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Hundertundzehnter Brief.
Rica an ***.

Die Universität von Paris ist die älteste, die uralte Tochter der Könige von Frankreich; denn sie zählt schon über neunhundert Jahre. Man will in der von Karl dem Großen eingerichteten Hofschule, welche unter ihm die berühmteste gelehrte Bildungsanstalt war, die Anfänge der Universität von Paris erblicken; doch verlegen andere die Gründung der letzteren in die Regierungszeit Ludwigs VII. Daher ist sie auch bisweilen etwas schwachsinnig.

Wie mir erzählt wurde, hat sie vor nicht langer Zeit mit einigen Gelehrten einen hitzigen Strauß wegen des Buchstaben Q Dies bezieht sich auf Petrus Ramus, der den scholastischen Aristotelismus bekämpft hatte und auf Anstiften seiner Gegner 1572 in der Bartholomäusnacht ermordet wurde. Nach seiner Meinung sollte quisquis und quamquam wie kiskis und kamkam ausgesprochen werden. ausgefochten, welcher nach ihrer Forderung wie K ausgesprochen werden sollte. Der Kampf entbrannte so lebhaft, daß etliche Leute alle ihre Habe dabei einbüßten. Endlich mußte das Parlament den Streit beilegen, und es erteilte durch feierlichen Erlaß allen Unterthanen des Königs von Frankreich die Erlaubnis, diesen Buchstaben ganz nach Belieben auszusprechen. Es war ein köstliches Schauspiel, die beiden ehrwürdigsten Körperschaften in Europa damit beschäftigt zu sehen, über das Schicksal eines Buchstaben im Alphabet zu entscheiden.

Es scheint, mein lieber ***, als ob die Köpfe der größten Männer zusammenschrumpfen, wenn sie mit einander versammelt sind; je größer die Zahl der Weisen, desto geringer die Weisheit. Die großen Körperschaften machen immer so viel Aufhebens von Kleinigkeiten, von Formalitäten, von leeren Gebräuchen, daß das Wesentliche stets darüber vernachlässigt wird. So habe ich folgende Geschichte gehört: Als einmal ein König von Arragonien Das war im Jahre 1610 unter dem kraft- und thatlosen Philipp III. die Stände von Arragonien und Catalonien zu einer Versammlung berufen hatte, verbrachte man die ersten Sitzungen lediglich mit der Frage, welcher Sprache man sich bei den Beratungen bedienen sollte. Der Streit wurde immer hitziger, und zwischen den Vertretern der beiden Staaten würde es tausendmal zum Bruch gekommen sein, wenn man nicht auf das Auskunftsmittel verfallen wäre, daß die Fragen in catalonischer Sprache gestellt und die Antworten in arragonischer Sprache erteilt werden sollten.

Paris, am 25. des Mondes Zilkadeh, 1718.



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