Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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131.
Hundestreue, die eine Menschenempfindung veranlaßt.

So unterhielten sie sich die ganze Nacht hindurch, die aber, im Vorbeigang zu sagen, der Vögtin gar nicht wohl tat. Ich muß aber doch auch den Umstand, daß die ganze Nacht ihr alter Türk zu ihren Füßen lag, nicht vergessen. Er heulte in den ersten Tagen, da der Vogt gefangen war, ganz abscheulich vor dem Pfarrhofe, so daß es der ganzen Nachbarschaft angst war. Denn obgleich jedermann ihn kannte, und wußte, warum er heulte, so tönte es doch den Leuten so fürchterlich in die Ohren, daß ihrer viele sein Geheul gar nicht für ein Alltagsgeheul von einem Hunde, der seinen Meister sucht, sondern für Unglück weissagend erklärten. Und der Sigrist ließ in der zweiten Nacht den Hund der Vögtin wieder zum Haus führen, und sagte zum Wächter, der ihn brachte: Wenn das Geheul ein Unglück bedeutet, so ist es immer besser, der Hund heule, wo er zu Hause ist, und es treffe den, der es verdient, als die Kirche und das Pfarrhaus, welche wir alle miteinander wieder bauen müßten. Die Vögtin mußte von nun an den Hund Tag und Nacht anbinden, aber er kam jetzt fast gar nicht mehr aus dem Hundsstalle heraus, indem junges und altes, was seinem Meister gehässig war, ihn reizte, und Steine auf ihn warf. Er war nunmehr acht Tage lang so an der Kette; da aber jetzt der Vogt heim kam, ward er wie wild, schleppte den ganzen Hundsstall mit seinen Ketten von der Scheune zur Haustüre; und da man ihm das Haus auftat, und ihn abließ, sprang er mit beiden Füßen dem Vogt auf die Achsel, und war fast gar nicht wieder von ihm abzubringen. Da er endlich folgen mußte, legte er sich wieder, und hielt die rechte Tatze dem Vogt auf den Schoß, und entzog ihm kein Aug'.

Es freute den Vogt, daß sein Türk sich so anhänglich zeigte. Er streichelte ihn, und nahm seine Tatze in die Hände; aber fast in eben diesem Augenblicke dachte er daran, er sei mit keinem Menschen so treu gewesen, wie mit diesem Hund, und darum sei ihm auch kein Mensch so treu geblieben wie dieser Hund. Nun verschwand die Freude über die Treue seines Hundes; er seufzte jetzt, und ließ seine Tatze fahren.


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