Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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116.
Die Dorfmeister suchen in ihrer Angst beim Teufel und seiner Großmutter Hilfe.

Den geängstigten Bauern aber gingen gar wunderliche Dinge in ihren Köpfen herum. Nicht nur einem kam es in den Sinn: wenn der Pfarrer oder der Junker oder nur einer von beiden tot wäre, so wäre die Gefahr für sie völlig vorüber. Doch blieb es dabei. Es ging keiner hin, sie tot beten zu lassen, und keiner schlug sie tot; aber sie hintereinander zu bringen, und ihnen so viel Arbeit und Verdruß zu machen als nur immer möglich, dahin zielten zuletzt ihre Entschlüsse; denn sie glaubten, auf diese Weise sie dennoch endlich von dem, was der Hummel etwa sagen möchte, abzulenken. Und es traf sich just, daß schon seit dem letzten Sonntag unter der Hand ein Gerücht ging, es sei an der letzten Gemeinde nicht natürlich zugegangen, und der Hühnerträger habe die Leute mit Teufelskünsten verblendet. Bisher hatte zwar alles, was ein wenig Vernunft hatte, und besonders die Vorgesetzten, über diesen Narreneinfall gelacht; aber jetzt schien er ihnen in den Kram zu dienen, und sie hoben an, ganz ernsthaft darüber zu reden, und machten durch hunderterlei Fragen jedem Dümmsten, den sie vor sich hatten, den Kopf darüber groß. Sie lobten den Hartknopf überlaut, daß er so standhaft sei, und, was wahr ist, sagen dürfe, wenn man ihn schon links und rechts und sogar auf der Kanzel darüber auslache. Dieser schmunzelte mit dem Munde, wenn er sich so loben hörte, wie wenn er Zucker darin hätte, und war vom Morgen bis an den Abend ohne Aufhören im Eifer, seine Meinung wider den Hühnerträger allenthalben auszubreiten. Und sie fand auch unter dem Schutze, den sie jetzt hatte, vielen Glauben; denn die Dorfmeister boten allem auf, dieses und ähnliches jetzt zum Trumpf und zum einzigen Gespräche zu machen, worüber sich junges und altes aufhielt.

Man zog sogar den Doktor Treufaug, des alten Meisters von Arnheim ehrlich gemachten Großsohn, ins Spiel, und machte ihm begreiflich, wie sein Brotkorb daran hänge, daß solche Teufelsgeschichten immer guten Glauben fänden, und daß es jetzt die beste Zeit sei, hierüber ein wenig den Mund aufzutun. Dieser ließ es sich nicht zweimal sagen. Wo er eine Klappertasche oder einen Hansdampf antraf, bot er ihm eine Prise Tabak, und fing an, mit ihm zu schwatzen.

Was meinet ihr? sagte er dann; was meinet ihr? wie hätte ich Haus und Hof zusammen gebracht, und einen so großen Bauch erstritten, wenn es keine so bösen Leute gäbe? Ja, wenn ich reden dürfte . . . Just, wo man solche Sachen am stärksten leugnet, gibt man mir die meisten Dublonen zu verdienen. Ich will es nicht geredet haben; aber wenn ich sagte, wie es in den Schlössern und Pfarrhäusern aussehe, ihr würdet Maul und Augen auftun. Erst vor acht Tagen hat mich so ein hoffärtiger Junker mit dem Hut unter dem Arme und dem Seckel in der Hand bitten müssen, ihm Ruhe zu schaffen. Sr. Gnaden Herr Sohn, der schon Jahr und Tag in einer papiernen Kutsche heimgekommen, erschien dem Alten richtig alle Fronfasten in seiner Kammer. Aber unsereiner muß schweigen; ihr könntet sonst merken, wer es ist.

Er wußte sogar den Leuten, ohne daß er es ausdrücklich sagte, einzuschwatzen, daß Arner ihn selber brauche, weil es unrichtig im Schloß stehe, seitdem der Alte tot sei.

Durch solche Mittel und Wege tat die Schelmenbande allen Narren, die jemals Gespensterartiges glaubten, das Maul auf. Man erzählte auch wieder viel von dem Haus, das der Hoorlacherin gehört hatte, und so ungeheurig war, daß jahrelang niemand darin wohnen konnte, bis es endlich der Vogt um einen Spottpreis gekauft, und dann den Teufel durch den Kapuziner Munchthal ins Tobel zu hinterst am Eichwalde verbannt hatte. Auch die Geschichte des Krähenbaums bei der Schmiede kam wieder in alle Gespräche; wie nämlich seit zehn Jahren alles Unglück das Haus verfolge, und wie der Schmied es alle Morgen, wenn der Vogel auf dem linken Ast, der kohlschwarz war, und darum auch Teufelsast hieß, absaß, sicher zum voraus wußte, daß vor Sonnenuntergang ein Unglück im Hause sein würde. Da half dann kein Beten, kein Frommsein, kein Rechttun. Wenn die Krähe am Morgen nüchtern das Maul auf dem Aste auftat, so war das Unglück beschlossen und vor Abend sicher im Hause. Das ist bei zehn Jahren in einem fort so gegangen, bis endlich der Schmied den Baum umhieb und verbrannte. Von der Zeit an sei Jahr und Tag kein Unglück mehr geschehen, außer daß der Schmied selber ein Narr wurde, und man ihn an Händen und Füßen anbinden mußte. Aber sonst war es, wie wenn das Glück zum Dache hineinregnete, seitdem die Krähe nicht mehr auf dem Teufelsast absitzen konnte.

