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Einundfünfzigster Brief.
Nargum, persischer Gesandter in Moskau; an Usbek, in Paris.

Ich erfahre durch Briefe aus Ispahan, daß Du Persien verlassen hast und augenblicklich in Paris verweilst. Warum erhalte ich diese Nachrichten über Dich von anderen, anstatt von Dir selbst?

Nach dem Willen des Königs der Könige befinde ich mich nun schon seit fünf Jahren in diesem Lande, und ich habe hier mehrere wichtige Verträge zustande gebracht.

Wie Du weißt, ist der Czar der einzige unter den christlichen Fürsten, dessen Interessen mit denen Persiens verwandt sind, weil er gleich uns ein Feind der Türken ist.

Sein Reich übertrifft das unsrige an Größe; denn von Moskau bis zum entferntesten Ort in seinen Staaten an der Grenze von China rechnet man zweitausend Meilen.

Er ist unbeschränkter Herr über Leben und Eigentum seiner Unterthanen, welche mit Ausnahme von vier Familien samt und sonders Sklaven sind. Der Statthalter der Propheten, der König der Könige, dessen Fußschemel der Himmel ist, übt seine Macht nicht furchtbarer aus.

Wenn man das schreckliche Klima von Moskau betrachtet, so möchte man nie glauben, daß es eine Strafe sein könnte, von dort verbannt zu werden; und doch wird ein Großer nach Sibirien geschickt, wenn er in Ungnade fällt.

Wie uns das Gesetz unseres Propheten den Genuß des Weines verbietet, so verbietet ihn das Gesetz des Fürsten den Moskowiten.

Die Art, wie sie ihre Gastfreundschaft bezeigen, ist nichts weniger als persisch. Jedem Fremden, welcher in ein Haus tritt, führt der Ehemann sofort seine Frau entgegen, und der Gast giebt ihr einen Kuß. Das gilt als eine Höflichkeit gegen den Mann.

Obwohl sich die Väter im Heiratskontrakt ihrer Töchter gewöhnlich ausbedingen, daß der Gatte sie nicht auspeitschen darf, sollte man es doch kaum glauben, wie gern die Moskowitinnen sich prügeln lassen; es ist ihnen unfaßlich, wie sie das Herz ihres Mannes besitzen können, wenn er sie nicht nach Gebühr mit Schlägen traktiert. Verabsäumt er das letztere, so wird es als ein Beweis unverzeihlicher Gleichgültigkeit aufgefaßt. Lies nur den folgenden Brief, welchen eine Russin kürzlich an ihre Mutter geschrieben hat:

»Meine liebe Mutter!

Ich bin die unglücklichste Frau von der Welt. Ich habe alles gethan, um mir die Liebe meines Mannes zu erwerben; aber es war ganz vergeblich. Gestern hatte ich tausenderlei im Hause zu schaffen; aber ich ging aus und kam den ganzen Tag nicht wieder heim. Als ich zurückkam, dachte ich, er würde mich tüchtig durchprügeln; aber er schwieg ganz still. Da wird doch meine Schwester ganz anders behandelt; alle Tage schlägt ihr Mann sie braun und blau. Sie darf keine Mannsperson ansehen, ohne daß er sie mit einem Schlage zu Boden streckte. Aber freilich, sie heben sich auch sehr lieb und leben miteinander im glücklichsten Frieden.

Das macht sie auch so stolz. Aber lange werde ich ihr keine Ursache mehr geben, mich zu verachten. Ich habe mir vorgenommen, es um jeden Preis dahin zu bringen, daß mein Mann mich lieben soll. Ich werde seine Wut so lange reizen, bis er es unmöglich findet, mir seine Liebesbeweise zu versagen. Es soll nicht heißen, daß ich nicht geprügelt werde und im Hause lebe, ohne daß man an mich denkt. Bei dem kleinsten Nasenstüber, den er mir versetzt, will ich aus Leibeskräften schreien, damit die Leute denken, daß es ordentlich bei uns zugeht; und ich glaube wirklich, wenn ein Nachbar mir zu Hilfe käme, so würde ich ihn erwürgen. Ich bitte Dich inständigst, meine liebe Mutter, führe es doch meinem Manne recht ernstlich zu Gemüte, wie unwürdig er mich behandelt. Wie anders machte es mein Vater, dieser brave Mann! Ich denke noch daran, wie ich als kleines Mädchen manchmal meinte, er liebe Dich ein bißchen gar zu sehr. Ich umarme Dich, meine liebe Mutter.«

Die Moskowiten dürfen das Reich nicht verlassen, selbst nicht zum Zwecke einer Reise. So sind sie durch die Gesetze des Landes vom Verkehr mit anderen Nationen ausgeschlossen, und infolge davon haben sie ihre alten Sitten mit um so größerer Zähigkeit bewahrt, als sie es gar nicht für möglich hielten, daß man auch andre haben könne.

Der Fürst, welcher jetzt den Thron einnimmt, hat jedoch alles anders machen wollen. Wegen ihrer Bärte Die Einwohner von Astrachan wurden durch ein Edikt Peters des Großen gezwungen, sich ihre langen Bärte abzuschneiden; ebenso mußten diejenigen, welche in die Städte kamen, ihre langen Kaftans bis auf die Kniee verkürzen. Beides wurde als Tyrannei betrachtet, und dafür erklärt es auch Montesquieu (Esprit des lois, XIX, 14). hat er große Streitigkeiten mit ihnen gehabt, und nicht weniger hitzig haben die Geistlichen und Mönche ihre Unwissenheit gegen ihn verfochten. Die russischen Mönche widersetzten sich mit aller Macht der Einführung des Buchdrucks und verbrannten die ersten Druckpressen.

Er hat es sich in den Kopf gesetzt, die Künste in Flor zu bringen, und versäumt nichts, um in Europa und Asien den Ruhm seines Volkes zu verbreiten, welches bisher vergessen und fast einzig sich selber bekannt war.

Ruhelos und in steter Erregung durchirrt er das weite Gebiet seiner Staaten und hinterläßt überall Spuren von der Strenge seines Wesens.

Er verläßt sie, als wären sie zu klein, ihn zu umfassen, und sucht in Europa andere Provinzen und neue Königreiche.

Sei umarmt, mein lieber Usbek. Ich bitte Dich dringlich um Nachricht.

Moskau, am 2. des Mondes Chalval, 1713.



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