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Fünfundsechzigster Brief.
Usbek an seine Frauen im Serail zu Ispahan.

Ich erfahre, daß das Serail im Zustande der Verwilderung und ein Schauplatz des Gezänks und innerer Spaltungen ist. Habe ich Euch bei meiner Abreise nicht zum Frieden und zur Freundlichkeit ermahnt? Und Ihr verspracht, mir zu folgen; geschah das, um mich zu täuschen?

Ihr würdet selbst die Getäuschten sein, wenn ich den Ratschlägen des Groß-Eunuchen gehorchen und meine Macht gebrauchen wollte, Euch zu der guten Ausführung zwingen, um die ich Euch mahnend gebeten habe.

Aber es widerstrebt mir, solche Gewaltmittel anzuwenden, bevor ich alle anderen versucht habe; thut doch also um Euretwillen, was Ihr nicht um meinetwillen thun wolltet.

Der Obereunuch hat große Ursache, sich zu beklagen; ich entnehme aus seinem Briefe, daß Ihr ihm nicht die schuldige Achtung erweist. Fühlt Ihr nicht, daß Ihr dadurch einen Verstoß begeht gegen weibliche Zucht und Sitte? Ist nicht ihm während meiner Abwesenheit Eure Tugend anvertraut? Er ist der Verwalter dieses heiligen Kleinods. Aber Euer verachtungsvolles Benehmen gegen ihn ist ein Zeichen, daß Euch die Beschützer Eurer Ehre lästig sind.

Ich bitte Euch daher, ändert Euer Verhalten und ermöglicht es mir, das nächste Mal die Maßregeln abzulehnen, die man mir zum Schaden Eurer Freiheit und Ruhe zu ergreifen rät.

Ich wünsche ja so sehr, ich könnte Euch den Herrn in mir vergessen machen, damit ich mich selbst nur noch als Euer Gatte zu fühlen brauchte.

Paris, am 5. des Mondes Chahban, 1714.



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