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Hundertundachtundzwanzigster Brief.
Rica an Ibben in Smyrna.

Du hast tausendmal von dem berühmten König von Schweden gehört. Er belagerte eine Festung des Königreichs Norwegen. Als er dort, von niemand als von einem Ingenieur begleitet, die Laufgräben besuchte, empfing er einen tödlichen Schuß in den Kopf. Karl XII. bei der Belagerung von Friedrichshall am 11. Dezember 1718. Gleich darauf ließ man seinen Premierminister verhaften, und die versammelten Reichsstände verurteilten ihn zum Tode. Nach dem Tode des Königs wurde dessen jüngere Schwester Ulrike Eleonore und ihr Gemahl Friedrich von Hessen-Kassel mit Umgehung des rechtmäßigen Thronerben auf den Thron erhoben. Auf ihren Befehl wurde der den Ständen verhaßte Ratgeber Karls XII., der Premierminister Baron von Görtz, sofort verhaftet und zum Tode verurteilt. Es war ein Justizmord.

Es war ein schweres Verbrechen, dessen man ihn anklagte: er wurde beschuldigt, die Nation verleumdet und ihr das Vertrauen ihres Königs geraubt zu haben. Meines Erachtens verdient dies Vergehen einen tausendfachen Tod.

Denn wenn es schon eine böse That ist, den letzten seiner Unterthanen bei einem Fürsten anzuschwärzen, wie soll man es erst nennen, wenn die ganze Nation angeschwärzt und ihr das Wohlwollen dessen gestohlen wird, den die Vorsehung zu ihrer Beglückung bestimmt hatte?

Ich wünschte, die Menschen sprächen zu den Königen wie die Engel zu unserem heiligen Propheten.

Du weißt, daß ich es mir bei den weihevollen Festgelagen, wo der Herr der Herren vom erhabensten Throne der Welt herniedersteigt, um sich seinen Sklaven mitzuteilen, zum strengen Gesetze gemacht habe, die ungelehrige Zunge zu zügeln. Niemals hat man gehört, daß ich ein einziges Wort verlor, welches bittre Folgen über den geringsten seiner Unterthanen hätte bringen können. Mußte ich aufhören, wortkarg zu sein, so habe ich darum doch nicht aufgehört, als ehrlicher Mann zu handeln; und in dieser Prüfung unserer Treue setzte ich mein Leben, aber niemals meine Tugend aufs Spiel.

Es ist eine sonderbare Erfahrung: mag ein Fürst auch noch so schlecht sein, sein Minister ist allemal noch schlechter. Alles dies bezieht sich auf den Kardinal Dubois. (Vergl. Brief 99.) Begeht er eine Übelthat, so ist es fast immer, weil er fremder Einflüsterung folgte. Deswegen ist auch der Ehrgeiz der Fürsten niemals so gefährlich wie die nichtswürdige Gesinnung ihrer Ratgeber. Aber begreifst Du, wie ein Mensch, der erst seit gestern Minister ist und es vielleicht morgen nicht mehr sein wird, in einem Augenblick der Feind seiner selbst, seiner Familie, seines Vaterlandes und aller zukünftigen Geschlechter werden kann, die aus dem Volke hervorgehen werden, welches er unterdrücken will?

Ein Fürst hat Leidenschaften, und der Minister trägt ihnen Nahrung zu; das ist der Faktor, mit welchem er bei seiner Amtsführung rechnet. Ein andres Ziel hat er nicht, und er will auch kein anderes kennen. Die Höflinge verführen ihn durch ihr Lob, und er schmeichelt ihm noch gefährlicher durch seine Ratschläge, durch die Pläne, zu denen er ihn beredet, und durch die Grundsätze, die er ihn lehrt.

Paris, am 25. des Mondes Saphar, 1719.



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