Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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64.
Ein Pfarrer, der eine Gewissenssache behandelt.

Der Pfarrer antwortete: Wenn dir dein Fehler von Herzen leid ist, so zweifle nicht an Gottes Erbarmen.

Wüst. Darf ich, Herr Pfarrer? darf ich auch bei diesem meinem Fehler noch auf Gottes Erbarmen hoffen, und der Verzeihung der Sünden mich getrösten?

Pfarrer. Wenn Gott einen Menschen dahin gebracht hat, daß er aufrichtige Buße tut, und im Ernste nach der Verzeihung seiner Sünden seufzet, so hat er ihm den Weg zur Verzeihung und zur Erhaltung aller geistlichen Gnaden schon gezeigt. Glaube das, Wüst! und wenn deine Buße dir aufrichtig von Herzen geht, so zweifle nicht, sie wird Gott wohlgefällig sein.

Wüst. Aber kann ich es auch wissen, daß sie ihm wohlgefällig ist?

Pfarrer. Du kannst bei dir selber wahrlich wohl wissen, wenn du mit Ernst auf dich Achtung gibst, ob sie aufrichtig ist und ganz von Herzen geht. Und wenn sie aufrichtig ist, so ist sie Gott gefällig; das ist das einzige, was ich sagen kann.

Sieh, Wüst, wenn einer dem Nachbar den Grund vom Acker weggepflügt hat, und es reut ihn, und er geht, ohne daß der Nachbar es weiß, ohne daß er es fordert, für sich selber und im stillen, und pflügt den Grund dem Nachbar wieder an seinen Acker, und tut eher ein übriges als zu wenig, so muß ich denken, es sei ihm Ernst mit seiner Reue. Gibt er ihm aber das Seinige gar nicht oder nicht ganz zurück; braucht er im Zurückgeben Vorteil; sorgt er nur, daß ihm der Diebstahl nicht auskomme; ist es ihm nur um sich selbst und nicht um seinen Nachbar zu tun, dem er unrecht getan hat: so sind seine Reue und sein Zurückpflügen ein Tand, mit welchem der Tropf sich selber betört. – Wüst, wenn du in deinem Herzen nichts suchest, und nichts wünschest, als daß aller Schaden, den deine böse Tat verursacht, und alle Aergernis, das sie angerichtet hat, aufhöre und wieder gut werde, und daß dir Gott und Menschen verzeihen; wenn du nichts anders wünschest, wenn du von Herzen gern alles leidest und tust, um deinen Fehler so viel möglich wieder gut zu machen: so ist deine Buße gewiß aufrichtig, und dann zweifle nicht, daß sie Gott nicht gefällig sei.

Wüst. Herr Pfarrer, ich will gerne leiden und tun, was ich auf Gottes Erdboden tun kann, wenn mir nur dieser Stein von dem Herzen wegkömmt. Wie er mich drückt, Herr Pfarrer! Wo ich gehe und stehe, zittere ich über dieser Sünde.

Pfarrer. Fürchte dich nicht! Gehe nur einfältig, gerade und redlich in deinem Unglücke zu Werk, so wird es dir gewiß leichter werden.

Wüst. O wenn ich nur das hoffen darf, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Fürchte dich nicht, und traue auf Gott! Er ist der Gott des Sünders, der ihn sucht. Tue nur, was du kannst, gewissenhaft und redlich. Das größte Unglück, das aus deinem Eid entstanden ist, sind die Umstände des armen Rudi, der dadurch in ein entsetzliches Elend geraten ist; aber ich hoffe, der Junker werde, wenn du ihm die Sache bekennen wirst, dann selber helfen, daß der Mann in seinem Elende getröstet werden könne.

Wüst. Eben der arme Rudi, eben der ist es, der mir immer auf dem Herzen liegt! Herr Pfarrer, meint Ihr, der Junker könne ihm auch wieder zu seiner Matte helfen?

Pfarrer. Gewiß weiß ich es nicht. Der Vogt wird freilich alles, was er kann, anbringen, dein jetziges Zeugnis verdächtig zu machen; aber der Junker wird hingegen auch alles tun, was er kann, dem unglücklichen Manne zu dem Seinigen zu verhelfen.

Wüst. Wenn es ihm nur auch gerät!

Pfarrer. Ich wünsche es von Herzen, und hoffe es wirklich; aber es mag auch dem Rudi hierin gehen, wie es will, so ist es um deiner selbst und um der Ruhe deines Herzens willen gleich notwendig, daß du alles dem Junker offenbarest.

Wüst. Ich will es ja gerne tun, Herr Pfarrer.

Pfarrer. Es ist der gerade Weg, und es freut mich, daß du ihn so willig gehen willst; es wird dir Ruhe und Friede in dein Herz bringen. Aber freilich wird dir das Bekenntnis Schimpf und Schande und Gefängnis und schweres Elend zuziehen.

Wüst. O Herr Pfarrer, das ist alles nichts gegen den Schrecken der Verzweiflung und gegen die Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnädig sein werde.

Pfarrer. Du siehst die Sache in deinem Unglücke so redlich und vernünftig an, daß ich wahre Freude daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir so viel gute Gedanken und so viel Stärke zu guten und rechtschaffenen Entschlüssen gegeben hat, daß er diese Gnade dir ferner schenken wolle, so bist du auf einem guten Wege, und wirst, will's Gott, alles, was auf dich wartet, mit Demut und mit Geduld ertragen können. Was dir immer begegnen wird, so zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlassen.

Wüst. Ach Gott, Herr Pfarrer, wie Ihr auch so gut und liebreich seid mit einem so schweren Sünder!

Pfarrer. Gott selber ist in seinem Tun gegen uns arme Menschen nur Schonung und Liebe, und ich würde wohl ein unglücklicher Knecht meines guten Gottes und Herrn sein, wenn ich in welchem Falle es immer wäre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und schmälte.

So väterlich redete der Pfarrer mit dem Wüst, der vor ihm in Tränen zerfloß, und jetzt lange nichts sagte. Der Pfarrer schwieg jetzt auch eine Weile; Wüst aber fing wieder an und sagte: Herr Pfarrer, ich habe noch etwas anzubringen.

Pfarrer. Was denn?

Wüst. Ich bin seit dem Handel dem Vogt noch acht Gulden schuldig. Er sagte zwar vorgestern, er wolle die Handschrift zerreißen; aber ich will nicht, daß er mir etwas schenke; ich will ihn bezahlen.

Pfarrer. Du hast recht; das muß unumgänglich sein, noch ehe du dem Arner die Sache entdeckst.

Wüst. Ich habe unten im Hause einen Bündel. Es ist mein Sonntagsrock und noch etwas darin, das zusammen wohl acht Gulden wert ist. Ich muß in Gottes Namen die acht Gulden entlehnen; und ich habe gedacht, Ihr zürnet es nicht, wenn ich Euch bitte, daß Ihr mir sie gegen dieses Pfand vorstrecket.

Pfarrer. Ich nehme nie von jemandem Sicherheit, und oft muß ich so etwas abschlagen, so wehe es mir auch tut; aber in deinem Falle schlage ich es nicht ab. Sogleich gibt er ihm das Geld, und sagt: Trage es alsobald zum Vogt, und deinen Bündel, den nimm nur wieder mit dir heim.


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