Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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44.
Geschichte eines Menschenherzens während des Nachtmahls.

Da erzählte er der Frau, wie er heute mit gutem, versöhntem Herzen zur Kirche gegangen sei, wie er auch in seinem Stuhle Gott um Verzeihung seiner Sünden gebeten habe, aber da über die Predigt des Pfarrers toll geworden sei, und seither keinen guten Gedanken mehr habe hegen können; auch wie ihm erschreckliche und greuliche Dinge während des Nachtmahls zu Sinn gekommen seien.

Ich konnte, so sagte er zur Frau, ich konnte während des Nachtmahls nicht beten und nicht seufzen. Mein Herz war mir wie ein Stein; und da mir der Pfarrer das Brot gab, so sah er mich an, daß es nicht auszusprechen war. Nein, ich kann es nicht aussprechen, aber auch nicht vergessen, wie er mich ansah. Wenn ein Richter einen armen Sünder dem Rad und dem Scheiterhaufen übergibt, und eben über ihn den Stab bricht – er kann ihn nicht so ansehen. Vergessen kann ich es nicht, wie er mich ansah. Ein kalter Schweiß floß über meine Stirne, und meine Hand zitterte, da ich von ihm das Brot nahm. Und da ich es gegessen hatte, übernahm mich ein wütender, schrecklicher Zorn über den Pfarrer, daß ich mit meinen Zähnen knirschte, und ihn nicht mehr ansehen durfte. Frau, ein Abscheulicheres stieg mir dann nach dem andern ins Herz. Ich erschrak über diese Gedanken, wie ich bei großen Wetterstrahlen erschrecke; aber ich konnte ihrer nicht los werden. Ich zitterte vor dem Taufstein,In Bonnal gehen die Kommunikanten zum Taufstein, und empfangen da vom Pfarrer das Brot und von den Dorfvorgesetzten den Kelch. daß ich den Kelch vor Schauer und Entsetzen fast nicht halten konnte. Da kam Joseph in zerrissenen Stiefeln, und schlug seine Schelmenaugen vor mir zu Boden. Und meine drei Taler – wie es mir durch Leib und Seele schauderte, der Gedanke an meine drei Taler! Dann kam Gertrud, hub ihre Augen gen Himmel und dann auf den Kelch, als ob sie mich nicht sähe, als ob ich nicht da wäre. Sie haßt und verflucht mich und richtet mich zugrunde; und sie konnte tun als ob sie mich nicht sähe, als ob ich nicht da wäre. Dann kam der Maurer, sah mich so wehmütig an, als ob er aus tiefem Herzensgrunde zu mir sagen wollte: Verzeih mir, Vogt! – er, der mich, wenn er könnte, an den Galgen bringen würde. Dann kam auch Schabenmichel, blaß und erschrocken wie ich, und zitternd wie ich. Denke, Frau, wie mir bei dem allem zu Mute war. Ich fürchtete immer, auch Hans Wüst komme noch. Dann hätte ich es nicht ausgehalten; der Kelch wäre mir aus der Hand gefallen; ich selbst, ich würde gewiß zu Boden gesunken sein. Ich konnte mich fast nicht mehr auf den Füßen halten; und als ich in den Stuhl zurückkam, überfiel mich ein Zittern in meinen Gliedern, daß ich beim Singen das Buch nicht in den Händen halten konnte. Und bei allem kam mir immer in den Sinn: Arner, Arner ist an all diesem schuld; und Zorn und Wut und Rache tobten in meinem Herzen während der Stunde meines Dienstes. Woran ich in meinem Leben nie dachte, das kam mir während des Nachtmahls in den Sinn. Ich darf es fast nicht sagen; es schauert mich, es nur zu denken. Es kam nur in den Sinn, ich wollte ihm den großen Markstein auf dem Berg über den Felsen hinunterstürzen; es weiß den Markstein niemand als ich.


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