Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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164.
Hier ist wahrhaftig ein Haus Gottes und eine Pforte des Himmels.

Ich saß auch da mitten unter den Leuten; aber ich kann es nicht ausdrücken und nicht beschreiben, wie uns allen zu Mute war, als sie nun ohnmächtig vor uns hinsank.

Geist des Herrn! der du wie ein Wind wehest, und wie ein Feuer brennest, die Herzen der Menschen zu lenken, du segnetest und heiligtest die Worte der Sterbenden, daß die Schar der Armen, die gestern noch über sie seufzten und Rache schrien und bitter redeten, jetzt für sie jammerten wie für eine Geliebte und ihre Liebe suchten wie die Liebe einer Schwester, und ihren Segen wünschten wie den Segen einer Mutter.

Geist des Herrn! der du Menschenworte segnest, daß sie werden wie Worte Gottes, ruhe ewig auf den Worten dieser Sterbenden, daß ihr Licht nicht erlösche, und ihre Kraft nicht verschwinde, so lange Reiche auf Erden drücken, und Arme auf Erden leiden werden! Meine Seele preise den Herrn, und mein Geist lobe seinen Namen! denn er hat der Sterbenden Barmherzigkeit erwiesen; er hat ihr ihre Sünden verziehen, und ihre Missetat ausgelöscht. Ihre Armen beten für sie, und die, so sie unterdrückt hat, weinen für sie; selbst die Tränen des Unmündigen auf dem Schoße der Mutter flehen für sie zum Herrn. Preise, meine Seele, den Herrn! und lobe, o mein Geist, seinen Namen! –

Alles Volk der Armen stand auf, und aus einem Munde tönte Verzeihung und Liebe; und der Pfarrer fiel mitten unter den Armen auf seine Kniee, hob seine Augen gen Himmel, und betete still, daß der Segenseindruck dieser Stunde nicht erlösche im Herzen der Armen, bis sie alle auch ihren Lauf vollendet haben.

Da er wieder aufstand, sagte Gertrud zu ihm, die Vögtin habe jetzt Ruhe nötig. Dieser sagte es den Armen, und sie gingen still einer nach dem andern fort.

Der Pfarrer fand den Treufaug in der Kammer so durch und durch bewegt, daß er ihm von freien Stücken sagte, er könne es nicht mehr aushalten, und er wolle in Gottes Namen niemanden mehr Arzneien geben. Er bat den Pfarrer, für ihn um Verzeihung zu bitten; und dieser, seines Zieles sich ganz zu versichern, lud den Doktor ein, daß er morgen auf das Mittagessen zu ihm komme.


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