Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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50.
Unarten und böse Gewohnheiten verderben dem Menschen auch die angenehmen Stunden, in denen er etwas Gutes tut.

Lise geht indessen allgemach in ihrem Schritt ins obere Dorf zu des Reuti-Marxen Betheli. Dieses stand eben am Fenster. Lise winkt ihm, und das Betheli schleicht aus der Stube zu ihm heraus; der Vater aber, der es merkt, schleicht ihm nach, und versteckt sich hinter das Tenntor. Die Kinder vor dem Tenntor denken an keinen Vater, und schwätzen nach Herzenslust.

Lise. Du, Betheli, ich habe dir da Brot.

Betheli (zitternd die Hand danach ausstreckend). Du bist gut, Lise, es hungert mich; aber warum bringst du mir jetzt Brot?

Lise. Weil du mir lieb bist, Betheli. Wir haben jetzt genug Brot; mein Vater muß die Kirche bauen.

Betheli. Der meinige auch.

Lise. Ja, aber der deinige ist nur Handlanger.

Betheli. Das ist gleichviel, wenn es nur Brot gibt.

Lise. Habt ihr großen Hunger leiden müssen?

Betheli. Ach, wenn es nur jetzt besser wird!

Lise. Was habt ihr zu Mittag gehabt?

Betheli. Ich darf es dir nicht sagen.

Lise. Warum nicht?

Betheli. Wenn es der Vater erfahren würde, er würde mir . . .

Lise. Ich würde es ihm gewiß gleich sagen.

Das Betheli nimmt nun ein Stück ungekochte, weiße Rüben aus dem Sack, und sagt: Da siehe!

Lise. Herr Jesus! sonst nichts?

Betheli. Nein, weiß Gott, jetzt schon zwei Tage lang.

Lise. Und du darfst es niemanden sagen, und niemanden um etwas bitten?

Betheli. Ja, wenn er nur wüßte, was ich dir gesagt habe, es würde mir schön gehen.

Lise. Iß doch das Brot, ehe du wieder hinein mußt.

Betheli. Ja, ich will; ich muß bald wieder hinein, sonst fehlt es.

Es fängt an zu essen, und eben öffnet der fromme Marx ab der Reuti das kleinere Tenntürlein, und sagt: Was issest du da, mein Kind? Sein Kind worget und schluckt, über den lieben Vater ganz erschrocken, den ungekauten Mundvoll hinunter, und sagt: Nichts, nichts Vater.

Marx. Ja nichts, wart' nur! Und du Lise . . . es ist mir kein Gefallen, wenn man meinen Kindern im geheimen Brot gibt, damit sie erzählen, was man im Hause esse oder trinke, und dabei so gottlos lügen. – Du gottloses Betheli! aßen wir nicht einen Eierkuchen zu Mittag?

Lise zieht jetzt so geschwind wieder ab, als es allgemach daher gekommen war; das Betheli aber nimmt der liebe Vater mit wildem, zornigem Blick am Arm in die Stube, und Lise hört es weit vom Hause weg noch schreien.

Enne trifft den Heireli unter seiner Haustüre an, und sagt ihm: Willst du Brot?

Heireli. Ja, wenn du hast.

Enne gibt es ihm; er dankt und ißt, und Enne geht wieder fort.

Der Jonas schlich um des Schabenmichels Haus herum, bis Bäbeli ihn sah, und herabkam.

Bäbeli. Was machst du da, Jonas?

Jonas. Ich möchte gern etwas Lustiges machen.

Bäbeli. Ich will mich mit dir lustig machen, Jonas.

Jonas. Willst du tun, was ich will, Bäbeli? Es geht dann gewiß lustig.

Bäbeli. Was willst du denn machen?

Jonas. Du mußt den Mund auftun und die Augen zu.

Bäbeli. Ja, du tust mir etwas Garstiges in den Mund.

Jonas. Nein, das tue ich dir nicht, Bäbeli, bei meiner Treue nicht!

Bäbeli. Nu – aber sieh, wenn du mich anführst!

Es tut den Mund auf und die Augen nur halb zu.

Jonas. Recht zu mit den Augen! sonst gilt es nicht.

Bäbeli. Ja; aber wenn du ein Schelm bist . . .

Es tut jetzt die Augen ganz zu. Flugs schiebt ihm Jonas das Brot in den Mund, und läuft fort. Das Bäbeli aber nimmt das Brot aus dem Mund, und sagt: Das ist lustig! sitzt dann nieder und ißt.


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