Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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152.
Es war seine Speise, daß er höre und tue den Willen seines Vaters im Himmel.

Beim Mittagessen ließ Arner den Renold zu sich ins Pfarrhaus kommen, und bat ihn, ihm die Geschichte des Bambergers weitläufig zu erzählen.

Es entfiel dem Renold eine Träne, da der Junker dieses forderte; denn der Bamberger war ihm von Jugend auf lieb gewesen, und er konnte ihm dieses Opfer der Wehmut nicht vorenthalten. Dann erzählte er, wie der Bamberger von Kindsbeinen auf so grad und treu gewesen sei, daß er deswegen hundertmal für einen Narren gehalten worden sei; daß er aber doch bis in sein fünfunddreißigstes Jahr still, ruhig und ungekränkt gelebt habe, in welchem Jahre er von dem alten Junker sel. zum Vorgesetzten gemacht worden sei. Von dieser Zeit an habe er keinen Augenblick mehr in Friede und Ruhe leben können, und sei immer mit allen Vorgesetzten im Streit gewesen, weil er nie zu etwas, das nicht den geraden Weg ging, Hand bieten und ja sagen wollte. Besonders sei der Hummel wie wütend hinter ihm gewesen, habe ihm von allen Seiten her allen nur erdenklichen Verdruß und Herzeleid angetan, und es so weit getrieben, daß sogar die Schloßdiener auf desselben Anstiften ihren Hunden den Namen Bamberger gegeben hätten, um ihn in allen Ecken zum Gespötte zu machen. Er erzählte weitläufig, wie das alles ihn zuletzt so weit heruntergebracht habe, daß er Haus und Hof verlassen und ins Kaiserliche habe ziehen müssen, wo er erst vor ein paar Jahren in Armut gestorben sei; wie er aber ein paar Wochen vor seinem Tode durch einen Landsmann noch habe heimsagen lassen, er wollte lieber unter den Türken sterben als zurückkommen, so lange es keine bessere Ordnung gebe.

Der Junker redete hernach auch wegen des Hummels mit dem Renold. Dieser sagte unverhohlen: das Uebel sei vor dem Vogt schon eingewurzelt gewesen; und wenn im Schlosse Ordnung gewesen wäre, so wäre es mit ihm gekommen, wie mit hundert andern Müßiggängern; er hätte entweder fort aus dem Lande gehen müssen, oder die Not hätte ihn beten und arbeiten gelehrt. Er sagte noch mehr; und der Junker, obgleich es ihm fast das Herz zerschnitt, ließ ihn reden, denn er sah, daß er die Wahrheit sagte.

Der Junker ließ sogar auch den Vogt eine Weile vor sich kommen, und der Renold drückte ihm freundlich die Hand, tröstete und ermunterte ihn. Das Gleiche taten auch der Junker und der Pfarrer.

Da es nun bald drei Uhr war, bat der Renold den Junker, er möchte den sechzehn Männern das Loswerfen schenken, oder eher ihn auch unter sie stellen, damit sie keinen Groll gegen ihn faßten. Auch der Vogt bat für sie, und sagte die merkwürdigen Worte: Sie sind jetzt auf ihre Strafe nicht vorbereitet wie ich, und werden darüber nur wütend werden. Der Junker dachte einen Augenblick nach, was er tun wollte; dann sagte er: Ich will es ihnen auf euer Fürwort schenken. Und der Renold und der Vogt dankten ihm herzlich.

Ueber diesen Gesprächen hatte Arner sein Essen beinahe ganz vergessen. Er war beladen vom Gefühle des Guten, das im Innern der Menschen, die so tief gefallen waren, noch walte, nahm den Pfarrer bei der Hand, und ging noch einen Augenblick mit ihm in den Garten. Sie redeten noch miteinander darüber, wie gleich die Menschen einander seien, und leicht der beste werden könne, was der schlimmste ist, und der schlimmste, was der beste ist. Und der Pfarrer sagte zum Junker: Ich will es ewig nicht vergessen, daß ich selber auf Wegen gewandelt bin, auf denen ich hätte werden können, was der Vogt geworden ist. Ja, lieber Junker, damals, da ich vier Jahre ohne Brot, ohne Verdienst und ohne Hilfe herumirrte, und wie ein Bettler vor das Schloß Ihres Großvaters kam, lernte ich, was der Mensch ist, und was er werden kann.

Der Junker umarmte jetzt den Pfarrer; dieser aber sagte nach einer Weile, wie in einer Art von Entzückung: Wir alle trinken an der Quelle des Elendes, die diesen Mann verheeret hat; und ein Gott ist's, der den einen früher, den andern später von dem Gift dieser Quelle heilet. Ihr Gift selbst wird dem einen ein Geruch des Lebens zum Leben, dem andern aber ein Geruch des Todes zum Tode; und wenn wir nicht auf jenes Leben hofften, so wäre der Zustand von Millionen Menschen, welche unter Umständen leben, die sie fast unwiderstehlich und unwiderbringlich ins Verderben stürzen, mit der Gerechtigkeit Gottes nicht zu vereinbaren, und der Mensch wäre die elendeste unter allen Kreaturen.

Ja, lieber Herr Pfarrer, sagte der Junker, wir wollen immer auf jenes Leben hoffen. Aber wenn wir Menschen sind, und Menschen bleiben wollen, so müssen wir es mit dem armen Volke der Erde, das wir Verbrecher heißen, anders anfangen, und ihre Besserung und Rettung als die erste Angelegenheit der Menschheit betrachten.

Das war das letzte Wort Arners, das er zum Pfarrer sagte, ehe er wieder an die Gemeinde ging.


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