Solche Geschichten waren jetzt allenthalben wieder der Text im Dorfe. Die guten und schlechten Mütter redeten wieder fleißig mit den Kindern vom schwarzen Manne, der sie holen würde, wenn sie nicht recht täten, und dergleichen.

Die junge Kienholzin, die aus Hoffart Jahr und Tag ungläubig war, und mit ihren Kindern über Gespenster und Hexen den Spaß trieb, kehrte jetzt den Spieß wieder um, und betete alle Morgen und Abende mit ihnen das Gebet wider die Nachtgespenster, bösen Geister und Hexen.

Die Kinder sagten zwar am ersten Abend: Mutter, warum müssen wir jetzt auch das Gebet wieder beten? Du sagtest ja erst vorgestern, die Leute seien Narren, die es tun.

Mutter. Es ist mir jetzt wieder anders geworden. Ihr müßt es wieder so fleißig beten als den Glauben und das Vaterunser.

Kinder. Gibt es denn jetzt wieder Gespenster, Mutter?

Mutter. Daß Gott erbarm'! ja freilich, die ganze Welt voll.

Kinder. Wie weißt du es jetzt gerade wieder, daß die ganze Welt voll davon ist?

Mutter. Ach, ihr guten Kinder! es gehen gar greuliche Sachen im Dorf vor. Betet nur fleißig eure Gebete, und behütet und besegnet euch fleißig, wenn ihr zum Haus hinausgeht, und nehmet ja keiner alten Frau etwas ab, es mag Obst sein oder Brot, oder was es will.

Auch das Katzenschwanzspiel, das die guten Kinder des Maurers und des Rudi spielten, wurde immer bedenklicher gemacht. Der Hartknopf sagte überlaut, es sei ein Teufelsspiel. Die Speckmolchin, ein Weib, dazu gemacht, Gift aus Honig zu ziehen, und aus Mücken Elefanten zu machen, traf des Rudis Grithe unglücklicherweise auf der Gasse an, und wollte jetzt auch so recht darauf kommen, was da hinter dem Katzenspiel, von dem man so verdächtig rede, doch stecke. Sie gab dem Kind freundlich die Hand, und sagte: Habt ihr euch gestern in des Maurers Haus brav lustig gemacht?

Kind. Das glaub' ich.

Frau. Gelt, Kind, es war eine schöne Katze in der Stube?

Kind. Ei ja!

Frau. Eine schwarze?

Kind. Eine kohlschwarze.

Frau. Sie hatte doch feurige Augen?

Kind. Ja, wenn sie unter der Bank war.

Frau. Was machte die Katze?

Kind. Nichts.

Frau. Saß sie immer still?

Kind. Nein, sie streichelte uns an den Beinen herum, und spulte; sie ist mir einmal fast auf den Schoß gesprungen.

Frau. Während dem Beten?

Kind. Meinet ihr, die Katzen wissen, wenn man betet?

Frau. Rührtet ihr sie an?

Kind. Ja doch!

Frau. Während dem Beten?

Kind. Ja, wenn sie uns zu nahe kam.

Frau. Mußtet ihr die Hände nicht zusammenhalten während dem Beten?

Kind. Wohl freilich.

Frau. Wie konntet ihr sie denn anrühren?

Kind. Mit den Beinen unter dem Tische.

Frau. Aber gelt, sie war kohlschwarz?

Kind. Nicht überall.

Frau. Aber doch fast; gelt, viel schwarz?

Kind. Ja.

Frau. Und sie hatte feurige Augen?

Kind. Hast es ja gehört, wenn sie unter der Bank war.

Aus diesem Gespräche, welches die Speckmolchin links und rechts mit Zusätzen noch vermehrte, und größern Narren, als sie war, ins Ohr raunte, war innert wenigen Stunden herausgebracht, das sei doch keine natürliche Katze gewesen. Wie ein Lauffeuer ging es im ganzen Dorfe herum, wie unrichtig es in des Maurers Hause stehe, und etliche Tage nacheinander war dieses Haus das einzige Gespräch des Dorfes.

Weder dem Maurer noch dem Rudi sagte aber lange niemand ein Wort von allem. Sie merkten nur, daß man sie allenthalben gar wunderlich ansah, und ihre Kinder kamen oft heim, weinten und klagten: wo sie hinkämen, sei es, als wenn man sie scheue, und die liebsten Kinder, mit denen sie immer gut gewesen, wollten nichts mehr mit ihnen haben, und man rufe ihnen zu den Fenstern hinaus und hinter den Zäunen: Katzenschwänzler und Katzenschwänzlerin.


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