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Hundertundsiebenundfünfzigster Brief.
Zachi an Usbek in Paris.

O Himmel! Ein Barbar hat mich beschimpft, beschimpft selbst durch die Art der Bestrafung! Er hat mir die Schmach jener Züchtigung angethan, deren Beginn ein Beleidigung der Schamhaftigkeit ist; jener Züchtigung, die der tiefsten Erniedrigung gleichkommt; jener Züchtigung, durch die man, sozusagen, wieder zum unerzogenen Kind wird.

Im ersten Augenblick war meine Seele niedergeschmettert unter der Schande; aber sie kam wieder zum Bewusstsein und fing an, sich zu entrüsten, als die Gewölbe meines Zimmers von meinem Geschrei wiederhallten. Man hat es gehört, wie ich den elendesten aller Menschen um Gnade anflehte und sein Erbarmen anrief, je unerbittlicher er sich zeigte.

Seit jener Zeit hat seine freche und sklavische Seele sich übermütig über die meinige erhoben. Seine Gegenwart, seine Blicke, seine Worte sind lauter Qualen, die mich zu Boden drücken. Bin ich allein, so habe ich wenigstens den Trost, mich auszuweinen; aber sobald ich seiner ansichtig werde, gerate ich in Wut; und da sie ohnmächtig ist, versinke ich in Verzweiflung.

Der Tiger wagt Dich als den Urheber aller dieser Barbareien hinzustellen. Er möchte mich meiner Liebe berauben und selbst die Gefühle meines Herzens entweihen. Wenn er den Namen dessen vor mir ausspricht, den ich liebe, so finde ich keine Klagen mehr, und nur der Tod bleibt mir übrig.

Ich habe Deine Abwesenheit ertragen und meine Liebe bewahrt durch die Kraft meiner Liebe. Die Nächte, die Tage, ein jeder Augenblick gehörte Dir. Meine Liebe war mein Stolz, und wegen der Deinigen wurde ich hier geachtet. Aber jetzt … Nein, diese Erniedrigung kann ich nicht länger ertragen. Wenn ich unschuldig bin, so kehre zurück, um mich zu lieben; kehre zurück, wenn ich schuldig bin, damit ich zu Deinen Füßen den Geist aufgebe.

Im Serail zu Ispahan, am 2. des Mondes Maharram, 1720.



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