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Erster Brief.
Usbek an seinen Freund Rustan in Ispahan.

Wir haben uns nur einen Tag in Rom aufgehalten. Nachdem wir am Grabe der Jungfrau, Fatime, Muhamed's Tochter. welche zwölf Propheten das Leben gab, Der Verfasser erinnert uns hier daran, daß die römische Kirche nicht die einzige ist, welche die Jungfrauschaft einer Mutter zum Glaubensartikel gemacht hat. Ohne Zweifel ist dies Dogma viel älter als die christliche Religion. (Siehe Bayle, Artikel: Fatime.) Auch die vielen schwarzen Marienbilder, die man noch in Kirchen aller katholischen Länder Europas antreffen kann, z. B. in Loretto, in Rom, in München und in Augsburg, weisen auf den Ursprung dieser Mythe hin. (Siehe Godfrey Higgins. Anacalypsis, vol. I.) Die Gnostiker waren die Pioniere des Mariendienstes. »Die alte egyptische Vorstellung der Nacht, Mutter des Tages und aller Dinge, mit der Sternenkrone; Isis, die Schwester des Osiris oder des Heilandes: Latona, die Mutter Apollos; Flora, die strahlende Göttin des wiederkehrenden Frühlings, der einst der Monat Mai heilig war, jetzt der Monat der Jungfrau; Cybele, die Mutter der Götter, deren Fest an dem Tage gefeiert wurde, welcher jetzt das Fest Mariä Verkündigung ist, standen alle mehr oder weniger mit dem neuen Ideal in Zusammenhang.« (Lecky, Rationalism in Europe, vol. I, pg. 211.) unsere Andacht verrichtet hatten, setzten wir unsere Reise fort, und gestern, am fünfundzwanzigsten Tage nach unserem Aufbruch von Ispahan, trafen wir in Tauris ein.

Rica und ich sind vielleicht die ersten Perser, welche der Wissensdurst bewogen hat, ihr Vaterland zu verlassen, und die auf den Genuß eines ruhigen Lebens verzichtet haben, um mühsam nach der Weisheit zu suchen.

Wir sind in einem blühenden Reiche geboren; aber wir haben nicht geglaubt, daß seine Grenzen notwendig auch diejenigen unserer Kenntnisse seien, und daß nur das Licht des Morgenlandes uns erleuchten dürfe.

Schreibe mir, wie die Leute über unsere Reise urteilen, aber ohne mir zu schmeicheln; ich rechne nicht darauf, bei Vielen Beifall zu finden. Adressiere Deine Briefe nach Erzerum, wo ich mich einige Zeit aufhalten werde. Lebe wohl, mein lieber Rustan. In welcher Weltgegend ich auch weilen möge, sei versichert, daß ich Dir ein treuer Freund bleibe.

Tauris, am 15. des Mondes Saphar, Folgendes sind die Namen der zwölf Monate des muselmännischen Jahres: Maharram, Saphar, erster und zweiter Rebiab, erster und zweiter Gemmadi, Rhegeb, Chahban, Rhamazan, Chalval, Zilkadeh, Zilhageh. Der Monat Maharram entspricht so ziemlich dem Monat September. (Über den persischen Kalender vergl. den Anhang.) 1711. Die muselmännische Zeitrechnung oder die Hegira beginnt mit dem 10. Juli 622. Um ein nach der Hegira gerechnetes Datum in das entsprechende Jahr nach Christi Geburt zu übersetzen, muß man 622 zu dem muselmännischen Jahre addieren; und da das muselmännische Jahr ein Mondjahr und folglich kürzer ist als das unsrige, so hat man ungefähr drei Jahre von einem Jahrhundert abzuziehen.



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