Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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34.
So ein Unterricht wird verstanden, und geht ans Herz; aber es gibt ihn eine Mutter.

Aber, ihr Lieben, wie ist es diese Woche mit dem Rechttun gegangen?

Die Kinder sehen eines das andere an, und schweigen.

Mutter. Anneli, tatest du recht in dieser Woche?

Anneli (die Augen niederschlagend). Nein, Mutter, du weißt es wohl mit dem Brüderlein . . .

Mutter. Anneli, es hätte dem Kinde etwas begegnen können; es sind schon Kinder, die man so allein gelassen hat, erstickt. Und über das, denk' nur, wie es dir wäre, wenn man dich in eine Kammer einsperrte, und dich da hungern und dürsten und schreien ließe. Die kleinen Kinder werden auch zornig, und schreien, wenn man sie lange ohne Hilfe läßt, so entsetzlich, daß sie für ihr ganzes Leben elend werden können. Anneli, so dürfte ich, weiß Gott, keinen Augenblick mehr ruhig vom Hause weg, wenn ich fürchten müßte, du würdest mit dem Kinde nicht sorgfältig sein.

Anneli. Glaube mir es doch Mutter, ich will gewiß nicht mehr von ihm weggehen.

Mutter. Ich will es zum lieben Gott hoffen, du werdest mich nicht mehr so in Schrecken setzen.

Und Niklas, wie ist es dir in dieser Woche gegangen?

Niklas. Ich weiß nichts Böses.

Mutter. Denkst du nicht mehr daran, daß du am Montag das Gritteli umgestoßen hast?

Niklas. Ich habe es nicht mit Fleiß getan, Mutter.

Mutter. Ja, wenn du es noch gar mit Fleiß getan hättest! Schämst du dich nicht, das zu sagen?

Niklas. Es ist mir leid; ich will es nicht mehr tun, Mutter.

Mutter. Wenn du einmal groß sein, und so wie jetzt nicht Achtung geben wirst, was um dich her ist, so wirst du es mit deinem großen Schaden lernen müssen. Schon unter den Knaben kommen die Unbedachtsamen immer in Händel und Streit; und so muß ich fürchten, mein lieber Niklas, daß du dir mit deinem unbedachtsamen Wesen viel Unglück und Sorgen auf den Hals ziehen werdest.

Niklas. Ich will gewiß acht geben, Mutter.

Mutter. Tue es doch, mein Lieber; und glaube mir, dieses unbedachtsame Wesen würde dich gewiß unglücklich machen.

Niklas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es, und ich glaube es, und ich will gewiß acht geben.

Mutter. Und du, Lise, wie hast du dich in dieser Woche aufgeführt?

Lise. Ich weiß einmal nichts anders diese Woche, Mutter.

Mutter. Gewiß nicht?

Lise. Nein einmal, Mutter, so viel ich mich besinne; ich wollte es sonst gerne sagen, Mutter.

Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts weißt mit so viel Worten antwortest als ein anderes, wenn es recht viel zu sagen hat!

Lise. Was habe ich denn jetzt auch gesagt, Mutter?

Mutter. Eben nichts, und doch viel geantwortet. Es ist das, was wir dir tausendmal schon sagten: du seiest nicht bescheiden, du besinnest dich über nichts, was du reden dürfest; und müssest doch immer geredet haben. – Was hattest du gerade vorgestern dem Untervogt zu sagen, du wissest, daß Arner bald kommen werde?

Lise. Es ist mir leid, Mutter.

Mutter. Wir haben es dir schon oft gesagt, daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, reden sollest, insonderheit vor fremden Leuten; und doch tust du es immerfort. Wenn jetzt dein Vater es nicht hätte sagen dürfen, daß er es schon wisse, und wenn er so Verdruß von deinem Geschwätze gehabt hätte?

Lise. Es würde mir sehr leid sein; aber weder du noch er haben ein Wort gesagt, daß es niemand wissen soll.

Mutter. Ja, ich will es dem Vater sagen, wenn er heim kömmt. Wir müssen so zu den Worten, die wir in der Stube reden, allemal hinzusetzen: Das darf jetzt die Lise sagen bei den Nachbarn und beim Brunnen erzählen; aber das nicht, und das wieder wohl. So weißt du denn ordentlich und richtig, wovon du plappern darfst.

Lise. Verzeihe mir doch, Mutter; ich meinte es auch nicht so.

Mutter. Man hat dir für ein und allemal gesagt, daß du in nichts, was dich nicht angeht, plaudern sollst; aber es ist vergeblich. Dieser Fehler ist dir nicht anders abzugewöhnen als mit Ernst; und das erste Mal, daß ich dich wieder bei so unbesonnenem Geschwätz antreffe, werde ich dich mit der Rute abstrafen.

Tränen schossen der Lise in die Augen, da die Mutter von der Rute redete. Die Mutter sah es, und sagte zu ihr: Lise, die größten Unglücke entstehen aus unvorsichtigem Geschwätze, und dieser Fehler muß dir abgewöhnt sein.

So redete die Mutter mit allen, sogar mit dem kleinen Gritteli, zu dem sie sagte: Du mußt deine Suppe nicht mehr so ungestüm fordern; sonst laß ich dich ein andermal noch länger warten, oder ich gebe sie einem andern.

Nach allen diesem beteten die Kinder ihre gewöhnlichen Abendgebete und nach denselben das Samstaggebet, das Gertrud sie gelehrt hatte. Es lautet also:


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