Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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47.
Häusliche Sonntagsfreude.

Und nun verlasse ich dich eine Weile, Haus des Entsetzens! Mein Herz war mir schwer, mein Auge finster, meine Stirne umwölkt, und bang war es mir im Busen über deinen Greueln. Nun verlasse ich dich eine Weile, Haus des Entsetzens. Mein Auge erheitert sich wieder, meine Stirne entwölkt sich, und mein Busen atmet wieder unbeklommen und frei. Ich nähere mich wieder einer Hütte, in welcher Menschlichkeit wohnt.

Da heute am Morgen Lienhard und seine Frau zur Kirche gegangen waren, saßen ihre Kinder fromm und still in der Wohnstube beisammen, beteten, sangen, und wiederholten, was sie in der Woche gelernt hatten; denn sie mußten solches alle Sonntage des Abends der Gertrud wiederholen. Lise, das älteste, mußte allemal während der Kirche das kleine Gritteli versorgen, es aufnehmen, es trocknen, ihm seinen Brei geben, und das ist immer für Lise die größte Sonntagsfreude. Wenn sie das Kleine so aufnimmt und speist, so meint sie dann, sie sei auch schon groß. Wie sie dann die Mutter spielt, ihr nachäffet, das Kleine tausendmal herzt, ihm nickt und lächelt; wie das Kleine ihr wieder entgegen lächelt, seine Hände zerwirft, und mit den Füßen zappelt auf ihrem Schoße; wie es seine Lise bald bei der Haube nimmt, bald bei den kleinen Zöpfen, bald bei der Nase; dann wie es über dem bunten Sonntagshalstuch J–ä, J–ä macht, und Niklas und Enne ihm J–ä antworten; wie dann das Kleine Kopf und Augen herumdreht, den Ton sucht, den Niklas erblickt, und auch gegen ihn lacht; wie Niklas dann zuspringt, und das lachende Schwesterlein herzt: das alles ist schön! Wie dann Lise den Vorzug haben will, und allem aufbietet, daß das Liebe gegen sie lache; auch wie sie für dasselbe Sorge trägt, und seinem Weinen zuvorkömmt; wie sie ihm Freude macht, es bald in die Höhe hebt bis an die Bühne (Decke), bald wieder gleich lustig und sorgfältig hinunterläßt bis an den Boden; wie dann das Gritteli bei diesem Spiele jauchzet, auch wie sie Hände und Kopf dem Kind in den Spiegel hinein drückt; und dann endlich, wie es beim Anblicke der Mutter weit hinunter in die Gasse jauchzet, wie es ihr entgegennickt und lächelt, wie es seine beiden Händchen nach ihr ausstreckt, und nach ihr hängend fast überwälzt auf des Schwesterleins Arm: das alles ist wahrlich schön! Es ist die Morgenfreude der Kinder des Lienhards an den Sonntagen und an den heiligen Festen, und diese Freuden frommer Kinder sind wahrhaft schön vor dem Herrn, ihrem Gott. Er sieht mit Wohlgefallen auf die Unschuld der Kinder, wenn sie sich also ihres Lebens freuen, und er segnet sie, daß es ihnen wohl gehe ihr Lebenlang, wenn sie folgten und recht tun.

Gertrud war heute mit ihren Kindern zufrieden; denn sie hatten alles in der Ordnung getan, was ihnen befohlen war.

Es ist die größte Freude frommer Kinder auf Erden, wenn Vater und Mutter mit ihnen zufrieden sind.

Die Kinder der Gertrud genossen jetzt diese Freude. Sie drängten sich an den Schoß ihrer Eltern, riefen bald Vater, bald Mutter, suchten ihre Hände, hielten sich an ihren Armen, und sprangen an den Armen des Vaters und der Mutter an ihren Hals. Das war dem Lienhard und der Gertrud ein Labsal am Festtage des Herrn. So lange sie Mutter ist, ist es die Sonntagsfreude der Gertrud, die Freude über ihre Kinder und über ihre kindliche Sehnsucht nach Vater und Mutter. Darum sind ihre Kinder auch fromm und gut. Lienhard meinte heute, daß er so oft diese Freuden des Lebens sich selber entriß.

Die häuslichen Freuden des Menschen sind die schönsten der Erde, und die Freude der Eltern über ihre Kinder ist die heiligste Freude der Menschheit. Sie macht das Herz der Eltern fromm und gut; sie hebt die Menschheit empor zu ihrem Vater im Himmel. Darum segnet der Herr die Tränen solcher Freuden, und lohnet den Menschen jede Vatertreue und jede Muttersorge an ihren Kindern. Aber der Gottlose, der seine Kinder für nichts achtet, dem sie eine Last sind und eine Bürde; der Gottlose, der in der Woche vor ihnen flieht, und am Sonntag sich vor ihnen verbirgt; der Gottlose, der Ruhe sucht vor ihrer Unschuld und ihrer Freude, und der sie nicht leiden kann, bis ihre Unschuld und ihr Frohsinn dahin ist, bis sie wie er erzogen sind: der Gottlose, der das tut, stößt den besten Segen der Erde mit Füßen von sich weg. Er wird auch keine Freude erleben an seinen Kindern, und keine Ruhe finden vor ihnen.

In der Freude ihres Herzens redeten Lienhard und Gertrud mit ihren Kindern am heiligen Festtage von dem guten Vater im Himmel und den Leiden ihres Erlösers. Die Kinder hörten still und aufmerksam zu, und die Mittagsstunde ging schnell und froh vorüber, wie die Stunde eines Hochzeitsfestes. Da läuteten die Glocken zusammen, und Lienhard und Gertrud gingen nochmals zur Kirche.

Der Weg führte sie wieder bei des Vogts Haus vorbei, und Lienhard sagte zu Gertrud: Der Vogt sah diesen Morgen in der Kirche erschrecklich aus; in meinem Leben sah ich ihn nie so. Der Schweiß tropfte von seiner Stirne, da er zudiente. Hast du es nicht bemerkt, Gertrud? Ich sah, daß er zitterte, da er mir den Kelch gab.

Gertrud. Ich habe es nicht bemerkt.

Lienhard. Es ging mir ans Herz, wie der Mann aussah. Hätte ich es dürfen, Frau, ich hätte ihm überlaut zugerufen: Verzeihe mir, Vogt! Wenn ich ihm mit etwas zeigen könnte, daß ich es nicht böse meine, ich würde es gerne tun.

Gertrud. Lohne dir Gott deine Gesinnungen, Lieber! Es ist recht, wenn du Anlaß hast, dieses zu tun; aber des Rudis hungernde Kinder und noch andere schreien Rache über diesen Mann, und er wird dieser Rache gewiß nicht entrinnen.

Lienhard. Der Mann dauert mich; er ist höchst unglücklich. Ich sah schon lange mitten im Lärm seines Hauses, daß ihn nagende Unruhe plagt.

Gertrud. Mein Lieber, wer von einem stillen, eingezogenen, frommen Leben abläßt, dem kann es niemals wohl sein in seinem Herzen.

Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Leben deutlich erfahren und gesehen habe, so ist es dieses: was immer die gewalttätigen Anhänger des Vogts in seinem Haus ratschlagten, vornahmen, erschlichen oder erzwangen, alles dieses machte sie nie eine Stunde zufrieden und ruhig.

Unter diesen Gesprächen kamen sie zur Kirche, und wurden da sehr von dem Eifer gerührt, mit welchem der Pfarrer über die Geschichte des Verräters redete.


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