stillen Hütten. So ist ihnen wohl im Leben. Gott im Himmel sieht herab auf ihre Sorge und auf ihren Kummer, und hilft ihnen. – Kinder meines Dorfes, o ihr Lieben! ich sah viele fromme Arme auf ihrem Todbette, und ich habe nicht gefunden, daß einer, ein einziger von allen, in dieser Stunde sich über seine Armut und über die Not seines Lebens beklagt habe. Alle dankten Gott für die tausend Proben seiner Vatergüte, die sie in ihrem Leben genossen hatten. – O, Kinder meines Dorfes, werdet doch fromm, und bleibet einfältig und unschuldig! Ich habe gesehen, wie das schlaue, und arglistige Wesen einen Ausgang nimmt. Hummel und seine Gesellen waren weit schlauer als alle andern; sie wußten immer tausend Dinge, wovon uns andern nichts träumte. Das machte sie stolz, und sie glaubten, der Einfältigere sei nur darum in der Welt, daß er ihr Narr sei. Sie fraßen einige Zeit das Brot der Witwen und Waisen, und tobten und wüteten gegen die, so nicht ihre Kniee bogen vor ihnen. Aber ihr Ende hatte sich genähert. Der Herr im Himmel hörte der Witwen und der Waisen Seufzer. Er sah die Tränen der Mütter, die sie mit ihren Kindern weinten über die gottlosen Buben, die ihre Männer und Väter verführten und drängten; und der Herr im Himmel half dem Unterdrückten und dem Waisen, der keine Hoffnung mehr hatte, zu seinem Rechte zu gelangen.


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